Das Ungeheuer von Tirol ist zurück…
Tirol-Südtirol 1950: Ein mehrfacher Mörder und Vergewaltiger ist auf der Flucht und versetzt das ganze Land in Schrecken. Wochenlang treibt sich der in Tschars geborene Guido Zingerle in den Bergen umher, bis er schließlich auf einer Almhütte in der Nähe von Mühlbach gestellt wird.
In den Köpfen der älteren Generationen spuckt das Ungeheuer von Tirol immer noch umher. Viele erinnern sich an den schrecklichen Spruch aus ihrer Kindheit:
Sei brav, suscht hoult die dor Zingerle.
Ein junges Filmteam rund um Regisseur Eric Weglehner hat es sich zur Aufgabe gemacht diese Geschichte zu verfilmen.
Letzte Woche hat das Team im alten Gefängnis in Brixen gedreht: An diesem Originalschauplatz des historischen Zingerle-Verhörs habe ich sie getroffen. Und schnell wurde klar: dies wird kein herkömmlicher Krimi werden! Eine differenzierte Auseinandersetzung mit der menschlichen Psyche stellt die Geschichte in ein ganz neues Licht.
Eric Weglehner, Regisseur und Drehbuchautor:
Was hat dich dazu bewegt das Ungeheuer von Tirol wiederauferstehen zu lassen?
E: „Ich wollte ein Projekt über menschliche Abgründe, über die dunklen Seiten, die im Menschen wirken, machen. Mein Freund und Kameramann Franco, ein Tiroler, hat mich dann auf Guido Zingerle aufmerksam gemacht und mir das Buch von Heinrich Schwarzer empfohlen. So hat alles begonnen.“
Beziehst du dich im Film auf historische Fakten?
E: „Ja, Zingerles Leben ist eigentlich relativ gut dokumentiert. Ich habe versucht auch einige Originalzitate in die Dialoge des Films miteinzubauen. Auch alte Originalfotos und Zingerles handschriftliches Geständnis, fließen in den Film mit ein. Zudem sind wir auch zu den Originalschauplätzen gefahren und haben uns mit einigen Zeitgenossen und Augenzeugen getroffen. Auch Peter Mitterrutzner, der in einer Szene den Richter spielt, hat Zingerle, als er damals in Brixen abgeführt wurde, gesehen.“
Wie wird Zingerle im Film dargestellt?
E: „Der Film ist eine autobiografische Darstellung Zingerles. Aber es geht nicht nur um seine Taten, sondern auch darum, wie es dazu führen konnte und wie man sie hätte verhindern können. Wir zeigen das Leid, das von Zingerle verursacht wird, aber auch das Leid, das er selbst erfährt. Es ist ein Versuch, das gesamte Bild, ein Werden abseits des Schwarz- Weißdenkens, aufzuzeigen.“
Vermenschlichung ohne Verharmlosung?
E: „Dies ist ein vielschichtiges und komplexes Thema: es geht um das Unbewusste, das Triebhafte. Ganz im Sinne Freuds, glaube ich, dass das es in jedem steckt, aber auch kontrolliert werden kann. In psychologischen Gutachten wurde Zingerle als zurechnungsfähig eingestuft. Er hatte jederzeit die Möglichkeit sich gegen seine Triebe zu stellen. Aber Zingerle hat den einfachen Weg gewählt; er war moralisch und menschlich schwach und hat Ausreden gesucht, um sich selbst als Opfer darzustellen. Gerade in realen Fällen ist der Moment in dem der Täter seine Tat zugibt oft ein Schlüsselmoment im Heilungsprozess des Opfers. In dieser Hinsicht spielt im Film die Figur von Ida Hofer eine zentrale Rolle. Sie zeigt den Weg zum Schuldbewusstsein und zur Gerechtigkeit auf.“
Wer ist Ida?
E: „Ida ist die einzige fiktive Figur im Film: ein ehemaliges Missbrauchsopfer, das nun auf Zingerle trifft. Sie ist eine sehr komplexe Figur, deren Entstehung und Entwicklung nicht immer einfach war. Ich habe mich in Salzburg mit der Leiterin einer Selbsthilfegruppe für sexuellen Missbrauch getroffen, um mit ihr Zusammen Figur, Charakter und Reaktionen der Ida zu erarbeiten. Im Film steht Ida stellvertretend und solidarisch für die Opfer Zingerles.“
Was ist dein künstlerisch-ästhetischer Anspruch?
E: „Das Besondere am Medium Film ist, dass es andere Kunstformen wie Gemälde, Architektur und Musik einbezieht und vereint. Dieser Film orientiert sich ästhetisch an verschiedenen Epochen der Kunstgeschichte, unter anderem dem Expressionismus. Der starke psychische Ausdruck von Malern wie Schiel und Kokoschka reflektiert sich im Psychogram des Täters. Ein weiteres besonderes Stilmittel sind die lange stehenden, gemäldehaften Bilder, in denen sich die Schauspieler wie in einem Gemälde bewegen.“
Gespielt wird Guido Zingerle von Roland Silbernagl, der unter anderem in Serien wie Tatort Köln, Spuren des Bösen, Soko Kitzbühel, Soko Köln und dem Kinofilm Rosenstraße auftritt. Die zweite Hauptrolle, jene der Ida Hofer, wird von Julia Rosa Stöckl verkörpert. Bekannt ist die Stöckl auch aus Proschaskas In 3 Tagen bist du tot I & II.
