Kunst | Bolzano Art Weeks

Berührungspunkte mit der BAW

Drei Stichproben zu lohnenden Ausstellungen aus dem diesjährigen BAW (Über-)Angebot. Von Sternen und Wahrnehmung, Farnen und Gedanken, Menschen und Reisen. Zum Ende dieses Artikels folgt dann das, worum es bei Kunst vor allem andern gehen sollte.
O B A F G K M, silvia hell, Cut
Foto: Tiberio Sorvillo
  • O B A F G K M. Mit diesen sieben Buchstaben legte die Astronomin Annie Jump Cannon den Grundstein unserer modernen Kategorisierung von (Hauptreihe-)Sternen. Der Künstlerin Silvia Hell dienen sie als Ausgangspunkt für ein Projekt der Sichtbarmachung und Bildgebung, das der Ausstellung ihren Namen: „O, B, A, F, G, K, M“

    Das Kuratoren-Projekt CUT, das seit kurzem kein Spazio mehr ist, macht sich auf den Weg in den Weltraum und zu neuen Spielorten. Statt (nur) im Obergeschoss eines Bozner Friseursalons stellt man in Zukunft an wechselnden Orten in und um Bozen aus. Um den Lichthof eines Laubenhauses herum (der Nummer 48a) hat das Kuratoren-Duo aus Leonardo Cuccia und Maximilian Pellizzari, Silvia Hells neues Ausstellungs-Projekt eingerichtet. Es wächst in einen Raum hinein, der durch und durch temporär ist. Manche würden sagen renovierungsbedürftig. Eisenelemente zeigen über die Zeit hinaus zum Ende der Lebzeit eines Sterns, von dem meist nur ein Eisenkern bleibt. Einiger Bauschutt stammt aus der Zwischendecke, die im Innenhof einst das Licht der Sonne und anderer Sterne draußen hielt.

  • Nature for Strings: Den Soundtrack zur psychedelischen Videoarbeit, die zwei Bildebenen überlagert und in den Raum hinein strahlen lässt, hat der Komponist Antonio Giuranna geschrieben. Foto: Tiberio Sorvillo

    In Zusammenarbeit mit einem Astrophysiker, von dem Hell die Daten zu Absorptionsspektren erhalten hat, ging es der Künstlerin einmal mehr darum, die „Sprache“ ihrer wissenschaftlichen Kollegen in Symbole zu übersetzen. Diese auf lange Plexiglasstreifen gedruckten Motive krümmen sich unter dem Eigengewicht, erreichen uns nicht auf geradem Weg, sondern durch eine Krümmung des Raumes.

    Zusätzlich sind Darstellungen als Scheiben ausgekoppelt, die eine Art Draufsicht im Hof ermöglichen. Ein Zimmer weiter oben, den Rahmen einer Leinwand sprengend, finden wir eine viertelstündige Videoarbeit wieder, „Nature for strings“, die zwei Videos in Komplementärfarben übereinander legt und mit Sphärenklängen unterlegt. Nur auf den ersten Blick wirkt diese Projektion beiläufig oder schlecht ausgerichtet, auf den zweiten Blick erkennt man, dass das Video genau an der Grenze zwischen zwei Mauern abschließt. Sei es beim Blick auf kosmische Dimensionen wie mit Makroaufnahmen. Die Grenze zwischen Insekten und Himmelsphänomenen, wie etwa einer Windhose, die sich wie ein Regenwurm windet, wird durchlässig. Es kommen Bilder durch vorgehaltene Finger, die einen Meereshorizont zum Gefäßsystem machen. Außen wird Innen, Groß wird Klein und das alles richtig bunt.

    Ist der Ausstellungsname von Silvia Hell zu schwer zu merken? Astronom:innen lieben Merksprüche und folgender stammt (für die Galerie leicht „abgegendert“) von Annie Jump Cannon selbst: „Oh, be a fine girl/guy, kiss me“. Noch bis Samstag bietet sich die Gelegenheit.

