Auf Irrwegen?
Das Verwirrspiel um das Dekret von Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin hat ein Ende gefunden. Noch am Dienstag hatte Senator Hans Berger gesagt, der Akt, durch den eine Schließung der kleinen Geburtenstationen verhindert werden könnte, sei noch ausständig. Inzwischen wurde allerdings bekannt, dass Lorenzin bereits am 11. November ihre Unterschrift zu Papier gebracht hat. Das gab die interparlamentarische Arbeitsgruppe für die Entwicklung der Berggebiete am gestrigen Donnerstag auf ihrer Webseite bekannt.
Nun liegt es an den einzelnen Regionen und autonomen Provinzen, entsprechende Anträge einzureichen, um für die Überprüfung einer Ausnahmeregelung für die jeweiligen Territorien anzufragen. Zur Behandlung der Anträge wurde eine eigene Kommission eingerichtet. Diese hat 90 Tage Zeit, ihre Arbeiten zum Abschluss zu bringen. Dann wird feststehen, ob es möglich sein wird, in den italienischen Bergregionen jene Geburtenstationen mit weniger als 500 Geburten im Jahr dank eigener Pilotprojekte offen zu halten – unter der Voraussetzung, dass sie die durch die Staat-Regionen-Konferenz am 16. Dezember 2010 festgelegten Qualitäts- und Sicherheitsstandards einhalten.
Geburten in Südtirol und Trentino 2014 im Vergleich. Quelle: PNE
Ball bei Bozen und Trient
Zufrieden zeigt man sich im Trentino. Dort liegt der Antrag, den man beim Gesundheitsministerium einzureichen gedenkt, bereits vor. Doch damit nicht genug: “Wir werden für all unsere Geburtenabteilungen um eine Ausnahmeregelung anfragen”, kündigt der Trentiner Gesundheitslandesrat Luca Zeni an. Dass auch aus Bozen eine entsprechende Anfrage auf Prüfung der Geburtenstationen kommt, davon ist PATT-Senator Franco Panizza überzeugt: “Wir haben in dieser Sache stets eng zusammengearbeitet”, erklärt er im Gespräch mit salto.bz. Und tatsächlich hat Landeshauptmann Arno Kompatscher bereits angekündigt, einen erneuten Antrag stellen zu wollen. Doch der Jubel angesichts der sich nun ergebenen Chancen, Schließungen in den peripheren Krankenhäusern doch noch abzuwenden, scheint hierzulande nicht allzu groß zu sein – zumindest verhaltener als im Trentino. “Ich bin nach diesem Dekret so schlau wie zuvor”, zitiert die Tageszeitung Sanitätslandesrätin Martha Stocker.
Franco Panizza: “Berger und Plangger werden den Griff nicht lockern.” Foto: francopanizza.it
Ihre Befürchtung ist, dass die kleinen Geburtenstationen die vorgegebenen Sicherheitsstandards nicht einhalten werden können. Angesichts der sich nähernden Neuorganisation der ärztlichen Bereitschaftsdienste sind Bedenken wohl angebracht. In fünf Tagen, am 25. November, tritt eine EU-Verordnung in Kraft, die die Arbeitszeiten der Krankenhausärzte neu regelt. Am selben Tag will Landesrätin Stocker mit Sabes-Direktor Thomas Schael, der Direktorin der Landesabteilung Gesundheit Laura Schrott und Bezirksdirektor Walter Amhof vor die Presse treten. Aus dem Gesundheitsbetrieb war bislang zu diesem Thema nichts in Erfahrung zu bringen. “Böse Zungen behaupten, dies sei nun die passende Gelegenheit, in der Peripherie Krankenhäuser ‘zu reformieren’, ohne mit lästigen Diskussionen Sympathien zu verlieren”, machen einige Ärztegewerkschafter ihrem Ärger Luft. Dass in Sachen Geburtenabteilungen falsch gespielt werde, vermutet auch Florian Kronbichler. “Stocker und Schael (die Kronbichler als ‘die Landesrätin und ihr Generalverweser’ bezeichnet, Anm. d. Red.) haben vor, die Geburtenstationen Schlanders und Sterzing zu schließen, so wie sie Innichen schon geschlossen haben. Sie sagen es nur nicht”, schreibt der Abgeordnete von Sinistra italiana in einem Facebook-Post.
Attacke von Kronbichler, Panizza verteidigt
Er wirft den Südtiroler Politikern in Rom und Bozen vor, sich nicht genug für die Offenhaltung der beiden Geburtenabteilungen einzusetzen: “Wären wir von Südtirols Gesundheitspolitik und ihren vorgeblichen Unterhändlern in Rom abhängig, würden die Geburtenabteilungen in Schlanders und Sterzing bald futsch sein.” Wenn es eine Hilfe gebe, dann käme sie von woanders her, so Kronbichler weiter: “Von Trient vielleicht (…) und noch vielleichter vom fernen Piemont.” “Glaubwürdig mit Zähnen und Klauen” habe der Präsident der Region Piemont Enrico Borghi “sein Domodossola”, meint der Kammerabgeordnete. Und dass Ugo Rossi im Trentino sein politisches Überleben vom Offenhalten der kleinen Geburtenstationen abhängig macht, ist ein offenes Geheimnis. Die angekündigte Schließung der Stationen von Tione und Cavalese hat im Trentino bereits ein politisches Opfer gefordert: Gesundheitslandesrätin Donata Borgonovo Re musste nach einem Misstrauensantrag des Trentiner Landtags Ende Juli ihren Posten abgeben. Ihr Schließungs-Kurs hatte auch innerhalb ihrer eigenen Partei, dem PATT, wenig Zustimmung gefunden. Der Druck auf Landeshauptmann Ugo Rossi ist also groß. Entsprechend die Erleichterung bei PATT-Senator Panizza, der in Rom stets an vorderster Front für den Erhalt der kleinen Geburtenstationen gekämpft hatte – dabei aber nie allein gestanden habe, wie er beteuert.
“Senator Berger und Abgeordneter Plangger haben seit jeher Druck ausgeübt, und tun es auch weiterhin”, verteidigt Panizza seine Südtiroler Parlamentskollegen vor den unschönen Gerüchten, sie würden nicht genug unternehmen. “Sicuramente non mollano la presa”, bekräftigt der PATT-Politiker. Im Gegenteil, Berger und Plangger würden sich fleißig informieren, einbringen und an den richtigen Orten einen Fuß in die Tür stellen. Auch der Austausch zwischen Trentino und Südtirol in Rom funktioniere einwandfrei, erst vor kurzem habe Hans Berger mit Luca Zeni telefoniert, berichtet Panizza. Allerdings: “Wie die Situation in Bozen ist, das kann ich Ihnen nicht sagen.”