„Ich habe immer ein offenes Ohr“
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SALTO: Herr Achammer, der Beruf der Mitarbeiter für Integration an Südtirols deutschsprachigen Schulen ist immer noch von Unsicherheiten geplagt, da es nach wie vor nur wenige Vollzeitstellen gibt. Ab dem Schuljahr 2026/2027 soll eine neue Stellenzuweisung greifen, um das Problem zu lösen. Wie genau wird diese neue Zuweisung aussehen?
Philipp Achammer: Derzeit sind wir noch in Diskussionen und dementsprechend noch auf dem Weg zur neuen Zuweisung.
Die Idee wäre, die Stellen nicht mehr jährlich aufgrund einer Stundenanzahl, die vom Krankheitsbild abhängt, zuzuteilen, sondern sie von vornherein der Schule oder dem Einzugsgebiet zuzuweisen. Der Vorteil wäre, dass die Stellen von vornherein definiert werden und in Vollzeit zur Verfügung stünden.
„Man kann es einem Mitarbeiter nicht zumuten, ein Leben lang in Unsicherheit zu arbeiten.“
Ein Beispiel: Ist aus den Erfahrungswerten bekannt, dass eine bestimmte Schule immer zwei Mitarbeiter für Integration hatte, werden dort zwei Stellen vorgesehen. Gegebenenfalls wird dann noch ein bisschen mit den Stunden gespielt oder sie werden erhöht, sollte es spezifische Situationen vor Ort geben. Dieses System wäre ein großer Vorteil für den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin was die Planung betrifft. Für sie ist die Situation oft untragbar: Laut Stellenplan hat der Mitarbeiter zwar eine Vollzeitstelle, in der Realität bekommt er aber niemals die Chance, in Vollzeit zu arbeiten, weil zum Beispiel die Stundenkopplung zu schwierig ist. Man kann es einem Mitarbeiter nicht zumuten, ein Leben lang in Unsicherheit zu arbeiten. Wir sind noch auf dem Weg zur neuen Zuweisung und ich hoffe, dass wir es schaffen. Aktuell gibt es zwischen den drei Bildungsdirektionen noch verschiedene Ansichten. Sollte es nicht klappen, müssen wir hin zu einem System der Auffüllstunden, um mehr Stunden für die Mitarbeiter zu erreichen. Das könnten zum Beispiel Aufsichts- oder Bibliotheksarbeiten sein.
„Es handelt sich um einen Beruf mit einer wirklich hohen psychischen wie physischen Belastung.“
Können die Mitarbeiter für Integration dadurch auch andere Aufgaben übernehmen?
Nein. Das System würde bedeuten, dass die Mitarbeiter durch ihr Berufsprofil eine Vollzeitstelle erreichen. Im laufenden Schuljahr sind wir in Zusammenarbeit mit dem Sozialen dabei – auch wenn es relativ spät ist – eine Möglichkeit für das System der anderen Tätigkeiten zu prüfen. Das bedeutet, dass wir noch ein Paket an Stunden haben, das wir zusätzlich zuweisen können. Konkret handelt es sich um Tätigkeiten wie das Begleiten der Schüler zur Musikschule oder Ähnlichem.
Die Herausforderungen sind bereits länger bekannt. Warum wird erst 2026/27 gehandelt?
Die Neuerung bringt natürlich eine große Umstellung im Hinblick auf die Stellenwahl. Außerdem müssen wir die aktuelle Ist-Situation genau analysieren. Wenn man sich beispielsweise vor Augen führt, wie früh man sich schon in eine Rangordnung eintragen muss, um im folgenden Jahr wählen zu können, versteht man, dass es eine gewisse Vorbereitungszeit braucht.
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Auch wenn die Stellenzuweisung geändert wird, ist die Zahl der Mitarbeiter für Integration derzeit teils zu niedrig für den Bedarf an den deutschen Schulen. Wie kann die Zahl der Integrationsmitarbeiter aufgestockt werden?
Die Zahl wurde mehrmals aufgestockt. Wir sind jetzt bei 301 Vollzeitstellen. Zum Vergleich: Vor 10 Jahren waren es zwischen 60 und 70 Stellen. Wir stocken eigentlich jährlich auf. Ein Teil wird über die Stellenwahl, der andere in Direktberufung besetzt. Fakt ist aber, dass es deutlich schwieriger wird, die Stellen zu besetzen und Betreuer und Mitarbeiter für Integration zu finden.
Warum?
Das hängt mit mehreren Aspekten zusammen. Erstens handelt es sich um einen Beruf mit einer wirklich hohen psychischen wie physischen Belastung, vor allem, wenn man in Vollzeit arbeitet. Der zweite Punkt ist das Gehalt, und das obwohl wir mit 1. Jänner 2025 die Mitarbeiterzulage erhöht haben. Die dritte Herausforderung ist besagte Unsicherheit. Mitarbeiter in sozialen Berufen werden händeringend gesucht, nicht nur an den Schulen. Die Arbeitnehmer wählen dann oft den Beruf mit mehr Planbarkeit, zum Beispiel in der Privatwirtschaft.
Das Problem der fehlenden Mitarbeiter für Integration kann also gelöst werden, indem die berufliche Unsicherheit beseitigt wird?