     

  • Lichtfäden in tiefem Blau

    „Felici Felci“ hat einen Lichtblick geschaffen, wo es ihn besonders dringend brauchte: Im Wartezimmer der Psychiatrie im Krankenhaus Bozen. Zugegeben, der Begriff Wartezimmer, den man für den Bestimmungsort von Monica Smaniottos und Nadia Tamaninis Kunstwerke auf Leinen gewählt hat, ist ein funktionaler.

  • Unter Farnen Liefen: Die Arbeiten von Nadia Tamanini und Monica Smaniotto werden seit Mitte Juni gezeigt und hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Foto: SALTO

    Ein schmaler Korridor mit sieben Sitzplätzen und keinerlei Fenstern im ersten Stock des Gebäudes W bedurfte eines Lichtblicks. Die Bildungsinitiative Chiron und der Kulturverein lasecondaluna hatten daher eine Ausschreibung gestartet. Das Gewinnerprojekt „Felici Felci“ zeigt auf elf mittels Cyanotypie bedruckten Stoffbahnen mit Maßen von 90x100 oder 90x200 Zentimetern Farnmotive als naturbelassenes Negativ am preußisch Blau gefärbten Leinenstoff. Es ist seit Mitte Juni zu sehen.
    Worte eines zur Arbeit gleichnamigen zweisprachigen Gedichtes, das sprachspielerisch dem Farn gewidmet ist, werden mit gelbem Faden in die wie Vorhänge gehängten Bilder geschrieben, was dazu führt, dass die Arbeiten sowohl als Serie gelesen werden können, wie auch als Leinwand für sich. Ein Fenster ersetzen Kunstwerke im Gang zwar nicht, sie geben dem Zwischenort aber Ruhe und eine stille Kraft.
    Die „freudigen Farne“, bei denen das Gehirn im Italienischen gerne ein weiteres „i“ ergänzen würde, wurden dabei als Pflanze nicht von ungefähr von den beiden Künstlerinnen gewählt, sie sind Ergebnis einer Auseinandersetzung, der durch den Raum gegebenen Herausforderungen: geringe Distanz zu den Kunstwerken, suboptimales Licht und nicht zuletzt ein Publikum, das sich mitunter in einer Ausnahmesituation befindet. Für Tamanini und Smaniotto ist das Blau weniger mit Depression oder einem im Englischen wortwörtlichen „feeling blue“ verbunden, sondern mit Beruhigung, Entspannung und einem Eintauchen verknüpft, gebrochen durch die gelben Lichtfäden. Blau und Gelb gemischt ergeben, so erinnern die Künstlerinnen das Grün der Farne.

  • Blick in die Farne: Im Korridor ohne Fenster wäre es vielleicht auch echten Farnen nicht ohne Weiteres möglich zu überleben. Licht braucht auch der Mensch. Foto: Samira Mosca
  • Diese zu den ältesten Pflanzenarten des Planeten zählenden Gewächse sind widerstandsfähig und brauchen nur eine kleine Lücke im Blätterdach, einen Lichtblick, um zu überleben oder vielleicht sogar „felici“ zu sein. Auch haben Farne eine reinigende Funktion und produzieren für ihr unmittelbares Umfeld lebensnotwendigen Sauerstoff. Am Gang der Psychiatrie lassen die Bilder kurz aufatmen.

     

  • Noch tiefer ins Blau

    „Beyond the Veil“ von Petra Iris Grabowski und Giuseppe La Spada bringt zwei sehr verschiedene Arbeitsweisen um gemeinsame Themen in Verbindung zu einander, in der Galleria Stazione Uno (Bahnhofsalee 1). Giuseppe La Spadas Hochglanz-Fotografien nutzen das knappe Gut Wasser als Medium und auch, um einen Bruch zu erzeugen, er präsentiert weibliche Modelle in schwereloser Leichtigkeit Unterwasser, etwa Skirennläuferin Federica Brignone.

