Steile Steigeisen

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In der Todeszone der Prominenz nennt die Satirikerin Ella Carina Werner ihre Kolumne in der Ausgabe 5/25 des deutschen Satiremagazins Titanic und beschäftigt sich darin ausführlich mit dem Extrembergsteiger Reinhold Messner. „Eigentlich wollte ich in dieser Kolumne über etwas ganz anderes schreiben“, beginnt sie und berichtet kurz darauf über ihren ersten Besuch in Südtirol. „Allein wie herrlich verächtlich sie dort das Wort ‚bundesdeutsch‘ aussprechen, womit sie die deutsche Sprache in der Bundesrepublik meinen: immer leicht herausgerotzt, die Mundwinkel verächtlich verzogen, als handle es sich um ein Synonym von unangenehm, verspannt oder schweinisch.“
Ella Carina Werner war bereits im März auf Einladung der Literaturnächte in Bruneck angereist und erzählte im Vorfeld der Lesung über ihre feministischen Tiergedichte, die sie in ihrem jüngsten Buch versammelt, sowie über Humor und das Satiremagazin Titanic. -
Das endgültige Satiremagazin? Die Titanic wurde 1979 von ehemaligen Mitarbeitern der Satirezeitschrift pardon gegründet. Zu den Gründervätern zählten Robert Gernhardt, Chlodwig Poth, F. W. Bernstein oder Eckhard Henscheid – allesamt Vertreter der Neuen Frankfurter Schule. Im Jahr 1988 erlangte die Zeitschrift erstmals bundesweite Aufmerksamkeit, als ihr damaliger Chefredakteur Bernd Fritz an der ZDF-Sendung Wetten, dass..? teilnahm und behauptete, die Farbe von Buntstiften allein am Geschmack erkennen zu können. In Wahrheit gelang es ihm, unbemerkt unter den Rändern seiner Augenabdeckung hindurchzusehen. Noch vor laufenden Kameras klärte Fritz den verdutzten Moderator Thomas Gottschalk über diese Titanic-Aktion auf.
Zurück in die Gegenwart. Nichts habe sie mehr an Südtirol beeindruckt, „wie die Allgegenwart von Reinhold Messner. Er ist überall“, schreibt Ella Carina Werner in ihrer Südtiroler Nachbetrachtung – damals noch nicht wissend, dass Reinhold Messner gemeinsam mit seiner Frau Diane nach 40 Jahren von Schloss Juval am Eingang des Schnalstals ins Pustertal zieht. „Sexten wird unser neues Base Camp“, ließ Messner die Medien vor kurzem wissen und leitete die Sommerlochsaison 2025 ein.
In ihrem Text zeigt sich Ella Carina Werner vor allem von den vielen Museen Messners angetan und besuchte sogar jenes in Bruneck. „Die opulenten Glasvitrinen sind gerammelt voll mit einzigartigen Exponaten, und alle diese Exponate stammen von ihm selbst: Messners erstes Steigeisen, Messners zweites Steigeisen, Messners viertes. Das dritte nicht, das liegt im Nachbarmuseum…“ Und weiter: „In den Souvenirläden drängeln sich Messner-Kaffeetassen und -Schlüsselanhänger. Allein in Messners eigenem Online-Shop gibt es dreißig verschiedene Handyhüllen mit Porträtfotos von ihm selbst. Frage: Wie sehr kann ein Mensch sich selber mögen? Wie kann das gelingen? Durch Verknappung des Sauerstoffs?“
Wie sehr die Urlauber Reinhold Messner schätzen, ist bekannt – zu offensichtlich lässt der Bergfex die Kassen klingeln. Wie aber steht es um das Ansehen bei den Locals? „Die Südtiroler lieben ihren ergrauten Wagehals – aber nicht alle“, schreibt Werner. „Erwähnt man den Namen Messner, blickt man in Augen, schreckgeweitet wie beim Einmarsch der Wehrmacht 1943“, belustigt sie sich und verteilt weiter Seitenhiebe: „Jede Südtiroler Zeitung, jeder Radiosender bittet ihn fast täglich um ein Statement – ob es um die Digitalisierung an den Schulen im Schnalstal geht, Modern Dance in Bozen seit 1945 oder Frauen auf Achttausendern…“
