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Politics | Jahresrückblick

Zweierlei Maß bei Völkermord

Was bedeutet es, wenn die Urteile internationaler Gerichte ignoriert, Verbrechen ungestraft bleiben und Kriegsverbrecher mit Waffen beliefert werden, wie im Gaza-Krieg?
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
gaza
Foto: care.de
  • Völkermord bedeutet laut Genfer Konvention gegen Völkermord vom 9.12.1948  „eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“. Demgemäß ist Völkermord ein Verbrechen gemäß internationalem Recht, „das von der zivilisierten Welt verurteilt wird“. Dieser Tatbestand ist auch erfüllt, wenn eine ethnische Gruppe gezielt Bedingungen unterworfen wird, die “zu seiner vollständigen oder teilweisen Vernichtung führen, und das in der Absicht, die Gruppe als ganze oder zum Teil zu vernichten.” (Art. II, Punkt c). Der sich seit fast 15 Monaten abspielende Völkermord an den Palästinensern in Gaza wird von der “zivilisierten” westlichen Welt immer noch nicht als solcher verurteilt, sondern sogar militärisch unterstützt. 

    Doch wenn Buchstaben einer Konvention noch irgendwas bedeuten, ist mit dem 15-monatigen Krieg Israels gegen die Palästinenser in Gaza dieser Tatbestand mehr als erfüllt, wie auch Amnesty bestätigt. Mindestens 43.000 Menschen, die allermeisten Zivilisten und davon 13.319 Minderjährige (Amnesty), sind von der israelischen Armee ermordet worden. Durch ihre Offensive in Gaza sind über 100.000 Palästinenser verletzt worden, sie hat zur wiederholten Vertreibung von über 90% der 2,2 Millionen Einwohner des Küstenstreifens geführt, der schon vorher ein Ghetto unter freiem Himmel war. Heute liegt Gaza in Schutt und Asche. In keinem Krieg seit dem 2. Weltkrieg sind in so kurzer Zeit so viele zivile Gebäude und Infrastrukturen in so großem Ausmaß zerstört worden wie im Gaza-Krieg 2023/24.

    Israel hat die humanitäre Notversorgung sabotiert, hat die Wasser- und Energieversorgung gekappt, hat Schulen, Krankenhäuser, UN-Konvois und Flüchtlingslager bombardiert. Wie Amnesty in seinem Report zu Gaza berichtet, fehlt im israelischen Vorgehen fast keine Art von Kriegsverbrechen, die gezielte Tötung von Journalisten und Folterung von Kriegsgefangenen eingeschlossen. Provoziert vom Terrorangriff der Hamas vom 7.Oktober 2023 mit 1200 Opfern hat Israel nicht nur Vergeltung an der Zivilbevölkerung im Verhältnis von 40:1 geübt (zur Erinnerung: die SS-Kriegsverbrecher in Italien hielten sich bei den “rappresaglie” an das Verhältnis 10:1), sondern mehrfach haben Regierungsvertreter Tel Avivs angekündigt, dass alle Palästinenser in Gaza als Terroristen oder Unterstützer eliminiert werden müssen (Amnesty-Bericht 2024, S.3). Die kriminelle Energie der Hamas ist von der genozidalen Strategie der heutigen Führung Israels, das seit 57 Jahren völkerrechtswidrig Palästina besetzt, weit in den Schatten gestellt worden.

    Wie verhält sich nun der Westen, der ansonsten bei jeder Gelegenheit die internationale Friedensordnung, die territoriale Unversehrtheit der Staaten und das Völkerrecht beschwört? Während die USA bei allen Abstimmungen in der UN schützend die Hand über Israel gehalten haben, haben sich die EU-Länder teils an die Seite Israels gestellt teils enthalten. Aus Europa kam fast keine offene Kritik am israelischen Völkermord. Es war Südafrika, das am 29.12.2023 die vollauf berechtigte Klage wegen Verletzung der Konvention gegen Völkermord  gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof IGH in Den Haag deponierte. In seinem Beschluss vom 26. Januar 2024 ordnete das Gericht eine Reihe von vorläufigen Maßnahmen gegen Israel an, wobei es die Plausibilität der Behauptungen Südafrikas und die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Streitfall anerkannte. Obwohl es Israel nicht zur Aussetzung seiner militärischen Operationen in Gaza aufforderte, ordnete das Gericht Israel an, Maßnahmen zu ergreifen, um Akte des Völkermordes im Gazastreifen zu verhindern. Trotz mehrfacher Eilanträge Südafrikas, ignorierte Israel diese Urteile und setzte seine Verbrechen fort. Der Westen blieb passiv.

