„Ich bin ein unbequemer Zeitgeist“

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SALTO: Herr von Wolhgemuth, mit Ihrer Kritik am Siegesdenkmal haben Sie sich öffentlich gegen die Position der Südtiroler Grünen gestellt – wollen Sie die Partei verlassen?
Felix von Wohlgemuth: Ich weiß nicht, ob die Grünen dazu eine Position haben oder Brigitte (Brigitte Foppa, Fraktionssprecherin der Grünen im Landtag, Anm. d. Red.). Es muss eine Partei aushalten, dass es verschiedene Meinungen gibt. Das Siegesdenkmal wird immer nur von den Rechten aufgegriffen, um auf beiden Seiten zu polemisieren. Eine vernünftige Stimme im Mitte-Links-Spektrum fehlt, die sich zur Zukunft des Denkmals äußert.
„Bei den Grünen gibt es die Realos und die Fundis, sie wird es auch immer geben.“
Es erweckt den Eindruck, dass Sie als Grünes Parteimitglied häufig mit der Parteileitung in Clinch geraten – etwa beim Thema Migration und Soziales.
Vielleicht traue ich mich, Sachen anzusprechen, weil ich ein unbequemer Zeitgeist bin. Ich bin mit einigen Parteimitgliedern der Grünen in Kontakt, die sich auch wünschen, dass die Partei zu einigen Themen Grundsatzbeschlüsse fast. Das sind natürlich unangenehme Themen, weil sie sehr konfliktbehaftet sind und in der Partei verschiedene Meinungen existieren. Was die Grünen aber eigentlich ausgezeichnet hat, ist, dass solche Diskussionen intern und öffentlich geführt werden können. Ist die eigene Meinung mehrheitsfähig, kann sie in Beschlüsse gegossen werden, ansonsten nimmt man es zur Kenntnis. Bei den Grünen gibt es die Realos und die Fundis, sie wird es auch immer geben und sie gibt es auch in Deutschland bei den Grünen und wahrscheinlich bei vielen anderen Parteien.
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Zur Person
Felix von Wohlgemuth ist Anwalt für Arbeitsrecht in Bozen und sitzt für Pro Eppan im Gemeinderat. Er war von 2019 bis Anfang 2024 gemeinsam mit Marlene Pernstich Co-Vorsitzender der Partei Verdi Grüne Vërc.
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Sie sprechen in der Vergangenheitsform?
Die Grünen sind eine basisdemokratische Bewegung. Man muss streiten und man muss diskutieren und das ist in den letzten Landesversammlungen ein wenig zu kurz gekommen. Man versucht, sich harmonisch zu geben. Dabei würden solche Diskussionen das Profil der Partei auch in der Öffentlichkeit stärken, weil publik wird, dass wir uns Gedanken zu bestimmten Themen machen. Ansonsten erhält man Zuschreibungen von Dritten, wie man als Grüner zu sein, zu denken und sich zu verhalten hat. Die Grünen sind viel vielschichtiger als die Zuschreibungen von außen vorgeben.
Und wieso greifen Sie ausgerechnet die Kritik der Süd-Tiroler Freiheit zum Siegesdenkmal in Bozen auf?
Ich habe bereits vor der Pressemitteilung der Süd-Tiroler Freiheit auf Facebook kritisiert, dass das Siegesdenkmal renoviert wird. Es ist bis heute ein Fremdkörper in der Stadt.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass in Deutschland oder Österreich in einer Landeshauptstadt ein Denkmal mit zehn großen Hakenkreuzen steht.“
Landesrat Christian Bianchi (Forza Italia) verteidigt gegenüber der Tageszeitung den Erhalt des Monuments, um an ein dunkles Kapitel der Geschichte zu erinnern.
Wir haben in Südtirol Schwierigkeiten, bestimmte Sachen objektiv zu sehen. Ich bin eine Person, die aus tiefstem Herzen Mitte-links eingestellt ist, und ich will in meiner Stadt kein Denkmal mit einem Hakenkreuz und genausowenig ein Denkmal mit dem Liktorenbündel (Staatssymbol der Faschisten, Anm. d. Red.). Ich fordere keinen Abriss, sondern eine Kontextualisierung und Musealisierung.
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In den letzten Jahren gab es sehr wohl Bemühungen zur Aufarbeitung und es wurde eine Ausstellung zum Siegesdenkmal eingerichtet.
Es braucht den Mut, die faschistischen Symbole zu entfernen. Auch die eingemeißelte Inschrift, dass sie uns die Kultur, Geschichte und Schrift gebracht haben, beleidigt die Südtiroler seit Jahrzehnten und sollte weiß übertüncht werden. Deshalb schlage ich vor, den ganzen Platz in einen Museumskontext einzubeziehen. Zwar wurde der Ring angebracht (LED-Leuchte mit dem Titel der Ausstellung, Anm. d. Red.) und auf der gegenüberliegenden Seite an der Talfer wurden verschämt zwei Tafeln in den Blumenbeeten zu der Ausstellung versteckt, aber der wuchtige Platz bleibt als unzulängliche Insel bestehen. Die Menschen können ihn so nicht als städtischen Raum nutzen. Dabei gäbe es Vorbilder, wie solche Bauten ohne Abriss entschärft werden können.
