Politics | Gastbeitrag

Fanal für die Autonomie

Die Verfassungsreform und Auswirkungen auf Südtirol. Warum man am 4. Dezember mit Nein stimmen soll.
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Foto: Salto.bz

Am 4. Dezember dieses Jahres wird das Volk über die von der Regierung Renzi vorgeschlagenen Verfassungsrefom (Vf-Reform) abstimmen. Diese Möglichkeit verdanken wir der knappen Mehrheit, mit der das Parlament die Reform genehmigt hat. Wenn keine 2/3 Mehrheit erreicht wird, können 500.000 Wähler oder ein Fünftel der Parlamentarier jeder Kammer ein Referendum verlangen.

Mit dieser tiefgreifenden Reform des Grundgesetzes (Vf) will man die Zügel in Rom straffen, um - so hofft man - den Staatsapparat effizienter zu gestalten. Es handelt sich um die größte Reform seit Kriegsende, ganze 47 der insgesamt 139 Artikel werden geändert. Die wesentlichen Neuerungen betreffen die Umwandlung des Senates in eine Territorialkammer mit beschränkten Zuständigkeiten, die Abschaffung der konkurrierenden Zuständigkeiten der Regionen, die größtenteils dem Staat zugewiesen werden, die Einführung einer Suprematie- Klausel des Staates und die Abschaffung der Provinzen.

In der öffentlichen Debatte in Südtirol ist man sich mehrheitlich einig, dass damit die Macht zentralisiert wird und die Regionen entmachtet werden, während der Senat in eine Vertretung der Regionen umgewandelt wird, die kein politisches Gewicht hat. Kombiniert mit dem neuen Wahlsystem, das einer einzigen Partei 55% der Sitze garantiert, geht alle Macht nach Rom, in die Hand weniger Entscheidungsträger. Das ist schon der erste Einschnitt für Südtirols Vertretung. In der Vergangenheit waren die wenigen Stimmen oft ausschlaggebend und man hatte eine starke Verhandlungsbasis. In Zukunft braucht diese 3-4 Stimmen niemand mehr.

Die Reformen hatte Renzi im s.g. „Patto del Nazareno“ mit Silvio Berlusconi vereinbart, und ließ damit einen politisch Tot-Gesagten wieder auferstehen.

„Kombiniert mit dem neuen Wahlsystem, das einer einzigen Partei 55% der Sitze garantiert, geht alle Macht nach Rom, in die Hand weniger Entscheidungsträger. Das ist schon der erste Einschnitt für Südtirols Vertretung.“

Weniger einig ist man sich hingegen über die Auswirkungen auf Südtirol, weil in einer Übergangsklausel, die etwas optimistisch als „Schutzklausel“ bezeichnet wird, die autonomen Regionen von der Neuverteilung der Zuständigkeiten ausgenommen werden, bis sie ihre Autonomie-Statuten revidieren. Diese Revision soll „auf der Grundlage von Übereinkommen“ mit den Autonomien erfolgen.

Aus wirtschaftlicher Sicht bleibt es zweifelhaft, ob eine Zentralisierung die Entfaltung der unternehmerischen Initiativen im regionalen Raum fördert. Die föderalen Staaten, die der regionalen Entfaltung den Vorzug geben, wie die Schweiz, Österreich oder Deutschland lehren uns eigentlich das Gegenteil. Den Vorteil einer Zentralisierung erhofft sich höchstens die Großindustrie.

Die italienische Nachkriegs-Verfassung (Vf) von 1948 ist von einem großen demokratischen und sozialen Auftrag beseelt. Der Staatsaufbau allerdings war zentralistisch.

Nach vielen Jahren gescheiterter Anläufe zu einem moderneren, föderalen System nach dem Muster erfolgreicher Wirtschaftsstaaten, gelang Italien im Jahre 2001 ein kleiner Durchbruch. Mit der neuen Vf-Ordnung (Vf-Gesetz Nr.3/2001) wurde der Staat zwar noch lange kein Bundesstaat nach österreichischem, deutschen oder Schweizer Muster, aber wesentliche Merkmale des bundesstaatlichen Prinzips wurden eingeführt und teilweise umgesetzt. Die Regionen wurden mit mehr Zuständigkeiten ausgestattet. Ein neuer Steuerföderalismus, der wegen der Finanzkrise unterbrochen wurde, sollte den Regionen und Gemeinden auch eine finanzielle Autonomie gewährleisten.

