Von richtigen und falschen Informationen

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In Anlehnung an die im Artikel „SALTOs dritter Weg“ entstandende Debatte über „Falschinformationen“, Meinungs- und Redefreiheit möchte ich dieses Thema etwas ausführlicher aufgreifen.
Kurzzusammenfassung der Debatte: Es ging um die Frage, was „Falschinformationen“ sind und wie damit zu verfahren sei. Es wurde darüber diskutiert, was der Unterschied zwischen „Meinungen“ und „Fakten“ sei und es wurde auch unterschieden zwischen „bewusster“ Verbreitung von Falschinformationen im Gegensatz zur „unbewussten“ Verbreitung.
Ich möchte nun einige Aussagen auflisten und frage mich, welche dieser Aussagen in die Kategorie „bewusste Falschinformation“ fallen und ob diese FakeNews/Desinformationen in der Tat so problematisch sind, dass es im Sinne der Allgemeinheit wäre, diese Nachrichten zu löschen.
1. Inter war im Champions-League-Halbfinale von 2009/10 gegen Barcelona eindeutig die bessere Mannschaft und zog somit verdient ins Finale ein.2. Barcelona war im Champions-League-Halbfinale von 2009/10 gegen Inter eindeutig die bessere Mannschaft, obwohl sie ausgeschieden sind.
3. Es ist menschenverachtend, einem alten Menschen im Altersheim zu verbieten, sein Enkelkind zu sehen.
4. Es war richtig, alten Menschen im Altersheim den Kontakt zu Mitmenschen zu verbieten, um die Kurve abzuflachen.
5. Arno Kompatscher hat in Rom eine sehr gute Autonomiereform rausgehandelt.
6. Arno Kompatscher hat in Rom schlecht verhandelt.
7. Die SVP ist unwählbar.
8. Die SVP ist unter den Südtiroler Parteien nach wie vor das beste Gesamtpaket.
9. Schokolade macht dick.
10. Schokolade ist gesund.
11. Wir haben ein gutes Gesundheitssystem, weil...(Auflistung guter Aspekte).
12. Wir haben ein schlechtes Gesundheitssystem, weil...(Auflistung schlechter Aspekte).
13. Ich denke die Erde ist flach, weil für mich der Mond und alle Planeten wie ich sie am Himmel beobachte wie Scheiben wirken.
14. Ich denke die Erde ist eine Kugel, weil ich nicht deppert bin.
15. Die Wahlversprechen von Partei XY sind Lügen und die Partei wird sie nach den Wahlen eh nicht umsetzen.
Gestern stand z.B. im Wetterbericht, es würde heute regnen. Es hat am Ende nicht geregnet. Manche werden sich schon mal über sowas geärgert haben, aber niemand kam auf die Idee, den gestrigen Wetterbericht als „Falschinformation“ zu kennzeichnen oder ihn gar zu löschen.
Wollen wir in Zukunft wirklich jedes Wort auf die Waagschale legen und z.B. die Aussage „Die SVP ist unwählbar“ als FakeNews löschen, weil ja theoretisch jeder Wahlberechtigte auf dem Wahlzettel ein Kreuzchen bei der SVP machen könnte und diese Aussage dementsprechend eine „Falschinformation“ ist, während wir die Aussage „Für mich ist die SVP unwählbar.“ in Ordnung wäre, weil sie klar als Meinungsäußerung identifizierbar ist? Ich fände sowas ziemlich kleinkariert.
Richtig oder falsch?
