Society | Erhebung

Lost in Corona

Viel ist seit Beginn der Corona-Pandemie verloren gegangen: Lebensfreude, häuslicher Frieden, Vertrauen, Fitness. Das belegen Daten des ASTAT.
Atemschutzmaske
Foto: Claudio Schwarz on Unsplash

Worauf Fachleute nicht erst seit gestern hinweisen, bestätigen nun nüchterne Daten: Den Menschen geht es stimmungsmäßig deutlich schlechter als noch im ersten Lockdown vor einem Jahr. Lebensfreude, häuslicher Frieden, Vertrauen und Fitness sind im Zuge der Corona-Pandemie verloren gegangen. Am meisten leiden Frauen und Junge.

Das belegt eine Umfrage, die das Landesstatistikinstitut ASTAT im Jänner 2021 basierend auf Fragen des Forum Prävention in Südtirol durchgeführt hat und die Teil einer allgemeinen Erhebung über die Meinungen und Verhaltensweisen der Bürger ab 18 Jahren im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie ist.

 

Wie geht es uns?

 

Auf die Frage nach dem persönlichen Wohlbefinden gaben 7 von 10 Südtirolern an, im mindestens die Hälfte der Zeit glücklich und gut gelaunt zu sein sowie ruhig und entspannt zu sein. 6 von 10 fühlten sich die meiste Zeit aktiv und energisch, frisch und wachten ausgeruht auf und hatten ein Alltagsleben voller interessanter Ereignisse.

Aufgeschlüsselt nach Geschlecht, zeigt sich ein etwas besseres Wohlbefinden bei Männern als bei Frauen und ein stärker verbreitetes Unbehagen bei jüngeren als bei älteren Menschen.


Blick hinter die eigenen vier Wände

 

87% der Befragten, die nicht alleine leben, geben an, dass die Stimmung im Haus im Jänner entspannt war, für 83% gab es kaum oder gar keine Konflikte. 75% bezeichneten die häusliche Stimmung als nicht stressig. Allerdings zeigt sich im Vergleich zu den Daten, die während des Lockdowns im Frühjahr 2020 erhoben wurden, eine Verschlechterung. Die Anteile derjenigen, die die häusliche Stimmung als sehr kooperativ, nicht konfliktreich und nicht stressig beschreiben, sinken um rund zehn Prozentpunkte.


Comeback des Schweinehunds

 

40% der volljährigen Südtiroler – unabhängig von Geschlecht und Alter – geben an, dass sie sich im Jänner 2021 weniger körperlich betätigt haben als vor der Corona-Pandemie. 10% geben an, mehr ungesunde Lebensmittel gegessen zu haben, 8% haben mehr Alkohol getrunken und 5% haben mehr geraucht. Diese drei Verhaltensweisen gibt es keine signifikanten geschlechtsspezifischen Unterschiede, aber sie sind bei den Jüngeren weiter verbreitet als bei den Älteren.

 

Wem vertrauen wir?

 

Ein Drittel der Befragten gibt an, dass ihr Vertrauen in Institutionen und Medien gegenüber der ersten Phase der Covid-19-Pandemie gesunken ist. Das schlechteste Ergebnis erzielten die politischen Einrichtungen: 49% der Südtirolerinnen und Südtiroler geben an, dass sie weniger Vertrauen in sie haben als im letzten Frühjahr. Das Vertrauen in die Medien ist bei 40% der Bevölkerung gesunken. Die Ordnungshüter und die Sanität verzeichneten hingegen einen geringeren Rückgang des Vertrauens.

Sowohl in Bezug auf die Institutionen (ausgenommen Ordnungshüter) als auch auf die Medien ist das Vertrauen bei den Männern etwas stärker gesunken als bei den Frauen. Der Vertrauensschwund bei den jungen Menschen ist stärker als bei den älteren.