Die Besserstellungsklausel von 2001
 

Für die Spezialregionen wurde eine s.g. Besserstellungsklausel eingeführt. Ihre Zuständigkeiten werden nicht berührt, aber um die neuen Bereiche erweitert, die den ordentlichen Regionen zugestanden wurden.

Das bedeutet, dass die Neuerungen der Vf-Reform 2001, insofern sie weitergehende Formen von Autonomie vorsehen, unmittelbar auch für die Regionen mit Sonderstatut und auf die autonomen Provinzen Anwendung finden. Sie leuchten, ungeschrieben, wie ein Fanal in die Autonomiestatute hinein. So erhielt auch Südtirol Zuständigkeiten, die nicht im Statut verankert sind, z.B. im Bereich der internationalen Beziehungen, die Möglichkeit internationale Abkommen abzuschließen, den Außenhandel, Arbeitsschutz- und Arbeitssicherheit, den Unterricht auch der Universität, die Regelung der Berufe, wissenschaftliche und technologische Forschung, Sportordnung, Zivilschutz, Zivilflughäfen, Produktion, Transport und Verteilung der Energie, ergänzende Zuständigkeiten für das Rentenwesen (für die Region) etc. Auch die Gesetzgebung wurde vereinfacht, die Landes- und Regionalgesetze werden nicht mehr präventiv von Rom geprüft, sie treten unmittelbar in Kraft. Die Regierung kann sie nicht mehr rückverweisen, sondern nur vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) anfechten, wie übrigens das Land und die Region die Staatsgesetze anfechten können (Art. 127 Vf). Allerdings nahm der VfGH bei der Auslegung der Reform eine sehr zentralistische Haltung ein und schränkte die Zuständigkeiten der Regionen und autonomen Provinzen durch s.g. transversale Zuständigkeiten des Staates ein.

Keines der fünf Autonomiestatute wurde bisher angepasst. Die Lektüre derselben muss deshalb unter Beachtung dieser Besserstellungsklausel vorgenommen werden, so dass manche eingrenzende Bestimmung keine Anwendung mehr findet und andere Teile aufgrund der Vf-Änderungen als erweitert zu betrachten sind.

Zentralistischer Wind
 

Aber noch gar nicht ganz umgesetzt, bläst in Italien der Wind nun in die entgegengesetzte Richtung: Die Zentralisierung bleibt nicht ohne Folgen für Südtirols Autonomie und die Minderheiten, obwohl sie vorerst von einem Teil der Reform mit einer Übergangsbestimmung ausgenommen wurden.

Die zaghafte Reform in Richtung Föderalismus von 2001 wird rückgängig gemacht, über 20 Zuständigkeiten gehen von den Regionen zurück an den Staat.

Autonomien in der Zwangsjacke
 

Einmal abgesehen davon, wie stark oder schwach die s.g. Schutzklausel ist, muss man erkennen, in welches System man eingebettet wird. Auch die Sonderautonomien werden nämlich in ein zentralistisches Gefüge gepresst und stellen eine noch stärkere Ausnahme vom System dar. Diese Kluft erhöht die Reibungsflächen mit dem Staat und hat schon in der Vergangenheit für Neid und Anfeindungen gesorgt.
Wie ein Fanal leuchteten viele Zuständigkeiten der normalen Regionen Dank der Besserstellungsklausel von 2001 in das Statut hinein. Nun erlischt dieses Fanal und die Zuständigkeiten werden, soweit sie nicht im Statut verankert sind, ebenso automatisch wieder verschwinden. Besonders betroffen sind die s.g. konkurrierenden Zuständigkeiten, die fast ausnahmslos an den Zentralstaat fallen, wie beispielsweise die Energie, die Regelung der Berufe, der Außenhandel, das Gesundheitswesen, der Unterricht an Schulen und Universitäten, die Dienstordnung aller öffentlichen Verwaltungen, auch der Regionen und Gemeinden, oder die ergänzende Sozialvorsorge, mit der man das Zusatzrentensystem in der Region kräftigen konnte.

