Ist Bozen noch geil?

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„Der Zerfall von René Benkos Imperium hat im Herzen der Stadt seine Spuren hinterlassen – zum Teil in Form einer Bauruine: Seit fast eineinhalb Jahren steht das Shoppingcenter-Luxusprojekt still. In der Zwischenzeit hat das Gebäude den Besitzer gewechselt – samt dazugehöriger Bauzäune. Viel mehr ist bisher jedoch noch nicht passiert. Zumindest von außen betrachtet. Intern aber hat der neue Besitzer das Projekt überarbeitet. Ein Abriss des bestehenden Gebäudes bis zum Straßenniveau steht im Raum.“
Bei diesen Zeilen handelt es sich um einen Zusammenschnitt aus Wiener Lokalzeitungen der letzten Woche. Dass der eine oder andere jedoch zuerst an ein alternatives Szenario in Bozen dachte, zeigt, dass es auch Bozen hätte treffen können – und dass wir diesem Horrorszenario nur knapp entkommen sind.
Nicht wegen besserer Finanzierungskonzepte oder politischer Unterstützung, sondern einfach aus einer Mischung von Zufall und Glück. Wäre das damalige Maximalprojekt – inklusive Seilbahn und Busbahnhof – umgesetzt worden, wären wir mitten in der Baustelle wohl in derselben Situation gelandet. Hätte es jedoch zu Beginn des Projekts keine Widerstände gegen den Bau gegeben, wäre es vermutlich schon fertig – und niemand würde heute Parallelen zu Wien ziehen.
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Dass diese Schlagzeilen aus Wien ausgerechnet mit der Stichwahl in Bozen zusammenfallen, macht das Ganze wieder aktuell und interessant. Denn die Kaufhaus-Story von Bozen war immer schon mehr eine politische als eine bauliche Angelegenheit. Zum Jahresende 2023/2024, als die Baustelle des Kaufhauses Lemarr in Wien baulich eigentlich schon deutlich weiter war als der Walterpark in Bozen, waren es vermutlich nur die piranesischen Firmenkonstrukte der Signa über (mindestens) zwei Staaten, ein paar vielleicht schon bestellte Fassadenelemente und der eine oder andere Vorvertrag mit Mietern, die uns Ähnliches ersparten. Denn wie bei einem Murenabgang konnte man seitdem nicht viel mehr tun, als zuzuschauen, wie ein Haus langsam, aber sicher mitgerissen wird – und das andere wie durch ein Wunder knapp verschont bleibt.
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Politisch scheint die Sache keinen großen Nachhall mehr zu finden. Während in Wien Benkos Genossen bereits vor ihm das Schlachtfeld verlassen haben (oder mussten), wählte Bozen vor Kurzem einen neuen Gemeinderat – und in Kürze auch einen neuen Bürgermeister. Beide werden kaum noch einen personellen Bezug zu den Entscheidungen der letzten zehn Jahre haben, bei der anstehenden Eröffnung jedoch trotzdem stolz die Erneuerung des Stadtzentrums zelebrieren. Und sollte es trotz allem kein Erfolg werden, können sie schließlich ihre Hände in Unschuld waschen. Doch es stellt sich die Frage, was Bozen aus der Geschichte gelernt hat bzw. ob wir überhaupt etwas daraus gelernt haben. Denn ein nächstes Mal haben wir vielleicht nicht mehr so viel Glück wie dieses Mal.
es herrscht wieder Zucht und Ordnung hinter der imaginären Stadtmauer von Bozen
Mit dem absehbaren Ende des Walterpark-Projekts ergibt sich somit wieder eine Lücke im Geschehen von Bozen, die gefüllt werden will. Wo ist die nächste Großbaustelle zu erwarten, welches Stadterneuerungsprojekt steht uns diesmal bevor? Denn die damalige politische wie gesellschaftliche Aufbruchsstimmung in der Stadt, die das Projekt damals mit sich brachte, ist längst aufgebraucht bzw. verpufft – und mit der Eröffnung wohl endgültig vorbei. Und es stellt sich die Frage: Ist Bozen eigentlich noch geil?
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Es bräuchte einen Ersatz, ein neues Ziel! Etwas, das wieder Diskussion und Motivation in die Stadt bringt. Etwas, das diesmal wirklich aus der Stadt selbst kommt – von und für ihre Bürger – und nicht erneut von außen aufgedrückt wird. Diskussionen um das neue Ötzi-Museum oder das „Stadtquartier Rombrücke“ könnten Teil davon sein, Teil einer größeren Überlegung. In der jetzigen Form drohen sie eher, wirkliche Entwicklungen zu blockieren und politische sowie bürokratische Ressourcen schon wieder an der falschen Stelle zu binden. Auch die unendliche Geschichte der Bozner Verkehrsplanung, die mit Studien und Varianten um sich wirft, scheint nur dem Selbstzweck zu dienen und keinen echten Output zu liefern. Dabei gäbe es so viel zu tun, so viel Potenzial, das man gestalten könnte.
der ewigen Kampf Bozens mit sich selbst
Der Wahlkampf ließ dies nicht erahnen. Ideen, Pläne, Konzepte: Fehlanzeige. Wenn nicht einmal dort mit motivierten Visionen für Bozen geworben wird – wo dann? Dabei müsste es nicht einmal etwas Gebautes sein. Stadt könnte man auf so vielen Arten neu denken. Man könnte sie grundlegend neu definieren – und das nicht nur durch ihr gebautes Umfeld!
Bozen scheint dies genau zu wissen – und sogar zu tun, nur leider auf eine sehr fragwürdige Art. Denn in seinem ständigen Kampf gegen sich selbst gehören Stadtverweise („foglio di via“) schließlich seit ein paar Jahren zum Hauptrepertoire der Stadterneuerung von innen. War dies bisher jedoch rein vonseiten der Exekutive vorangetrieben worden, haben die bisherigen politischen Vertreter dies nun auch offiziell eingeführt: Die Sicherheitsmaßnahme, welche sich während Corona „bewährt“ hat, ist zurück – und somit ist Sitzen und Liegen auf öffentlichem Boden wieder verboten. „Stadtluft macht frei“ war einmal – jetzt herrschen endlich wieder Zucht und Ordnung hinter den imaginären Stadtmauern von Bozen. Anstelle also, die Stadt durch motivierte Zukunftsvision mit Leben zu fluten, ertränkt man sie sich lieber in sich selbst.
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Man kann nur hoffen, dass diese „aus Versehen“ eingeführte Verordnung – die politisch bisher jedoch wenig zu stören scheint – wieder abgeschafft wird, sobald sich der neue Gemeinderat formiert hat und er es vielleicht endlich schafft, Bozens Hyperaktivitätsstörung in etwas Produktives umzuwandeln. Ansonsten bleiben die Interessen der Boznerinnen und Bozner weiterhin hinten angestellt – was fragwürdigen Projekten erneut Tür und Tor öffnet, nur damit in Bozen endlich irgendetwas passiert.
...hoffe diese erkenntnisse…
...hoffe diese erkenntnisse sind hoch ansteckend!!
Die Forderung nach "Zucht…
Die Forderung nach "Zucht und Ordnung" stammt aus dem ersten Brief des Paulus an die Korinther. Die Mahnung des Paulus an die ersten Christen war wohl gegen "Unzucht und Unordnung" gerichtet. Heute sind die Grenzen zwischen Zucht und Unzucht, zwischen Ordnung und Unordnung oft sehr verschwommen und werden auch je nach ideologischer Ausrichtung ganz verschieden gezogen. Eine klare Grenzlinie kann ich auch aus diesem Artikel nicht erkennen.