Wiedersehen macht Freude
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SALTO: Weshalb zeigen Sie in Ihrer Ausstellung den Kippenberger-Frosch? Was verbinden Sie persönlich mit dieser Arbeit?
Günther Oberhollenzer: Ich stamme aus Südtirol und bin in einem katholisch geprägten Umfeld aufgewachsen. Schon früh wurde bei mir die Leidenschaft für Kunst geweckt, schon früh erkannte ich den herausfordernden Dialog von zeitgenössischer Kunst und Religion wie auch Kirche. Mit großem Interesse habe ich 2008 die hitzig geführte Blasphemie-Debatte rund um das Kunstwerk Fred the Frog Rings the Bell (1990) von Martin Kippenberger im Museion in Bozen mitverfolgt. Damals habe ich die Idee geboren, über die Beziehung von Kunst und Religion – die so spannungsvoll, aber auch spannend ist – eine vertiefende, vielschichtige Schau jenseits von vordergründiger Provokation und lauten Protest zu gestalten. Es sollte eine Schau sein, die für einen differenzierten Blick steht, für eine Suche nach Gemeinsamkeiten und das Bestreben, einen Dialog zwischen zeitgenössischer Kunst und Religion zu fördern. Manch gut Ding braucht Weile: nun, siebzehn Jahre später, ist im Künstlerhaus Wien die Schau „DU SOLLST DIR EIN BILD MACHEN. Zeitgenössische Kunst und religiöses Erleben“ zu sehen. Für mich ist es von großer Relevanz, den damaligen Stein des Anstoßes, den gekreuzigten Frosch in die Ausstellung zu integrieren. Doch er wird hier anders, neu gezeigt: in einem eigenen Raum, auf Augenhöhe mit den Besucherinnen und Besuchern sowie mit Texten und anderen Kunstwerken kontextualisiert.
Ich glaube an die Imaginationskraft von Kunst und Religion.
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Kurator Günther Oberhollenzer: "Kippenberger nutzt Humor und Tabubrüche, um Themen wie Scheitern, Eitelkeit und gesellschaftliche Heuchelei offenzulegen." Foto: Künstlerhaus WienDas Museion hat die schiefe Optik auf die „problematische" Kippenberger-Krux mit einer großen Schau einige Jahre später wieder geradegerückt. Was bewundern Sie an Kippenberger?
Leider habe ich den Eindruck, dass dieser Kunstskandal noch sehr lange nachwirkte und sich das Museion viele Jahre nicht davon erholen konnte.
Martin Kippenberger war vermutlich einer der provokantesten und zugleich humorvollsten Künstler der deutschen Nachkriegskunst. Ich schätze an seinen Werken die Ironie, Selbstinszenierung und scharfe Kritik an der Kunstwelt. Mit einem Mix aus Malerei, Skulptur, Installation und Konzeptkunst sprengt er bewusst Grenzen und stellt die Idee des „Genies“ in Frage. Kippenberger nutzt Humor und Tabubrüche, um Themen wie Scheitern, Eitelkeit und gesellschaftliche Heuchelei offenzulegen. Hinter der oft grellen Fassade seiner Arbeiten steckt jedoch eine tief menschliche Auseinandersetzung mit Verletzlichkeit, Selbstzweifel und dem Wunsch nach Bedeutung in einer widersprüchlichen Welt. So auch in Fred the Frog Rings the Bell, ein Selbstportrait, zugleich aber auch ein gesellschaftskritisches Werk…„Du sollst dir ein Bild machen“ nennt sich die Ausstellung. Ein Satz der seit den jüngsten Aussagen des Bundeskanzlers Friedrich Merz zum Begriff „Stadtbild“ aktuelle Brisanz enthält. Zeigt Ihre Ausstellung auch Stadtbilder?
Nein. Die Ausstellung trägt den Untertitel „Zeitgenössische Kunst und religiöses Erleben“ und erzählt von der religiösen Imaginationskraft, von ihrer visuellen Entsprechung in der christlichen Bildtradition und von deren Interpretation durch Künstlerinnen und Künstler der Gegenwart.
Wo ermöglicht Religion der Kunst Möglichkeiten? Wo ist die eine der anderen im Weg?
Künstlerische Kreativität und religiöses Empfinden sind wesentliche Ausdrucksformen des Menschen. Beide verbindet das Irrationale und Geheimnisvolle. Glaube lässt sich nicht rein verstandesmäßig erfassen – die Kirche spricht vom „Geheimnis des Glaubens“. Auch Kunst entsteht oft aus Gefühl und Intuition; ihr Rätselhaftes fasziniert gerade durch seine Unergründlichkeit. Sowohl Religion als auch Kunst befassen sich mit den Grundfragen des Daseins – Sinn, Welt und Sein. Während Religion, etwa im Katholizismus, dogmatisch versucht, Antworten zu geben, stellt Kunst Fragen und lädt zur Reflexion ein – ein individueller, schöpferischer Prozess, Ausdruck einer persönlichen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung oder auch spontaner Emotion. Kirche und Kunst erschaffen je eine eigene Realität. Neben der wahrnehmbaren Welt entsteht eine zweite, imaginäre. Der Gläubige betritt eine spirituelle Welt mit Ritualen und Dogmen; der Künstler entwirft eine selbstgeschaffene Ordnung, die über das Materielle hinaus auf das Transzendentes, Geistige verweist. Diese „Realitätsverdoppelung“ erlaubt es, die Welt aus anderer Perspektive zu betrachten. Religion will das Unvertraute vertraut machen und Sinn stiften, während Kunst das Vertraute verfremdet, irritiert und neue Sichtweisen eröffnet. Auch religiöse Themen können Teil der Kunst sein – jedoch als Möglichkeit, nicht als Vorgabe.