„Besonders gefährlich für die Autonomie der Regionen ist die Wiedereinführung des Nationalen Interesses.“

Die Suprematie-Klausel
 

Besonders gefährlich für die Autonomie der Regionen ist die Wiedereinführung des Nationalen Interesses und eine neue Überordnung des Staates gegenüber der regionalen Gesetzgebung (neuer Art.117, Abs. 4 Vf), die es dem Parlament ermöglicht, zum „Schutz der juridischen und wirtschaftlichen Einheit, oder im nationalen Interesse“ in die exklusiven regionalen Zuständigkeiten einzugreifen. Was heißt schon juridische und wirtschaftliche Einheit, was nationales Interesse? Das sind dehnbare Begriffe, die der politischen Wertung ausgeliefert sind. Diese Suprematie-Klausel könnte vom VfGH als übergeordneter Grundsatz („vincolo di sistema“) über die Verfassung gestellt werden und wäre damit auch unmittelbar auf die Sonderautonomien anwendbar. Diese Suprematie gesellt sich zur Ersatzbefugnis der Regierung (Art. 120), die bisher für die ordentlichen Regionen verankert war, und (ausgerechnet in der s.g. Schutzklausel) auch auf die Sonderautonomien ausgeweitet wird.

Die Koordinierung der Finanzen
 

Mit der Verfassungsreform stärkt der Staat auch seine finanziellen Zuständigkeiten. Nach dem Übergang der "Harmonisierung der öffentlichen Haushalte", soll mit der Reform auch die Koordinierung der öffentlichen Finanzen und des Steuersystems von der konkurrierenden Zuständigkeit der Regionen an die ausschließliche des Staates übertragen werden. Dazu Prof. Tarli Barbieri (Univ. Florenz): "Der VfGH verwendet diesen transversalen Titel als „Brecheisen (grimaldello)“, um die Zuständigkeiten der Regionen einzuschränken oder gar abzuschaffen" (Audition im Senat, 28.7.2015, Pkt. 7).

Schwaches oder starkes Einvernehmen
 

Für die Änderung der Sonderstatuten der autonomen Regionen ist bisher das für Verfassungsgesetze vorgesehene Verfahren verankert, das eine doppelte Lesung in beiden Kammern und eine absolute Mehrheit der Mitglieder in zweiter Lesung verlangt (Art. 116, Abs. 3 und Art. 138 Vf). Es ist also nur eine Stellungnahme seitens der Landtage und des Regionalrates vorgesehen, kein Einvernehmen über den Text.

Ein s.g. „starkes“ Einvernehmen ist hingegen im Autonomiestatut für die Änderung der Finanzierung der Autonomie, die großen Wasserableitungen und über die Ablösung der Präsidenten von Landtag und Regionalrat vorgesehen, die mit einfachem Staatsgesetz geändert werden können. Die Rechtslehre unterscheidet zwischen „schwachem“ Einvernehmen, ohne Vetorecht einer Seite, und dem „starken“ Einvernehmen, mit gegenseitigem Vetorecht.

Die genannten Bestimmungen dürfen nur „auf einvernehmlichen Antrag der Regierung und, je nach Zuständigkeit, der Region oder der beiden Provinzen“ abgeändert werden. Das heißt mit anderen Worten, Regierung und Autonomien müssen vor der Beschlussfassung im Parlament einen einvernehmlichen Text vorlegen, der vom Parlament nicht einseitig abgeändert werden kann. Ein solch starkes Einvernehmen wäre auch für das gesamte Autonomiestatut (allerdings bei Beibehaltung des Vf-Verfahrens) sinnvoll und in einer Schutzklausel festzuschreiben.

Schutzklausel unter Berlusconi
 

Tatsächlich bemühten sich die Parlamentarier Südtirols in mehreren Anläufen ein solch starkes Einvernehmen entweder in der Verfassung oder im Autonomiestatut zu verankern. Im Jahre 2005 genehmigte das Parlament eine Vf-Reform, die von der Regierungsmehrheit vorgelegt worden war (Berlusconi, Bossi, Fini), die s.g. Devolution, die allerdings 2006 vom Wahlvolk im Referendum abgelehnt wurde. In dieses Vf-Gesetz gelang es den Autonomie-Vertretern folgende Schutzklausel einzufügen: Die Sonderstatuten werden als Verfassungsgesetze „nach Einvernehmen“ („previa intesa“) mit der betreffenden Region und autonomen Provinz genehmigt. Nach der ersten Lesung im Parlament, wird diesen der Entwurf zugestellt, und der interessierte Landtag und/oder der Regionalrat können mit einer Zweidrittel Mehrheit ihrer Mitglieder, innerhalb von drei Monaten, ihre Verweigerung („diniego“) aussprechen (Art. 38 Vf-G-Entwurf), womit der Text abgelehnt und nicht mehr vom Parlament genehmigt werden kann. Damit wurde ein s.g. „starkes“, eindeutiges Einvernehmen festgelegt, und ein ausdrückliches Veto-Recht der Autonomien verankert, wenn auch mit einer Mehrheit von Zwei Dritteln.
 

