Wirtschaft | Banca d'Italia

Sind die fetten Jahre vorbei?

Die regionale Wirtschaft nähert sich dem italienischen Durchschnitt: Unternehmen suchen neue Märkte, legen Geld auf die hohe Kante und knausern mit Investitionen.
Banca d'Italia Report
Foto: DO/SALTO
  • Die fetten Jahre scheinen erst einmal vorbei. Zwischen 2007 und 2023 lagen die Provinzen Bozen und Trient in Bezug auf ihr Wirtschaftswachstum weit über dem italienischen Durchschnitt. Das hat sich seit 2023 jedoch geändert und bis 2025 zugespitzt. „So nahe wie heuer waren wir dem italienischen Durchschnitt noch nie in der Geschichte“, betont Michele Cascarano, Vorsitzender der Forschungsabteilung der Banca d‘Italia, beinahe etwas verdutzt. In der Trientner Filiale der italienischen Zentralbank stellte Carascano heute gemeinsam mit Gennaro Sansone, dem Leiter der Filiale in Trient und Stefano Francescon, Leiter der Filiale Bozen, die Ergebnisse des aktuellen Konjunktur-Updates für die autonomen Provinzen Trient und Bozen vor. Aus dem Bericht geht für Südtirol das Bild eines verhaltenen, aber stabilen Wirtschaftswachstums hervor – und das ist nicht unbedingt ein Grund zur Freude.

  • Auf dem Boden der Tatsachen: Wirtschaftsentwicklung der Provinzen Bozen und Trentino nähern sich dem italienischen Durchschnitt an. Foto: Banca d'Italia
  • Exporte finden neue Wege

    Im ersten Halbjahr 2025 legte das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Provinz Bozen um 0,5 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu. Damit liegt Südtirol leicht unter dem Wert der Nachbarprovinz Trient (+0,7 Prozent). „Überall ist angesichts der Weltlage ein Gefühl der Unsicherheit spürbar, das dämpft die Investitionsneigung“, erklärt Sansone. Dennoch sind leichte Anstiege bei Exporten und Konsum zu verzeichnen, die sich positiv auf die Wirtschaft auswirken. Zwar würden unsere regionalen Exporte unter den wirtschaftlichen Problemen Deutschlands – dem wichtigsten Handelspartner – leiden, jedoch stiegen die Exporte im letzten Halbjahr um 1,6 Prozent und lagen damit über dem nationalen Durchschnitt. 

    Agrarprodukte, Lebensmittel und Fahrzeuge wurden weniger an die üblichen zentralen Märkte der Eurozone geliefert, sondern vor allem nach Osteuropa, hauptsächlich nach Rumänien, und in die USA exportiert. Die höhere Nachfrage in den USA sei vor allem auf vorgezogene Warenbestellungen zurückzuführen, die noch schnell vor der Einführung höherer US-Zölle getätigt wurden.

  • Kein Jubel auf dem Immobilienmarkt

    Auch Südtirols Bauwesen scheint zu schwächeln: der Anteil der Unternehmen mit steigenden Umsätzen fiel, laut Wirtschaftsforschungsinstitut der Handelskammer Bozen, deutlich. Trient entwickelte sich hier besser. Ende 2024 ging die Zahl der Immobilienkäufe und -verkäufe noch zurück, im ersten Halbjahr 2025 stabilisierte sich der Markt, also wurde wieder mehr oder zumindest nicht weniger gehandelt. Auch öffentliche Investitionen, etwa im Rahmen des nationalen Wiederaufbauplans (PNRR) und der Vorbereitungen für die Olympischen Winterspiele 2026, wirkten stabilisierend. Die Immobilienpreise stiegen wieder um sieben Prozent gegenüber dem Vorjahr, verglichen mit 4,2 Prozent im italienischen Durchschnitt.

    Auch der Dienstleistungssektor wuchs weiter, getragen von Tourismus, Handel und Transport. Die Zahl der Übernachtungen erhöhte sich im ersten Halbjahr um 1,6 Prozent. Während die Zahl deutscher Gäste leicht zurückging, stieg die Zahl der Gäste aus Osteuropa, den Niederlanden und den USA.