Zum Beispiel?
Auf dem Zeppelinfeld in Nürnberg hat die NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei von Adolf Hitler, Anm. d. Red.) ihre Aufmärsche veranstaltet. Nach dem Krieg wurde das große Hakenkreuz sofort gesprengt, aber die Tribüne steht immer noch dort, um den Menschen zu ermöglichen, das beklemmende Gefühl dieser Bauten zu spüren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in Deutschland oder Österreich in einer Landeshauptstadt ein Denkmal mit zehn großen Hakenkreuzen steht.
„Der Faschismus ist die Wurzel des Nationalsozialismus.“
Müssen der Faschismus und Nationalsozialismus möglicherweise differenziert betrachtet werden?
Warum? Weil der Nationalsozialismus mehr Tote verursacht hat? Der Faschismus ist die Wurzel des Nationalsozialismus. Wir wissen, dass Hitler den Faschismus in Italien kopiert hat. Der einzige Unterschied war, dass der rassische Ansatz bei den Deutschen stärker durchschlug. Aber zu sagen, dass der Faschismus weniger schlimm gewesen sei als der Nationalsozialismus, weil die Juden nicht direkt ermordet, sondern mit den Deportationen nur den Deutschen ausgeliefert wurden, ist lächerlich.
Wieso kritisierten Sie auch die Demonstration in Bozen zum Nahostkonflikt in Gaza?
Es gibt gravierende und alarmierende Anzeichen dafür, dass in Gaza ein Völkermord stattfindet, der sofort beendet werden muss. Aber ich finde es problematisch, wenn man bei den Gaza-Protesten den Terror der Hamas und die Proteste gegen die israelische Regierung im eigenen Land ausklammert. Besonders dann, wenn Parolen wie „From the river to the sea, Palestine will be free“ geschrien werden – im Bewusstsein, dass diese Parolen eigentlich die Hamas gebraucht, um Israel das Existenzrecht abzusprechen. Wenn ich auf die Straße gehe, dann nicht nur, um das Ende des israelischen Militäreinsatzes zu fordern, sondern auch die Freilassung von Zivilisten als Geiseln der Hamas. Die Hamas ist eine vom Iran finanzierte Gottesmiliz, die eine Theokratie ohne Rechte für Frauen und Transgender errichten will und Schwule exekutiert. Das ist die Hamas. Wenn sie als eine Befreiungsorganisation dargestellt wird, dann steigt es mir.
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Eine sehr vernünftige und…
Eine sehr vernünftige und wohlüberlegte Stellungnahme des Herrn von Wohlgemut. Zu ergänzen wäre noch, dass das sogenannte "Siegesdenkmal" etwa 8 Meter hinter dem von den Faschisten zerstörten Denkmal für die gefallenen Kaiserjäger des zweiten Regimentes errichtet wurde. Die Porpyrblöcke des zerstörten Denkmals wurden an die italienischen Gemeinden vergeben, die für den Bau des faschistischen "Siegesdenkmals" spendeten. Die restlichen Trümmer wurden eingeebnet und bilden den Anstieg zum faschistischen Denkmal. So muss jeder, der zum Denkmal hinaufsteigt, das Andenken an die österreichischen Soldaten mit Füßen treten - so war des die Absicht des faschistischen Architekten Piacentini, und so ist es die Absicht aller jener Faschisten, die heute noch in diesem Geiste zu ihrem Denkmal emporsteigen. Dieser menschenverachtende Aspekt ist bei der angeblichen "Historisierung" des Denkmales vollkommen missachtet worden. Man wollte den Faschisten nicht auf die Zehen steigen.
Wenn man auf eine Kundgebung…
Wenn man auf eine Kundgebung geht, dann gibt es immer ein paar Sprüche oder Verhalten, die man nicht teilt. Im Nachhinein Haarspalterei zu betreiben klingt eher als Ausrede.
Es geht um das wahren der Menschlichkeit, Brüderlichkeit und internazionalen Gesetze, um nichts weniger. Der Rest ist Propaganda, auf die auch der intellgente Wohlgemuth reingefallen ist.
Antwort auf Wenn man auf eine Kundgebung… von Max Benedikter
Natürlich gibt es immer…
Natürlich gibt es immer einige, welche Demonstrationen auch für ihre Zwecke missbrauchen. Aber ich habe die Person mit dem Megafon selbst gesehen - es ist immer die gleiche - die diese Parole immer wieder angestoßen hat und das bei bisher jeder Demo für Gaza. Als Veranstalter sollte und muss man darauf reagieren und das unterbinden.
Es geht auch nicht um "Haarspalterei", wenn man die Anerkennung des Existenzrechtes Israels, eine klare Distanzierung zum fundamentalistischen Terror der Hamas und die Freilassung der Geiseln einfordert. Das sollte eigentlich demokratischer Konsens sein. Wenn ich aber sehe, dass dies bei Demonstrationen, oder Beschlussanträgen (bewusst?) nicht gemacht wird, dann ist das nicht Propaganda...sondern bedauerlich bzw. befremdlich.