Für die gesamte Vf-Reform, war eine ähnliche Besserstellungs-Klausel wie 2001 verankert worden. Der gesamte Vf-Entwurf wurde vom Parlament genehmigt, fiel aber wie gesagt bei Referendum 2006.

Schutzklausel unter Prodi
 

Unter der Regierung Prodi sollten direkt die Autonomiestatuten gesichert werden. Der Gesetz-Entwurf sah eine ähnliche Formulierung wie unter Berlusconi vor, die allerdings in den fünf Autonomiestatuten (und nicht in der Vf) verankert werden sollte und damit unter verstärktem Schutz stand (weil die Vf ja nicht unter der Einvernehmens-Klausel steht): Änderungen der Autonomiestatute werden nach der ersten Lesung den Regionalräten und Landtagen zugestellt, die innerhalb von drei Monaten mit einer Zwei Drittel Mehrheit ihrer Mitglieder ihre Verweigerung („diniego“) ausdrücken könnten. Das bedeutete ebenso ein klares Vetorecht.

Der Gesetzentwurf wurde denn auch positiv von den Landtagen von Trient und Bozen und vom Regionalrat begutachtet, 2008 fiel allerdings die Regierung Prodi, das Parlament wurde aufgelöst und die Gesetz-Entwürfe verfielen.

Die Übergangsbestimmung
 

Dank der Bemühungen der Südtiroler Parlamentarier wurde auch in die Verfassungsreform von 2016 eine Übergangsbestimmung für die Sonderautonomien eingebaut (Art. 39, Abs. 13 des Vf-Entwurfes), die diese gegen einseitige Änderungen schützen soll. Die Übergangsbestimmung sieht vor, dass die Bestimmungen von Kapitel IV des Vf-Gesetzes (die Kompetenzverteilung) „auf die Regionen mit Sonderstatut und die autonomen Provinzen Trient und Bozen bis zur Überarbeitung ihrer Statuten, die auf Grund von Übereinkommen („sulla base di intese“) mit den Regionen und autonomen Provinzen erfolgt, nicht angewandt werden“.

Interpretationsbedürftige Formulierung
 

Diese Formulierung ist wortgetreu ein bereits Vf-rechtlich verankerter Begriff, und zwar im Art.8, Abs.3 der Vf für die Beziehungen der nichtkatholischen Konfessionen zum Staate, die „auf Grund von Übereinkommen“ mit den entsprechenden Vertretungen („sulla base di intese“) gesetzlich geregelt werden. Die hier verwendete deutsche Übersetzung „auf Grund von Übereinkommen“ stammt aus der offiziellen Übersetzung der Region und des Landes Südtirol. Der Begriff wurde auch bereits ausjudiziert. Stefania Baroncelli zeigt in einem Buchbeitrag die Schwierigkeiten einer Interpretation auf und meint sogar die Besserstellungsklausel von 2001 würde nicht mehr anwendbar sein, weil die Grundlage, auf die sie sich bezieht verschwindet. Der VfGH hat sich mit der Interpretation der Formulierung „auf Grund von Übereinkommen“ befasst (Urteile Nr.346/2002, Nr.195/1993) und unterstrichen, dass das Parlament, auf Grund der Übereinkommen, das Gesetz macht. Eine Diskussion oder ein Streitpunkt über mögliche Abänderungen seitens des Parlamentes ist allerdings bisher nicht erfolgt.

„Die Übergangsbestimmung schütze die Sonderautonomien nur scheinbar. Sie seien viel mehr dem Gutdünken des VfGH ausgeliefert, als die normalen Regionen.“

Diese aktuelle Übergangsbestimmung hat aber, wie das Wort schon sagt, nur Übergangscharakter. Der Vf-Geber stellt sich damit vor, dass auch die Sonderregionen und damit auch Südtirol sich anpassen müssen, allerdings auf Grund von Übereinkommen. Tatsächlich war in der ursprünglichen Formulierung von Anpassung der Statuten die Rede, während es jetzt Überarbeitung („revisione“) heißt.