Werner ist nicht die Erste vom Satireflaggschiff Titanic, die nach Südtirol geladen wurde. 2024 weilte auch Chefredakteurin Julia Mateus bei den Literaturnächten in Bruneck. Oder Max Goldt, dieser kam mehrmals, einmal ins Theater in der Altstadt nach Meran, wo er den Abend sogar in sein Buch Wenn man einen weißen Anzug anhat einfließen ließ und über das leise Lachen sinnierte. Ein weiteres Mal reiste Goldt nach Brixen, in den Kleinkunstkeller Dekadenz. Sein Südtirol-Bild beschrieb er damals folgendermaßen: „Meine Vorstellung davon ist die einer kulinarischen Wellness-Landschaft: Kaminwurzen, Speck, Graukäse, viele Apfelbäume und dazwischen hie und da ein alter faschistischer Architekturbrocken.“
„Böses Spiel gegen Franz“
[Bild-Zeitung]
Ein satirisches Stelldichein brachte auch den einstigen Chefredakteur der Titanic Martin Sonneborn vor 15 Jahren nach Südtirol, genauer nach Eppan, wo sogar zeitgleich die deutsche Fußballmannschaft erneut auf dem Rasen in Rungg sich auf die Weltmeisterschaften in Südafrika vorbereitete.Sonneborn absolvierte einen Satire-Abend im Eppaner Lanserhaus. In DFB-Kreisen war er kein Unbekannter – hatte er doch wenige Jahre zuvor FIFA-Delegierte mit den Geschenken einer Schwarzwälder Kuckucksuhr, einem „Fresskorb“ mit Wurstspezialitäten und einem Bierkrug überzeugt, für die WM 2006 in Deutschland zu stimmen. Nach dem Aufmacher der Bild-Zeitung „Böses Spiel gegen Franz“ rund um die gefälschten Bestechungsbriefe der Satire-Aktion wurde der mittlerweile engagierte Europapolitiker weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt und kommentierte den fulminanten Titanic-Scherz weltmeisterlich: „Wir nehmen aber gerne in Kauf, dass wir unserem Land einen Bruttosozialproduktzugewinn von 2,6 Milliarden Euro und 300.000 neue Arbeitsplätze beschert haben – sogar einen Babyboom im darauffolgenden Jahr.“ Dass Sonneborns „Gegner“ am Titanic-Abend in Eppan nur wenige Kilometer von der Satire-Veranstaltung in ihrem Quartier weilten und sich nicht blicken ließen, war kein Zufall, behaupteten damals Insider, sondern höchst professionelle Verteidigungstaktik. Und Extremsportler Messner? In jungen Jahren als Mathematiklehrer ebenfalls in Eppan aktiv. Wie geht es ihm nun im fortgeschritten Alter?
„Jeden Morgen, wenn Reinhold Messner schlaftrunken in den Badezimmerspiegel guckt, blickt er in ein zerfurchtes Gesicht, das längst nicht mehr nur sein eigenes ist, sondern das einer ganzen Region“, schreibt Ella Carina Werner liebevoll in ihrer Kolumne. Wie sich der internationale Regionalkönig der Berge nach seinem Umzug ins Dorf von Tennisstar Jannik Sinner und Journalismusgröße Claus Gatterer in Zukunft behaupten wird – wer weiß es? Die Satire auf jeden Fall am treffendsten.
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Na ja. Man könnte Messner…
Na ja. Man könnte Messner auch einfach mal in Ruhe lassen. Er ist ein älterer Mann und hätte sich Rücksicht verdient.
Antwort auf Na ja. Man könnte Messner… von Lollo Rosso
Rücksicht will ich dem…
Rücksicht will ich dem Reinhold Messner gerne gewähren, verdient hat er sie sich nicht.
Oha. Alter schützt vor…
Oha. Alter schützt vor Torheit nicht.
Gut, dass es Satire gibt.