 

Koler: “Besorgniserregendes Bild”

 

Unterm Strich zeigen die Daten im Vergleich zur Erhebung vom ersten Lockdown im März 2020: Die Stimmungslage der Südtiroler Bevölkerung hat sich deutlich verschlechtert. Peter Koler, Direktor des Forum Prävention, kommentiert die Erkenntnisse in einer ausführlichen Stellungnahme:

“Die anhaltende Coronakrise wirkt sich sichtbar aus. Beim Wohlbefinden spalten sich die Befragten in zwei Gruppen: Zwei Drittel identifizieren sich (noch) mit positiven Stimmungen und Gefühlen, die als Indikatoren für eine körperliche und psychische Stabilität gelten. Sie waren – zumindest mehr als die Hälfte ihrer Zeit – gut gelaunt, ruhig, entspannt, aktiv, erlebten sich in ihrem Alltag aufgehoben und waren – einer der wichtigsten Indikatoren – ausgeschlafen. Eine bzw. einer von drei – und das ist nicht mehr die Randgruppe, wie wir sie sonst aus ähnlichen Befragungen kennen – ist in ihrem persönlichen Wohlbefinden angeschlagen. Gleich wie bei der Studie zum ersten Lockdown leiden Frauen und insbesondere die jüngste Altersgruppe am stärksten unter den veränderten Lebensbedingungen und den zusätzlichen Belastungen. Bei den 18- bis 29-Jährigen sinkt der Prozentanteil bei den Variablen ‘ausgeschlafen’, ‘aktiv’ und ‘Alltagsinteressen’ auf fast 50%.

Ersichtlich wird die Verschlechterung auch bei den Ergebnissen zur ‘häuslichen Stimmung’, vor allem in Bezug auf die Zunahme von häuslichen Konflikten und von Stress. Auch hier sind es wieder die Frauen und die jüngste Altersgruppe, die die höchsten Werte verzeichnen. 25% der Personen leben in einer stressigen häuslichen Stimmung. Bei Familien mit minderjährigen Kindern steigt dieser Wert nochmals um fast 10 Prozentpunkte an. Langfristig hat Stress negative Auswirkungen auf die einzelne Person (biologische und psychische Gesundheit), die gesamte Familiendynamik sowie das gesellschaftliche Gefüge insgesamt. Ein entspanntes und versorgendes Familienklima bräuchte es aber aktuell umso mehr, weil es als Ressource für Belastungssituationen dienen könnte.

Besorgniserregend sind die Veränderungen zu Bewegung und Sport: 40% der Befragten berichten, dass sie sich weniger bewegen. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die körperliche Fitness. Mit dem Verlust von Bewegungsmöglichkeiten geht eine der wesentlichen Bewältigungsstrategien für ein persönliches psychisches Gleichgewicht verloren. Die Erhebung zeigt auch eine direkte Korrelation zwischen Abnahme von Bewegung und Zunahme des Alkoholkonsums. Als Reaktion auf diese Negativdynamik müssen bald wieder Voraussetzungen geschaffen werden, die Bewegung unter Wahrung der allgemein bekannten Regeln leichter möglich machen. Der Individualsport alleine wird diese Situation nicht verbessern. Insbesondere Jugendliche brauchen den Ansporn der Gruppe und des Vereins, um in Bewegung zu bleiben und Sport regelmäßig zu betreiben. Nicht verwunderlich ist es, dass andere ‘Bewältigungsstrategien’ für unangenehme Gefühlslagen wie der Konsum von Tabak und Alkohol und der Verzehr von ungesunden Lebensmitteln gerade bei der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen im Steigen sind.

Auch in Bezug auf das Themenfeld Vertrauen entsteht ein sehr bedenkliches Bild. Nur mehr die Hälfte vertraut den politischen Einrichtungen gleich wie während des ersten Lockdowns. Auch die Medien haben stark an Vertrauen eingebüßt. Diese bereits beim ersten Lockdown sichtbar gewordene Entwicklung befeuert eine Dynamik, in der Schuldige gesucht werden, die verantwortlich gemacht werden können für die aktuelle Situation. Gleichzeitig wandert das weiterhin bestehende menschliche Bedürfnis nach Vertrauen ab und sucht neue ‘Vertrauensfiguren’. Auch hier ist es wieder die jüngste Altersgruppe, die Vertrauensverluste über dem Mittelwert der restlichen Befragten aufweist und so potenziell empfänglich wird für andere Projektionsfiguren oder Verschwörungserzählungen, die Lösungen und Hilfe versprechen.”