Roland Silbernagl (Guido Zingerle) & Julia Rosa Stöckl (Ida Hofer):
Guido Zingerle: Mensch oder Monster? Opfer oder Täter?
R: „Guido Zingerle, so schlimm seine Taten auch waren, war ein Mensch. Ein furchtbarer, aber ein Mensch. Wir zeigen die verschiedenen Fassetten dieses Menschen: einen liebesvollen Vater, der am Bett der Tochter eine Geschichte vorliest, aber auch einen Menschen der völlig abseits jeglicher Moral zwei Frauen in Höhlen zerrt und seine Macht befriedigt.“
J: „Das ist eigentlich auch der Punkt im Film, der eine größere ethische Frage aufwirft, die über die Geschichte Zingerles hinausgeht.“
Wie setzt sich der Film mit dem Thema Gewalt und Missbrauch auseinander?
J: „Das ist das Besondere an diesem Film und auch das, wovon er sich von vielen anderen unterscheidet: der Anspruch der differenzierten Auseinandersetzung mit genau diesen Themen einerseits und neue Fragen aufzuwerfen andererseits. Die Rollenzuschreibungen der „Opfer“ sollen hinterfragt werden.“
R: „Zingerle stellt sich ja auch selbst als Opfer dar. Den Trieb, der ihn überkommt und dem er nachgibt, rechtfertigt Zingerle als eine Krankheit.“
J: „Das ist ein Phänomen, das tatsächlich häufig auch im realen Leben vorkommt. Viele Täter finden Ausreden, um sich selbst zum Opfer zu machen. Ein komplexes Thema, das auch im Film Anklang findet.“
Welche Rolle nimmt Ida in diesem Diskurs ein?
J: „Ida emanzipiert sich aus ihrer Opferposition und steht für Gerechtigkeit ein.“
R: „Eine wirklich besondere Frauenfigur für die damalige Zeit…“
J: „… und auch für heute!“
Wie versetzt ihr euch in das Unvorstellbare hinein, um zwei so dramatische Figuren zu „spielen“?
R: „Wenn man einen Menschen wie Zingerle spielt, bedarf es einer riesen Überwindung sich darauf einzulassen. Am Anfang habe ich es noch locker genommen, aber mit der Zeit hat mich die Rolle wirklich mitgenommen. Es gab schlimme Szenen, in denen ich das Gefühl hatte aus meinem Körper auszutreten, so als hätte Zingerle überhandgenommen. So sehr, wie vielleicht noch nie zuvor, musste ich mich auch damit beschäftigen, die Rolle wieder loszuwerden: In jeder Faser von mir kroch Zingerle hinein, es roch schon nach ihm. Wirklich gruselig! Trotzdem bleibe ich als Schauspieler immer der Kontrollierende, der entscheidet wie weit dieses Spiel gehen darf.“
J: „Ich habe mit meiner Rolle als Ida eine Verantwortung übernommen, bei der das Thema Missbrauch groß im Raum steht. Mein Anspruch war es, mich intensiv damit zu beschäftigen; Um mich von einer Rolle zu distanzieren, versuche ich sie immer jemandem zu widmen. Ich hatte einige Begegnungen mit Betroffenen von sexueller Gewalt, denen diese Rolle gewidmet ist. Diese Widmung und die differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema helfen mir schlussendlich wieder „gesund“ aus dem Film rauszukommen.“
Mit dabei sind auch einige südtiroler Schauspieler: Ricardo Angelini, als Kommandant Olivotto, Andreas Hartner als Carabinieri, Eva Kuen in der Rolle eines der Opfer des Zingerle, Peter Mitterruntzer als Richter und Jasmin Mairhofer, die Idas Kollegin spielt.
Andreas Hartner, Carabieri:
Was geht in einem Carabinieri, der es schafft den Zingerle zu fangen, vor?
A: „Die Carabinieri konnten mit der Verhaftung protzen und die Helden spielen, die das Südtiroler Volk vom Monster befreien. Denn in den 1950ern war es für die Carabinieri nicht immer leicht in Südtirol Fuß zu fassen. Mit dieser Tat konnten sie sich nun beweisen. Sie haben die Verhaftung sogar in Szene gesetzt: Zingerle wurde durch ganz Mühlbach geschleppt, wo die Leute am Straßenrand standen und ihn beschimpften und bespuckten.“
Wie ging man mit dem Gefangenen um?
A: Verhaftung, Anklage, Prozess, Verurteilung zu mehrfach lebenslang: alles ging schnell. Und als dann die Österreicher ebenfalls einen Prozess für Zingerle einforderten, weil dieser auch in Innsbruck gemordet hatte, kam von Italienischer Seite ein kurz und knappes „erst nach Absitzen der lebenslangen Strafe“...
Wenn man sich die Originalfotos anschaut ist man erstmal erstaunt: ein kleines abgehungertes Mandl. Und das soll das Monster von Tirol sein?
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