  • Nur wenige Schuldner zahlen nicht

    Die Kreditqualität in Südtirol bleibt ausgesprochen hoch. Nach Angaben der Banca d’Italia hat sich die finanzielle Solidität der vergebenen Bankkredite im ersten Halbjahr 2025 nicht verschlechtert. Nur 1,1 Prozent der neu vergebenen Darlehen wurden als notleidend eingestuft – also als Kredite, bei denen die Rückzahlung teilweise oder ganz ausgesetzt ist, weil Schuldner ihre Raten nicht mehr regelmäßig bedienen können. Dieser Anteil liegt sogar etwas unter dem italienweiten Durchschnitt von 1,2 Prozent. 

    Auch bei Unternehmenskrediten zeigt sich ein sehr positives Bild: Lediglich 0,3 Prozent der Kredite wiesen Zahlungsrückstände auf, während es im Landesdurchschnitt 0,9 Prozent waren.

  • Arbeitsmarkt: Beschäftigung geht leicht zurück, die Arbeitslosenquote bleibt aber eine der niedristen Italiens. Foto: Banca d'Italia
  • Arbeit und Liquidität

    Am Arbeitsmarkt ging die Beschäftigung leicht zurück: Die Zahl der Erwerbstätigen sank im ersten Halbjahr um 0,9 Prozent, vor allem in der Industrie. In den Dienstleistungssektor hingegen nahm sie zu. Die Arbeitslosenquote verringerte sich auf 1,9 Prozent und bleibt damit auf einem der niedrigsten Werte Italiens. Das reale Einkommen der Haushalte blieb weitgehend stabil, während der Konsum um 0,4 Prozent zunahm. Die Hypothekenkredite stiegen um 1,7 Prozent, was auf den Rückgang der Zinsen zurückzuführen ist.

  • Diversifizierte Struktur macht widerstandsfähig

    Unsicherheit sei heutzutage kein exklusiv italienisches Problem. Dennoch hätten die Autonomen Provinzen Trient und Südtirol einen kleinen Vorteil: „Wir weisen eine diversifizierte Wirtschaftsstruktur auf, die uns widerstandsfähig macht“, so Cascarano. „Wenn ein Sektor schwächelt – etwa Industrie oder Bau –, können andere Bereiche wie der Tourismus, der Dienstleistungssektor oder die Landwirtschaft das teilweise ausgleichen“. Das habe sich etwa 2023 gezeigt: Trotz der Export- und Importprobleme blieb die Wirtschaft stabil, weil der Tourismus und die Dienstleistungen stark blieben.

     

    „Wir haben eine Art Familienvater-Mentalität

     

    Was die Investitionsbereitschaft angeht, sehen wir eine Art Familienvater-Mentalität“, schildert der Trientner Nationalbankdirektor. Viele Firmen seien angesichts der unsicheren internationalen Lage – sowohl bei den Absatzmärkten als auch bei den Lieferketten – zurückhaltender. „Das führt dazu, dass Unternehmen kurzfristiger planen und mehr Liquidität zurückhalten, statt größere Investitionen zu tätigen. In unsicheren Zeiten legt man Geld zur Seite, um auf Unvorhergesehenes reagieren zu können”, so Sansone.

  • Kaufkraft: stagniert stark und das weit über den abgebildeten Fünf-Jahres-Zeitraum. Eine kleine Erholung bildet sich von 2024 bis 2025 dennoch ab. Foto: Banca d'Italia
  • Die positive Einkommensentwicklung der Haushalte seien laut Sansone nicht in erster Linie auf steigende Löhne, sondern – trotz des leichten Rückgangs – auf die höhere Beschäftigung zurückzuführen, also darauf, dass mehr Menschen arbeiten. Das erklärt, warum die Einkommen insgesamt steigen, auch wenn viele Einzelne subjektiv kaum Verbesserungen spüren.