Darüber hinaus sind „Falschinformationen“ nicht immer verlässlich und einwandfrei von „Richtiginformationen“ zu unterscheiden. Allein wenn ich an meinen Fachbereich (Humanmedizin) denke, fallen mir spontan mehrere Beispiele ein, bei denen es nicht so einfach wäre, eine Aussage als „richtig“ oder „falsch“ zu bezeichnen – insbesondere wenn es um komplexe Sachverhalte geht, die für das breite Publikum vereinfacht werden müssen, damit sie verständlich bleiben. Ich nenne ein Beispiel:
„Diabetiker haben Insulinmangel.“ - diese Aussage könnte man sowohl als richtig als auch als falsch bezeichnen: Die meisten Diabetiker haben nämlich eigentlich zu hohe Insulinspiegel, weil das Problem bei dieser Erkrankung ist, dass die Körperzellen gegen die Wirkung des körpereigenen Insulins abstumpfen und dadurch die Blutzuckerwerte trotz hoher Insulinspiegel nicht ausreichend sinken. Insofern wäre die Aussage „Diabetiker haben Insulinmangel“ eigentlich falsch. Gleichzeitig ist es aber so, dass ein Mangel an Insulin ebenfalls zu hohen Blutzuckerwerten und somit zu Diabetes führt. Wie soll ein Journalist oder ein Moderator in einem Kommentarbereich seriös und einwandfrei beurteilen, ob so eine Aussage nun eine „Falschinformation“ ist oder nicht?Wir sehen also, ein seriöser Faktencheck ist gar nicht so einfach. Daher frage ich mich, wie viel Zeit und Mühe man überhaupt in solche Faktenchecks stecken sollte? Welche Relevanz haben etwaige Falschinformationen überhaupt? Wie groß ist der Einfluss von Falschinformationen auf unser Leben?
Gestern stand z.B. im Wetterbericht, es würde heute regnen. Ich habe einen Schirm eingepackt. Es hat am Ende nicht geregnet. Manche werden sich schon mal über sowas geärgert haben, aber niemand kam auf die Idee, den gestrigen Wetterbericht als „Falschinformation“ zu kennzeichnen oder ihn gar zu löschen. Wenn Milo Tschurtsch einen Reisebericht auf salto.bz über seine Reisen in die Hohlerde oder nach Aldebaran veröffentlicht, ohne diese Beiträge als Satire/Fantasy zu kennzeichnen, welche negativen Folgen entständen dadurch? Wäre es „wichtig“ diese offensichtlichen „Falschinformationen“ zu löschen?
Die Frage nach der Relevanz und der Verhältnismäßigkeit
Macht es wirklich Sinn, dass wir uns hier im Kommentarbereich mit einer überschaubaren Reichweite darüber streiten, ob ein kontroverser Kommentar nun eine Falschinformation sei oder nicht, während gleichzeitig das österreichische Defizit vom Finanzministerium vor den Wahlen noch auf 3,3 % beziffert wurde, obwohl es 4,7% waren? Hierbei handelt es sich nämlich um eine Falschinformation, die eine massive Tragweite für die Bevölkerung einer gesamten Nation hat – insbesondere wenn die Falschinformation erst nach einer nationalen Wahl ans Licht kommt.
Ich fände es jedenfalls sinnvoller, wenn sich unser Eifer bei der Faktencheckerei und Entlarvung von FakeNews auf Bereiche mit Relevanz konzentrieren würde.
Mir ist klar, dass es hier um ein kontroverses Thema geht und ich einige wesentliche Punkte nicht angesprochen habe, z.B. den Spezialfall von medizinischen Informationen oder die Frage ob es vielleicht sogar ein Recht gibt die Unwahrheit zu sagen.
Mir ging es in erster Linie darum, drei Thesen in den Raum zu stellen:- Da Falschinformationen und Richtiginformationen nicht immer zweifelfrei zu unterscheiden sind und es oft um Nuancen in der Formulierung oder das Maß der Verdichtung einer Aussage geht, plädiere ich dafür, Aussagen im Zweifelfall nicht zu löschen, auch wenn sie womöglich falsch sein könnten.
- Die meisten Aussagen, die als Falschinformationen beanstandet werden, sind in ihrer Tragweite so bedeutungslos, dass es sich gar nicht auszahlt, Ressourcen dafür zu vergeuden, die man für wichtigere Recherche nutzen könnte.
- Das Löschen von Falschinformationen birgt viel Missbrauchspotenzial, insbesondere weil sehr viele Aussagen je nach Prioritätensetzung unterschiedlich bewertet werden können, dazu gibt es mehrere Beispiele im Text, wie z.B. die Einschätzung des CL-Halbfinales von 2009/10 oder die Einordung von Wahlprogrammen.
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