Antwort auf Natürlich gibt es immer… von Felix von Wohlgemuth
Wenn Ihnen die Menschen in…
Wenn Ihnen die Menschen in Gaza, das internationale Recht und der Frieden im Nahost was Wert sind, dann organisieren Sie Ihre eigene Demo und wählen Ihre Slogans. Schweigen und Haarspalterei nutzt momentan nur jenen, die internazionale Konflikte mit Gewalt und unter Ausschluss der Journalisten durchziehen.
Aber mal ehrlich, Herr Wohlgemuth, sind Sie bereit gegen das israelische Massaker in Gaza zu protestieren oder verteidigen Sie es als Selbstwehr?
Antwort auf Wenn Ihnen die Menschen in… von Max Benedikter
Ich habe schon vor Monaten…
Ich habe schon vor Monaten geschrieben, dass Israel die Grenze zum Völkermord überschritten hat und bin gerne bereit zu demonstrieren - nicht aber mit Menschen, die Israel das Existenzrecht abstreiten, denn für mich ist die Existenz Israels nicht verhandelbar – das ist die Folge der Verantwortung, welche wir noch für Generationen für die Schuld unserer Groß- und Urgroßväter tragen müssen.
Nochmals: Die Verurteilung umd konsequente Ablehnung der Hamas, die Forderung der Freilassung der Geiseln und das Bestehen auf das Exitenzrecht Israels sind keine "Haarspalterei", sondern zentrale Forderungen für die Beendigung dieses Krieges.
Sind Sie Herr Benedikter bereit, die Hamas klar und deutlich zu verurteilen, oder ist sie für Sie eine Befreihungsorganisation.
Und sind Sie bereits, bei der nächsten Demo einzuschreiten, wenn über das Megafon «From the river to the sea, Palestine will be free» gebrüllt wird?
Wenn ja, dann stehe ich an Ihrer Seite.
Antwort auf Ich habe schon vor Monaten… von Felix von Wohlgemuth
Ja. Ich bin bereit Hamas…
Ja. Ich bin bereit Hamas klar und deutlich zu verurteilen. Hamas ist eine Terrororganisation, die sich in der Vergangenheit und in der Gegenwart auch gegen das palästinensische Volk gerichtet hat.
Nein. Ich werde nicht einschreiten, wenn jemand from the river to the sea singt, aber ich singe nicht mit. Ich glaube nicht an Endlösung und bin für ein Zusammenleben oder zumindest ein nebeneinander. Also nicht "from the river to the sea" , aber sehr wohl "Palestina will be free!" Übrigens deshalb kennen viele Staaten jetzt Palestina als Staat an.
Antwort auf Ja. Ich bin bereit Hamas… von Max Benedikter
Sie kennen die…
Sie kennen die diesbezügliche UN-Rersolution und was diese dazu schreibt/verlangt, auch von der anderen, der palästinensischen Seite?
Antwort auf Sie kennen die… von Peter Gasser
Präzisierung: die New-York…
Präzisierung: die New-York-Declaration:
"Bereits zuvor, am 12. September, hatten 142 Staaten in der UN-Generalversammlung, darunter auch Deutschland, die sogenannte New York Declaration unterzeichnet. Diese sieht einen langfristigen Fahrplan zur Lösung des Konfliktes vor und fordert unter anderem eine sofortige Waffenruhe, die Freilassung aller Geiseln, die Entwaffnung der Hamas, den Ausschluss der Hamas aus jeglicher Regierungsverantwortung über Gaza und die Schaffung eines palästinensischen Staates. Frankreich und Saudi-Arabien gelang es dabei, mehreren arabischen Unterzeichnerstaaten eine Verurteilung der Hamas abzuringen".
Antwort auf Ich habe schon vor Monaten… von Felix von Wohlgemuth
Danke für diese klare…
Danke für diese klare Haltung.
Antwort auf Wenn man auf eine Kundgebung… von Max Benedikter
Zitat: "Der Rest ist…
Zitat: "Der Rest ist Propaganda, auf die auch der intellgente Wohlgemuth reingefallen ist":
reinstes ad personam, statt sachlichem Argument.
Da könnte man analog dazu mit den Worten Max Benedikters auch sagen: `Der Rest ist Propaganda (der Hamas), auf die auch der intellgente Beendikter reingefallen ist`.
Solcherart Argumentation ist allerdings abzulehnen, so meine Meinung.
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wie auch immer,. wo Felix recht hat, hat er recht und ich bin kein politiker.
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Es wäre mehr als traurig, wenn die Grünen als Partei so eine gesittete Diskussion wie diese, die m.E. grüne Grundwerte ins Spiel bringt, nicht aushalten würde.
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Die Grünen hätten, wenn sie mit ihren Botschaften auch die Mitte der Gesellschaft erreichen möchten, einige ihrer Positionen zu überdenken, nicht zuletzt auch ihre Allianz mit AVS.
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Es ist wohltuend, bei all der laufenden Polarisierung auch differenzierte Stellungnahmen jenseits von schwarz-weiß zu lesen. Danke, Felix.