Genau, die Unsicherheit muss auf jeden Fall überwunden werden, um das Berufsbild attraktiver zu gestalten. Außerdem müssen die Gehaltserhöhungen in Angriff genommen werden. Diese stehen in vielen Bereichen jetzt an.
„Die Zahl der Schüler mit Bedarf an individueller Unterstützung hat stark zugenommen.“
Auch von den Integrationslehrpersonen hört man Klagen. In Italien wird auf 100 Schüler mit nachgewiesener Beeinträchtigung eine Lehrperson gerechnet. „Zu wenig“, lautet die Kritik der Lehrkräfte.
Der Schlüssel ist gesetzlich festgelegt und besteht seit vielen Jahren. Das aktuelle Schuljahr ist gelaufen, auch wenn wir noch versuchen, mit Notkontingenten aufgrund der spezifischen Situation zu helfen. Für das neue Jahr wird man aber auf alle Fälle darüber reden müssen, ob man einen neuen Weg findet, denn die Decke reicht aktuell nicht aus.
„Es gibt viel mehr Schüler aus sozial prekären Umfeldern.“
Im Arbeitsalltag kümmern sich Integrationslehrer auch um Schüler, die, aufgrund von Lernschwächen zwar nicht zum Schlüssel der 100 zählen, trotzdem aber besondere Bedürfnisse haben. Sollten diese nicht auch in die Rechnung aufgenommen werden, um das Stellenkontingent der Integrationslehrer zu erhöhen und so einen besseren Unterricht zu garantieren?
Für Kinder mit Migrationshintergrund gibt es ein eigenes Kontingent für Sprachförderlehrpersonen. Ich muss an dieser Stelle aber sagen, dass die Zahl der Schüler mit Bedarf an individueller Unterstützung stark zugenommen hat. Ich bin deshalb dafür, dass das Gesetz, das die Zahl der Integrationslehrer regelt, nochmal überdacht wird. Vom Gefühl her wird die Zahl der Integrationslehrpersonen aber nie genug sein. Die Klassen heute unterscheiden sich stark von jenen vor 20 Jahren. Es gibt viel mehr Schüler aus sozial prekären Umfeldern, mit sprachlichen Herausforderungen oder anderen Schwierigkeiten. Entgegen dem System der Integrationslehrer gibt es auch die provokante These des Inklusionsexperten Igor Janes, die sich gegen das Berufsbild der Integrationslehrer ausspricht, da alle Lehrkräfte im gleichen Maß für die Schüler da sein sollten.
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Aber noch einmal: Würde es Sinn machen, auch Schüler, die aufgrund einer Lernschwierigkeit oder Ähnlichem zwar das Bedürfnis nach individueller Unterstützung haben, laut Gesetz jedoch kein Recht darauf haben, in die Zahl, die die Anzahl der Integrationslehrer bestimmt, aufzunehmen, um mehr Stellen zu erreichen?
Die einzelnen Fälle in den Schulen sind sehr unterschiedlich, sodass man vermutlich von Fall zu Fall entscheiden müsste. Bei Schülern mit Auffälligkeiten im Sozialverhalten – es gibt dort teilweise sogenannte Systemsprenger – haben auch die Integrationslehrpersonen oft Schwierigkeiten. Deshalb muss man sich überlegen, ob es für gewisse Situationen eventuell andere Angebote gibt, um die Herausforderung zu meistern oder die Betroffenen zu unterstützen. Ich bin deshalb der Meinung, dass man differenziert hinschauen muss.
Bezogen auf beide Berufsbilder: Wie wird die Qualität der Integrationsarbeit an den Schulen evaluiert und sichergestellt?
Da die Direktberufungen bei Mitarbeitern für Integration zugenommen haben, müssen wir den Betroffenen nahelegen, schnell Qualifizierungskurse zu besuchen – auch berufsbegleitend. Bei den Integrationslehrpersonen haben wir versucht, die Ausbildung zu überarbeiten. Früher war es nämlich so – und das ist der Grund, warum wir immer zu wenige von ihnen hatten – dass die Integrationslehrer drei Ausbildungsschritte durchlaufen mussten: Fachstudium, Lehrbefähigung und Spezialisierungslehrgang für Integration. Dieser Weg kann bis zu 15 Jahre dauern. Wir haben das geändert, sodass die Lehrbefähigung nun nicht mehr notwendig ist, um das Berufsbild auszuüben. Eine erste solche Gruppe gibt es bereits, aber wir müssen weiter in diese Richtung arbeiten.
„Mit jedem, der sich meldet, wird geredet.“
Sowohl Mitarbeiter für Integration als auch Integrationslehrer fühlen sich oft nicht gehört- auch von der Politik. Können Sie das nachvollziehen?
Ich stehe im Austausch mit sehr vielen Gruppen, auch in diesen Bereichen. Es gibt keine Interessensvertretung für Integrationslehrpersonen. Trotzdem rede ich mit vielen. Die Fachstelle für Inklusion vertritt das Personal. Mit Mitarbeitern für Integration habe ich in diesen Jahren sehr viele Gespräche geführt – sowohl über die Gewerkschaftsvertreter als auch über den Dachverband für Sozialberufe. Die Frage ist, mit wem man redet, um möglichst viele zu erreichen. Aber: Mit jedem, der sich meldet, wird geredet. Ich habe immer ein offenes Ohr.
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