Der Verfassungsgerichtshof
 

Aber genau die Anwendung der Übergangsbestimmungen, sei es von 2001 als jene von 2016 birgt einen gefährlichen Pferdefuß. Auf Grund der unklaren Formulierung sind sie interpretationsbedürftig. Welche Besserstellungen gelten noch, welche nicht? Und das führt direkt zum VfGH, der bereits seine Haltung bei der Interpretation vieler autonomer Zuständigkeiten gezeigt hat und die s.g. transversalen Zuständigkeiten des Staates erzeugt hat. Diese brechen in vielen Bereichen die Zuständigkeiten der Regionen und autonomen Provinzen. Zu Recht überscheibt der bekannte Vf-Rechtler, Prof. Marcello Cecchetti einen Beitrag dazu mit dem Titel „Die versteckten Gesichter der Reform“. Im Gegensatz zu Baroncelli vermutet er zwar (zu Recht) das Weiterleben der Besserstellungsklausel, aber zeichnet dafür düstere Aussichten für die Autonomien, die „im Chaos der Zweifel“ dem VfGH ausgeliefert werden. Und wie dieser urteilt, wissen wir, zumal im Lichte der „Clausola di supremazia“ im neuen Art.117, Abs. 4. Aus meiner Sicht bleibt die Besserstellungsklausel zwar aufrecht (z.B für die verbliebenen Besserungen, wie die Streichung des Sichtvermerkes für L.- und Reg.-Gesetze), aber viele Bereiche, die vor allem als  konkurrierende Kompetenzen den Regionen gewährt worden waren, verschwinden damit auch für uns, weil das Fanal erlischt . Cecchetti kommt zum Schluss: Die Übergangsbestimmung schütze die Sonderautonomien nur scheinbar. Sie seien viel mehr dem Gutdünken des VfGH ausgeliefert, als die normalen Regionen.

Der VfGH hat bei den Schutzbestimmungen für die Minderheiten, bei Sprache, Proporz, Schule und Kultur, diese immer geschützt, anders hingegen bei den Zuständigkeiten. Es dürfte zwar nicht ausschlaggebend sein (keine ratio decidendi), aber üblich, dass er auch die parlamentarischen Akte bei der Urteilsfindung untersucht, wie er es beispielsweise bei der Anfechtung der Sperrklausel beim Proporz des Wahlgesetztes (Mattarellum) getan hat, gegen das das Land rekurriert hat. Und er könnte sich ebenso, „obiter dictum“ (also nicht als Entscheidungsgrund aber „nebenbei bemerkt“) wie damals darauf berufen: Die Mehrheits-Vertreter Südtirols haben der Vf-Reform zugestimmt.

Ein schwaches Einvernehmen
 

Eine noch katastrophalere Analyse der Übergangsbestimmung und dem vermeintlichen „Einvernehmen“ für die Änderung des Statuts stellt der Trentiner Universitätsprofessor Roberto Toniatti an. Tatsächlich wäre eine Schutzklausel dann effektiv, wenn es sich um ein sogenanntes „starkes Einvernehmen“ handeln würde, das den Regionen mit Sonderstatut das Vetorecht gegen eine Reform seitens des Parlamentes einräumt. Deshalb muss man untersuchen, ob es sich um ein solches handelt oder nur um ein „schwaches“ Einvernehmen. Die Antwort darauf gibt der sogenannte „Tavolo Bressa“, geführt und benannt nach dem Staatssekretär für regionale Angelegenheiten und Autonomien, Gianclaudio Bressa, ein „Tisch“, um ein Einvernehmen zur Prozedur des Einvernehmens zu treffen. Das Abschlussdokument, das seit Herbst 2015 zirkuliert, nie öffentlich bekannt gegeben wurde, aber in Wissenschaftskreisen unwidersprochen kommentiert wurde, hat sich die schwache Version des Einvernehmens zu Eigen gemacht: Sollten die Vermittlungsgespräche auch mittels paritätischer Kommissionen zwischen den Sonderautonomien und der Regierung scheitern, könnte das Parlament allein vorgehen und die Autonomiestatuten abändern.

