Vordergründig im Hintergrund
Es war aus mehreren Gründen eine bewegende Eröffnungsfeier in der Galerie ar/ge kunst in Bozen: zum einen war es die letzte von Emanuele Guidi – er war 9 Jahre lang künstlerischer Leiter der "ar/ge kunst" gewesen –, zum anderen beinhaltet die bis Anfang Februar zugängliche Schau überraschende Einblicke in das Leben des vor kurzem verstorbenen Henry Martin.
30 Jahre nach der Fluxers-Ausstellung im Museion und 60 Jahre nach der Gründung der Kunstrichtung "Fluxus" ist die Figur Henry Martin in der Galerie "ar/ge kunst" spürbar.
Er war „Autor, Schriftsteller, Übersetzer, Produzent und Performer“ fasste Guidi bei seiner Rede die Tätigkeiten Henry Martins überschlagsmäßig zusammen und freute sich außerordentlich darüber, das Werk eines Menschen sichtbar zu machen, der, so Guidi, „auch meine Arbeit gemacht hat“, der also in einer Form als „Produzent“ tätig war und die besondere Fähigkeit mitbrachte, „Dinge und Gegebenheiten in die Kunstwelt einzuordnen“. Guidi lobte Martin als interkulturellen „Zusammenbringer“ mit einem schier unglaublichen Netzwerk an Kontakten, dem es wichtig war, dass „Kunst passiert“ und miteinander „in Dialog“ tritt. Insofern war er ein großzügiger „Unterstützer“ und „Ermöglicher“, der es vorzog, lieber „im Hintergrund zu agieren“ und „anderen den Vortritt zu lassen“.
Am 19. Februar 1942 in Philadelphia geboren, verstarb Henry Martin wenige Monate nach seinem 80. Geburtstag am 14. September 2022. Emanuele Guidi hat sich seiner gesammelten Materialien angenommen und große Teile der hinterlassenen Briefkorrespondenz gelesen, sowie seine gesammelten Kunstwerke neu ein-, bzw. zugeordnet. Guidi setzte dabei vor allem den Begriff Freundschaft ins Zentrum der Zusammenstellung, also jenes Wort, welches (nicht nur) in der Kunstwelt gerne und mit Nachdruck bemüht wird, auch wenn hinter freundschaftlichen Lippenbekenntnissen vielfach – dem Kapitalismus sei Dank – Konkurrenzdenken, Gier und Neid stehen. Demgegenüber strapazierte Henry Martin – er wohnte über viele Jahre in Völs – den Begriff Freundschaft nicht so häufig, wie rhetorisch geschulte Kulturmanager*innen, die vor lauter Händeschütteln und devoter Unterwürfigkeit beim Kriechen auf der eigenen Schleimspur ins Ungewisse dahinrutschen.
In dem vor kurzem auf der Internetseite des Museion publizierten Nachruf, erinnert der Kunsthistoriker Andreas Hapkemeyer unter anderem auch an die für das Museion 1992 realisierte Ausstellung Fluxers: „Zur Ausstellung erschien eine schöne, bis heute im Museion aufliegende Mappe mit 12 Multiples. Unvergessen Henrys Einführung in den Katalog, in der er schreibt, dass viel über Fluxus gesagt worden ist, dass aber das Spezifische von Fluxus sich einer einzigen Definition entzieht.“ In der Ausstellung waren Positionen von Jean Depuy, Ben Patterson, Takako Saito, Geoffrey Hendricks, Ken Friedman, Eric Anderson, Dick Higgins, Ben Vautier, Giuseppe Chiari oder George Brecht zu sehen, ein guter Teil war zur Eröffnung angereist und machte Bozen für einige Tage „zum Ort eines internationalen Künstlertreffens“, so Hapkemeyer. Martins einleitende Worte von einst eröffneten drei Jahrzehnte später die Schau über ihn – mit einem echt „verrückten Text“, so Guidi.
Ihm sei „der experimentelle Gedanke“ wichtig gewesen, betonte Guidi und unterstrich Henry Martins Haltung, vor allem dessen Idee für eine Kunstzeitschrift. Die einst angedachte Zeitschrift hätte „wie eine Ausstellung in einer Galerie“ funktionieren und in erster Linie nicht zum Lesen sein sollen, vielmehr solle „sie zum Staunen“ anregen. In diesem Sinne Martins hat Guidi gehandelt und aus dem üppigen Materialfundus ausgewählte Exponate zusammengesucht und gemeinsam mit dem Designer Martino Gamper kunstvoll gestaltete Inseln entstehen lassen, die die Besucherinnen und Besucher als eigenständige Kapitäne ansteuern, um sie fragend zu erwandern.
Martino Gamper lernte Henry Martin vor einigen Jahren kennen und hatte ihn gemeinsam mit dessen Frau Berty Skuber in Völs getroffen. „Diese Begegnung blieb mir auch so im Kopf“ erzählt Gamper bezüglich seiner ausstellungsgestalterischen Erarbeitung. Für den zeitgenössischen Blickwinkel auf die Figur Henry Martin setzte er, wie er sagt, „ein Blatt dahinter“. Es sind schräg gehängte, bunte Holztafeln, die für die bereits gerahmten Bilder ein neues vereinheitlichtes Passepartout darstellen. Die verschiedenen Dokumente, Postkarten, Schnipsel werden dadurch einheitlich dargestellt.
Als „Puzzle“ und in „Erarbeitung“ bezeichnete Guidi das ausgestellte Material zum Gesamtkunstwerk Henry Martin, als eine „Recherche in progress“. Emanuele Guidi dankte am Ende nicht nur der Familie, sondern auch der Künstlerin und Performerin Claudia Tomasi, die Guidi immer wieder ermutigte diese Ausstellung über Henry Martin zu machen. „Für mich war Henry ein Herz, der mir eine neue Welt öffnete“, erinnerte sich Tomasi bei der Bozner Eröffnung an die Zeit, als sie in ihrer Jugend (aufgrund ihrer Jugendliebe) öfters in der Wohnung dieser besonderen „Künstler“-Persönlichkeit war: „Alles was ich sah, war Kunst. Man konnte mit ihm über alles reden.“