Literatur im Ring
Die vier Autoren steigen in den Ring. Das Publikum ist angespannt. Keiner weiß so recht, was gleich passieren wird; selbst die Autoren nicht. Die Lesung „Kampf“ ist eröffnet.
Gerd Sulzenbacher, Louis M. C. Schropp, Daniel Brandlechner und Matthias Vieider haben den selben (gemeinsam geschriebenen) Text vor sich liegen. Wer was lesen soll, ist nicht geklärt. Stattdessen wird improvisiert. Bald schon kommt es zur ersten Unterbrechung, ein Moment der Stille, unsichere Blicke, die durch das Publikum wandern. Schlussendlich findet sich jedoch doch jemand, der den Text weiter vorträgt. Gerd isst eine Semmel und liest kauend weiter - bis er plötzlich unterbrochen wird. Die Autoren fallen sich gegenseitig ins Wort, lesen teilweise gleichzeitig, zweistimmig oder im Kanon. Sie heben ihre Stimmen um sich Gehör zu verschaffen und fordern die Anderen mit Blicken oder Stimme auf zu übernehmen.
Doch der eigentliche Kampf hat schon früher begonnen. Das Schlachtfeld ist ein online-Dokument, auf das jeder der vier Autoren jederzeit zugreifen konnte und das von jedem bearbeitet, überschrieben und gar gelöscht werden konnte. Vorgaben für den Text gab es keine; frei von Inhalt lieferten sich die Vier dort seit Anfang Dezember 2017 einen von der Öffentlichkeit unbemerkt gebliebenen Literaturkampf ab. Ein Kampf, der mit der Lesung des entstandenen Textes in einer letzten großen Schlacht (und im Sinne der Umarmung) im Perinetkeller in Wien, am Samstag 27.01.18 sein Ende fand.
Das Endresultat, der gelesene Text, lässt spüren, dass verschiedene Stimmen am Werk waren. Für ZuhörerInnen, wie auch für die Autoren, bleibt es bis zum Ende ein Rätsel, wer denn nun was geschrieben hat; außerhalb des online-Dokuments wurde der Text von den vier Autoren nicht diskutiert. Das Zwischenmenschliche des kollektiven Arbeitens wurde bewusst vermieden, doch die Spannungen, die durch die Kompromisslosigkeit der Durchsetzung der eigenen Worte entstanden sind, leben im Text weiter. Auch wenn die vier Stimmen zu einem einzigen gemeinsamen Gedankenfluss zusammenfließen, erinnern bewusst platzierte Störmomente immer wieder an den Entstehungsprozess des Textes. Wenn die Geschichte jemals einen Handlungsstrang besaß, so ging dieser im Laufe des Kampfes verloren; der Gedankenfluss basiert größtenteils auf Wortlauten. Immer wieder finden sich Alliterationen, Lautmalereien und sogar versteckte Binnenreime, die Frieren im Frühjahr, frior in frühjohr nach Friaul-Julisch-Venetien verfrachteten. Ansonsten brüsten sich die Autoren mit gewaltigen Wortkreationen, die immer wieder für einen Lacher im Publikum sorgen. Zwischen den Gipfelkreuzen, Wasserlassenschaften und Bauernbundplakaten ein saperlott, ein paar Fischkörperrümpfe und zurück zu den Wasserlassenschaften; jenem ständig wiederkehrenden Thema, das wohl mindestens einem der Autoren ein besonderes Anliegen war. Deutsch, Südtirolerisch und Italienische vermischen sich fließend im Text und auch der Kaser im Kasten deutet einmal mehr auf den Hintergrund der vier Autoren hin.
Der Kampfcharakter zieht sich durch den gesamten Prozess des Schreibens und überträgt sich in seiner Improvisation auch auf das Format der Lesung. Und obwohl sich die durch das gemeinsame Schreiben entstandenen Gruppendynamiken und Spannungen auch im Ring nicht entluden und es bei einem literarischen Kampf blieb, kann die Lesung selbst als eine Kampfansage aufgenommen werden: angenehm provokant, hinterfragt sie die Beziehungen zwischen einem Autor und seinem Text, aber auch zwischen dem Lesenden und seinem Publikum und bietet dadurch eine Alternative zu klassischen Schreibprozessen und Lesungsformaten.
Die Lesung Kampf, ist die dritte Veranstaltung der Lesereihe BJSLAD21JH, der Blutjungen südtyrolischen Literatur aus dem 21. Jahrhundert, einem Titel der die Zufälligkeiten des Zusammenkommens dieser literarischen Zusammenarbeit vereint. Das mehr oder weniger „südtirolerische“ Y spielt darin auf die alte Schreibweise Tyrols an („Das einzige literarische Element im Titel“, L.M.C. Schropp) und konfrontiert auf ironische Art und Weise die Regionalisierung von Literatur, insbesondere der Südtiroler. Mit BJSLAD21JH wollen die vier jungen Autoren sowohl das Schreiben im Kollektiv, als auch Lesungsformate neu experimentieren. Jede Lesung folgt einem bestimmten Thema, einem eigenen Format und wird von einem der vier Autoren kuratiert.
Die ersten beiden Lesungen von BJSLAD21JH fanden im September in der Casa Nang in Brixen und im November auf der Jubiläumswarte in Wien statt. Die vierte Lesung wird im März in der Proseccobar in Wien stattfinden und steht unter dem Motto Schlagabtausch. Beim fünften und letzten Treffen im Wiener Literaturhaus wird es im April zum Abschluss der Lesereihe kommen.