Liebevolle, humorvolle sowie feministische Blicke zur christlichen Ikonografie werden gezeigt. Wie fiel die Auswahl?
Kunst und Religion ist ein Thema, das ich seit Jahren mit viel Interesse und Neugierde reflektiere. Der Ausstellung geht eine lange Recherchearbeit voraus: viele Treffen mit Künstlerinnen und Künstlern und Kuratorinnen und Kuratoren, mit Gläubigen und Priestern, zahlreiche Ausstellungsbesuche und das Lesen von kunsthistorischer wie auch theologischen Texten. Ich stellte mir folgende Fragen: Wie begegnen Kunstschaffende im Hier und Jetzt christlichen Bildthemen? Wie integrieren sie diese in ihre Bildkonzepte, wie werden sie zitiert, transformiert und neu interpretiert? Welche Themen möchten sie damit aufwerfen, und wie stark sind diese religiös oder spirituell konnotiert? Mich überraschte, wie viele Künstlerinnen und Künstler der Gegenwart sich mit diesen Fragen auseinandersetzen! Schlussendlich habe ich 42 österreichischen und internationalen Künstlerinnen und Künstler ausgewählt, die sich mit vielfältigem Blick der christlichen Ikonografie annähern und neue, gegenwärtige Sichtweisen auf über Jahrhunderte tradierte Motive ermöglichen. Sehr bekannte, etablierte Positionen wie Marina Abramović und VALIE EXPORT, Renate Bertlmann, Margot Pilz und Hermann Nitsch begegnen auf Augenhöhe jüngeren Künstlerinnen und Künstlern wie Sumi Anjuman, Ina Loitzl, Johannes Rass oder Esther Stauss. Auch einige Südtirolerinnen und Südtiroler sind dabei, etwa Aron Demetz, Paul Sebastian Feichter, Sissa Micheli, Sylvie Riant, Thomas Sterna; ich kann und will meine Herkunft nicht verleugnen! Basierend auf der Auswahl haben ich sieben Themenkapitel definiert: Ikone, (Schein-)Heiligkeit, Kreuz, Auferstehung, Göttlichkeit, Madonna und Letztes Abendmahl. Dabei ist es mir sehr wichtig, dass sich das einzelne Werke in der Ausstellung in stimmigen Dialogen begegnen.
Sie haben vor wenigen Tagen Ihren Namenstag gefeiert, am gestrigen Donnerstag wurde eröffnet. An was glauben Sie wirklich? An Kunst oder eine Religion?
Korrekt, am 9. Oktober ist mein Namenstag. Ich glaube an die Imaginationskraft von Kunst und Religion.
Für welches der gezeigten Kunstwerke mussten Sie im wahrsten Sinne des Wortes einen „Bittgang“ unternehmen? Und weshalb?
Die Ausstellung stellte viele organisatorische wie budgetäre Herausforderungen dar. Sehr viele Werke stammen direkt von Künstler*innen oder aus privaten Sammlungen, nur wenige aus öffentlichen Museen. Der persönliche Kontakt und Dialog waren oft ausschlaggebend für die Zusage einer Arbeit. Sehr wichtig war mir natürlich die Leihgabe des Werks von Kippenberger – ich bin deshalb extra nach Tirol gefahren, um den Sammler zu besuchen. Ein ungemein inspirierender wie herzlicher Austausch waren die Folge. Und er war auch mit Freude bei der Eröffnung anwesend.
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"Weshalb zeigen Sie in Ihrer…
"Weshalb zeigen Sie in Ihrer Ausstellung der Kippenberger-Frosch?" Rechtschreibung!
Darüber hinaus scheinen die Kuratoren inzwischen wichtiger als die Künstler zu sein. Aber Künstler ist ja jeder der seine Produkte als Kunst verkaufen kann und da sind Kuratoren natürlich sehr hilfreich.
Antwort auf "Weshalb zeigen Sie in Ihrer… von Robert Hölzl
Tippfehler korrigiert. Danke.
Tippfehler korrigiert. Danke.
Ein Bekannter von mir hat…
Ein Bekannter von mir hat mir zur Zeit des Froschskandals mal gesagt, das sei eh das beste Stück im ganzen Museion. Daraufhin musste ich mir den armen Frosch auch geben, bzw. suchen, ganz versteckt im hintersten Winkel. Ich konnte die Aussage meinrs Bekannten (der zugegebenermaßen mehr von moderner Kunst versteht als ich) nur beipflichten.