„Das Abschlussdokument des „Tavolo Bressa“, das seit Herbst 2015 zirkuliert, nie öffentlich bekannt gegeben wurde, aber in Wissenschaftskreisen unwidersprochen kommentiert wurde, hat sich die schwache Version des Einvernehmens zu Eigen gemacht.“

Nun entscheidet in einer derartigen Kontroverse zwar letztendlich nicht eine Verordnung oder ein einfaches Gesetz, sondern der VfGH. Die jüngste „Bressa“-Hypothese sieht vor, dass das Parlament die mangelnde Übereinstimmung mit einer Zweidrittelmehrheit überwinden und dann allein vorgehen kann. Wie auch immer, die Vorschläge legen den politischen Willen klar dar und bestätigen die Zweifel über ein echtes Einvernehmen bei der Änderung der Autonomiestatuten.

„Schutzklauseln“ im Vergleich
 

1. Bei den vormaligen Klauseln (unter Berlusconi 2005 und unter Prodi 2006) heißt es klar, dass Änderungen der Autonomiestatuten "previa intesa" (also im Einvernehmen) erfolgen müssen und nicht wie jetzt "sulla base di intese" („auf der Grundlage von Übereinkommen“). Diese Formulierung gibt dem Parlament das letzte Wort (siehe dazu Urteil des VfGH 346/2002, das zwar noch keinen Konflikt lösen musste, aber in diese Richtung weist).

2. Die vormaligen Klauseln sehen klar ein Vetorecht eines jeden Landtages und des Regionalrates vor. Für die Ablehnung bedurfte es der Zwei-Drittel Mehrheit, aber jedenfalls konnte damit – wenn auch mit dieser Hürde - eine einseitige Änderung verhindert werden. Jetzt steht kein solches Vetorecht mehr in der Reform.

3. Die Klauseln waren auf „Ewigkeit“, also für alle zukünftigen Änderungen der Autonomiestatute vorgesehen, während die derzeitige Reform nur für die erste Änderung gilt.

4. Angenommen – aber nicht zugegeben – die Formulierung „auf Grund von Übereinkommen“ von 2016 wäre nicht so schwach wie hier angenommen, dann ist sie zumindest zweifelhaft. Und darüber entscheidet in letzter Instanz der VfGH, der schon die Reform von 2001 zentralistisch ausgelegt hat.

Die vorliegende Übergangsnorm ist die Schwächste, die bisher in Rom erzielt werden konnte.

Kein Schutz
 

Der Art. 120 (Abs. 2) Vf sieht eine Ersatzbefugnis der Regierung vor, die sie befugt, sich den Organen der Regionen, der Großstädte, der Provinzen und der Gemeinden zu ersetzen und an deren Stelle zu handeln. Diese Ersatzbefugnis gilt nicht nur bei Verletzungen von internationalen Abkommen oder EU-Bestimmungen, sondern auch, wenn es „für den Schutz der Rechts- oder Wirtschaftseinheit“ und insbesondere „für den Schutz der wesentlichen Dienstleistungen betreffend die Bürger- und Sozialrechte“ erforderlich ist.

In diesem Artikel sind bisher die autonomen Provinzen nicht angeführt. Die Verfassungsreform fügt nun ausdrücklich diese dazu, und zwar nicht im IV Teil, der durch die Übergangsbestimmung ausgesetzt wird, sondern im VI. Teil (Art. 38, Abs. 9). Ausgerechnet in der s.g. „Schutzklausel“ (Ironie des Schicksals? Art. 39, Abs. 13), werden die autonomen Regionen und Provinzen diesem Art. 120, also der Ersatzbefugnis der Regierung unterworfen.

Die Haltung zu Minderheiten
 

Seit bald hundert Jahren ist Südtirol bei Italien. Es gab schlechte und bessere Zeiten, je nachdem wie zentralistisch Italien organisiert war. Das gilt nicht nur für den Faschismus. Auch in der Nachkriegszeit ließ Rom die Macht nicht locker und Südtirol musste Jahrzehnte lang um jeden Beistrich der Autonomie ringen. Nach vielen gescheiterten Versuchen gelang Italien im Jahre 2001 ein Schritt zu mehr Föderalismus, der allen Regionen mehr Zuständigkeiten gab. Das wirkte sich auch auf Südtirol positiv aus. Jetzt bläst der Wind in die entgegengesetzte Richtung. Italien wird radikal zentralisiert.

Eine Minderheit und eine Autonomie dürften aus politischer Weitsicht niemals – Übergangsbestimmung hin oder her – für die Zentralisierung des Staates stimmen. Das ist und bleibt ein historischer Fehler.

 

Lesen Sie nächste Woche:
Le ragioni del SÌ spiegate da un costituzionalista italiano.