    Im Mai 2024 hat die Staatsanwaltschaft des Internationalen Strafgerichtshofs IStGH den Antrag auf Strafverfolgung von Netanjahu, Gallant und einem Führer der Hamas gestellt wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die mutmaßlichen Kriegsverbrecher haben ihre Verbrechen seitdem nicht nur fortgesetzt, sondern ihre Aggression auf den Libanon und Syrien ausgeweitet sowie die Unterdrückung der 3,3 Millionen Palästinenser im Westjordanland verschärft. Der politischen Unterstützung durch den Westen hat dies keinen Abbruch getan. 

    Der Befund ist niederschmetternd: Israel, koloniales Siedlerprojekt, Besatzungsregime und Apartheidstaat, darf ungestraft Völkermord begehen. Es wird dabei von den USA bedingungslos auf militärischer und politischer Ebene unterstützt. Die meisten europäischen Staaten bleiben nicht nur politisch untätig, sondern beliefern Israel sogar mit Waffen. In der Ukraine wird jedes russische Kriegsverbrechen zu Recht angeprangert, doch gegenüber Israel gelten andere Maßstäbe. Es ist nicht erst der Fall Gaza, wo der Westen bei der Einhaltung des Völkerrechts versagt: unvergessen die Invasion im Irak 2003. Doch nie zuvor ist deutlicher geworden, wie zweierlei Maß angelegt wird. Unter dem Schutt von Gaza ist auch das “humanitäre” Völkerrecht und die Konvention gegen Völkermord begraben worden.

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Peter Gasser Sat, 12/28/2024 - 19:49

Sie bezeichnen “Israel” als “koloniales Siedlerprojekt”: das demnach beendet werden müsste, also sind Sie, um konkret zu werden, für die Eliminierung des Staates Israel?

Sat, 12/28/2024 - 19:49 Permalink
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Hartmuth Staffler Sat, 12/28/2024 - 21:31

In reply to by Peter Gasser

Ich habe den Begriff "koloniales Siedlerprojekt" in diesem Zusammenhang so verstanden, dass er sich nicht auf den Staat Israel, sondern auf die israelische Siedlungspolitik bezieht, die darin besteht, Menschen aus ihrer Heimat zu vertreiben und an ihrer Stelle israelische Siedlungen zu bauen, wobei die israelischen Siedler, vom Militär gedeckt, meist gewaltsam gegen die Menschen vorgehen, die ihre Heimat verteidigen wollen. Diese Siedlungspolitik wird auch in Israel selbst zum Teil heftig kritisiert. Es gibt in Israel ja auch schon Forderungen, den Gaza-Streifen zu einem israelischen Siedlungsgebiet zu erklären und die dortige Bevölkerung zu vertreiben. Man muss anerkennen, dass es in Israel heftige Kritik an diesen Plänen gibt. Daher kann man nicht Israel pauschal verurteilen, sondern man sollte versuchen, die dortigen Stimmen der Vernunft zu stärken.

Sat, 12/28/2024 - 21:31 Permalink
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Peter Gasser Sat, 12/28/2024 - 22:37

In reply to by Hartmuth Staffler

Dem kann ich nicht folgen - die Syntax ist hier eindeutig durch die Verwendung des Singular beim Verb.
Hier steht: “Israel, koloniales Siedlerprojekt, Besatzungsregime und Apartheidstaat, darf ungestraft Völkermord begehen”.

Also: “Israel (Einschub, der erklärt was Israel ist) darf ungestraft Völkermord begehen”.

Daher bleibt meine Frage an den Autor aufrecht.

Sat, 12/28/2024 - 22:37 Permalink