  • Beyond the Veil: Die Galerie am Bahnhofspark mag für viele keinen idealen Standort haben. Am Eck kam es zur Berührung zwischen zwei Welten. Foto: Petra Iris Grabowski

    Die Bilder sind sinnlich, ohne voyeuristisch zu wirken, bilden knapp unter der Wasseroberfläche Tiefe ab, die sich da und dort verdoppelt, durch eine gezerrte Spiegelung von unten. Zu den surrealen Bildern im Nichtraum Wasser, der bei aller Künstlichkeit der Meerjungfrau-Motive als Umfeld etwas Befreiendes hat, kommt, die Freiheit zu gestalten. Zugegeben, so bombastisch wie La Spadas Arbeit sind die kleinen, 10x10 Zentimeter großen Quadrate nicht, sie sind eher bescheiden. Die von Petra Iris Grabowski in diesen Ausstellungsraum eingeführte Methode zum Schaffen von Werken ist dafür eine kollektivere, die im globalen Austausch entsteht.

    „Textile Carthographie“ ist ein von 29 Gruppen mit Teilnehmern aus 18 Ländern gestaltetes Projekt, das Zeichnung, Stickerei und Fotografie eng miteinander verknüpft und sich ausweitende, weiter reisende Flickenteppiche schafft. Es dürfte auch mehr diese Arbeitsweise sein, die Quadrate aus Indien neben solche einer in Norwegen lebenden Künstlerin aus Marokko stellt, welche Runen mit dem Alphabet der Amazigh beziehungsweise Berber verwebt, die ermöglicht haben, in Bozen eine Nation hinzuzufügen. Die Künstlerin meint es ernst damit, dass jedem und jeder die Galerie offen steht und das Projekt frei zugänglich ist.Am Wochenende, so erzählt uns Petra Iris Grabowski beim Galeriebesuch, hat sie sieben Männer, die ihre Asylsuche von Nordafrika nach Bozen brachte, kurzerhand in die Galerie eingeladen und ihnen das Projekt erklärt. Auch um möglichen Spannungen vorweg zu greifen und böse Blicke zu entkräften. Als sie sie dazu eingeladen hatte, selbst Quadrate für die sich ausweitende Geschichte zu gestalten, musste sie wohl selbst überrascht gewesen sein, wie gut dies klappen sollte. Sie zeigt mir Fotos der sieben Männer am Tisch, andem auch ich sitze und jeder von ihnen war entweder konzentriert bei der Sache oder lächelte. Von Spannung keine Spur. Kunst de-eskalierte hier und hat eine Begegnung auf Augenhöhe ermöglicht.

    Fast alle zeichnen sie ihre Überfahrt übers Mittelmeer. Ein sechzehnjähriger Bub schreibt in ein Herz „I love Mamma“, weil sie ihm fehlt. Mit Filzstiften wurden erste Entwürfe gemacht und auf einen Stoffvorhang übertragen. Sie sollen dann Grundlage sein für in Stickerei umgesetzte Bilder, die den nächsten Schritt der Reise antreten und weiter nach Baltimore reisen werden, wo eine nächste Version des Werks dann neue Gestalter:innen antrifft. Zu entdecken gibt es dabei viele Details, wir wollen hier dennoch zwei unvollständige teilen. Sie sind vielleicht etwas vom Berührendsten bei dieser BAW.

  • Überfahrt: Ein Zeugnis von der Überfahrt. Im linken Eck des Fotos hat der Künstler den Todestag seines Bruders vermerkt, der einen Kilometer von der Küste entfernt bei einem Sturm über Bord gegangen sei. Foto: SALTO
  • Herkunft: Der jüngste der Teilnehmer an der spontanen Kunstsession, 16 Jahre alt, hält fest, was er am meisten vermisst. Foto: SALTO