„Verarmung der Sprache in ganz Europa“

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SALTO: Frau Ribeiro da Silva Tutzer, wie beurteilen Sie den Vorschlag der Deutschförderklassen?
Elizabeth Ribeiro da Silva Tutzer: Das Thema ist sehr emotional, das merke ich im Gespräch mit Eltern. Eigentlich müsste beim Thema Schule das Wohl der Kinder im Vordergrund stehen. Es betrifft alle, die deutsch- und italienischsprachigen und die ausländischen Kinder. Um eine gute Lösung zu finden, muss aber sachlich diskutiert werden.
Sie haben meine Frage nicht beantwortet…
Die Deutschförderklassen sind ein interessanter Ansatz, den wir uns genauer anschauen müssen. Wenn Kinder mit einer anderen Muttersprache die deutsche Schule besuchen, dann muss klar sein, dass Schule nicht in erster Linie dem Erlernen einer Fremdsprache dient, sondern der Vermittlung von Unterrichtsinhalten. Die Sprache ist hier ein Werkzeug, um diese Inhalte zu vermitteln und die Kinder in unsere Gesellschaft einzuführen. Deshalb muss ein bestimmtes Sprachniveau da sein. Wenn das Kind in der Klasse sitzt und nichts versteht, kann es auch kein Erfolgserlebnis haben. Wenn diese Erfolgserlebnisse ausbleiben und Frustration aufgebaut wird, werden eher Schulkarrieren abgebrochen, das wissen wir mittlerweile.
„Außerdem sind die Kinder die zukünftigen Erwachsenen und damit zukünftige Eltern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“
Was schlagen Sie vor?
Ich nehme mir bei so einem komplexen Thema nicht heraus, einen fertigen Vorschlag zu präsentieren. Aber wir müssen uns als Gesellschaft fragen, wie wir das lösen wollen. Die Arbeitsgruppe der SVP zum Muttersprachenunterricht wurde genau aus diesem Grund eingerichtet. Es ist wichtig, dass unsere Kinder und Jugendliche mündige Staatsbürger werden und dafür ist eine gute Bildung notwendig. Wenn der Weg der Förderklassen der richtige dafür ist, wieso nicht? Das müssen wir jetzt in einer offenen und sachlichen Diskussion durchdiskutieren, ohne ideologisch zu werden.
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Zur Person
Elizabeth Ribeiro da Silva Tutzer ist ausgebildete Rechtsanwältin und arbeitet zurzeit als Lehrkraft für Rechts- und Wirtschaftskunde in Bozen, sie ist in Bozen geboren und aufgewachsen, verheiratet und hat zwei Kinder. Zuvor war Ribeiro da Silva Tutzer in der Rechtsabteilung des Hotelier- und Gastwirteverbands (HGV) beschäftigt. Die 39-Jährige mit portugiesischen Wurzeln kandidiert bei den Gemeinderatswahlen in Bozen für die Südtiroler Volkspartei (SVP). Ihre Themen sind die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, dazu gehöre auch ein garantierter Kita- und Mensaplatz für alle Kinder.
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Wird die Debatte derzeit zu ideologisch geführt?
Es ist ein Thema, das ganz lange nicht angesprochen wurde. Ich habe selbst meine Tochter in einer Bozner Schule und habe mit vielen Eltern gesprochen: Viele hatten lange das Gefühl, mit ihren Sorgen alleine gelassen zu werden. Wenn in einer Klasse fast keiner Deutsch spricht, fangen Eltern an, sich Gedanken zu machen.
Kommt das Recht von Kindern mit deutscher Erstsprache zu kurz, dem eigenen Niveau entsprechend gefördert zu werden?
Genau, das ist der Punkt. Auch in italienischen Schulen gibt es dieses Problem für Kinder mit italienischer Muttersprache. Wir müssen deshalb eine einheitliche Lösung finden. Es findet in ganz Europa eine Verarmung der Sprachen statt. Die Qualität muss wieder hochgeschraubt werden. Gerade die Zweisprachigkeit ist eigentlich der größte Reichtum, den wir in Südtirol als Bindeglied zwischen dem deutschen Sprachraum und Italien haben. Das wird in der ganzen Diskussion oft vergessen.
„Die Mehrsprachigkeit darf aber nicht dazu führen, dass Kinder keine Sprache wirklich gut können.“
Laut Bildungsexpertinnen lernen Kinder Deutsch am besten in der Klasse mit deutschsprachigen Kindern, außerdem würden alle Kinder von der Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer profitieren.
Klar, ich bin selbst dreisprachig aufgewachsen und weiß, was sie meinen. Laut Studien fällt es Kindern, die mehrsprachig aufwachsen leichter, neue Sprachen zu erlernen. Die Mehrsprachigkeit darf aber nicht dazu führen, dass Kinder keine Sprache wirklich gut können. Es darf auch nicht passieren, dass in den Klassen mit wenigen Kindern, die Deutsch als ihre Muttersprache haben, diese in ihrer Förderung benachteilig werden.
Ist es also am Ende ein Streit um Ressourcen, welche Kinder in der Schule die meiste Förderung erhalten?
Ja, genau deswegen entsteht der Frust auf Seiten der Eltern. Sie haben häufig nicht mehr das Gefühl, dass ihr Kind seinen Fähigkeiten entsprechend gefördert wird. Alle Eltern wollen die beste Ausbildung für das eigene Kind, das ist ein legitimer Wunsch. Außerdem sind die Kinder die zukünftigen Erwachsenen und damit zukünftige Eltern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Deshalb müssen wir uns die Frage stellen, wo wir als Gesellschaft hinwollen. Wollen wir durchschnittlich bleiben oder unseren Lebensstandard halten und uns weiterentwickeln? Wenn wir gute Leute wollen, müssen wir jedes Kind abholen und mehr Ressourcen in die Bildung investieren. Denn eine Lehrperson alleine kann das nicht bewältigen.
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Dieser Beitrag ist wieder…
Dieser Beitrag ist wieder mal ein Floskel-aufsatz!
Ich würde eher mal das Sprachniveau der Menschen mit Vorbildfunktion ansprechen: Politiker, Lehrkräfte, Journalisten und die Eltern selbst. - Man braucht nur die Nachrichten konsumieren.
Es vergeht kein Tag an dem nicht reihenweise Grammatikfehler, verdrehte Redewendungen und grauenvolle Neologismen in den Äther geblasen werden!
Diese Leute sitzen teilweise an oberster Stelle und ziehen die Fäden, die unser Leben beeinflussen.
Woher sollen Kinder ihre Bildung nehmen wenn die meisten Erwachsenen, die sie betreuen, unfähig sind?
Und, übrigens: Diese Kinder sind nicht nur die “zukünftigen Erwachsenen und damit zukünftige Eltern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, sondern vor allem zukünftige Wähler_innen! Und Wähler_innen mir geringer Bildung, sind wirklich ein Problem, wie wir letzthin gesehen haben.
Zitat: “Eigentlich müsste…
Zitat: “Eigentlich müsste beim Thema Schule das Wohl der Kinder im Vordergrund stehen”:
So ist es.
Wer sein Kind ohne Kenntnis der Unterrichtssprache in die Schule schickt, liebt sein Kind nicht.
Es müssten also gerade die Eltern jene sein, die vorhergehende Sprachkurse nicht nur wollen, sondern verlangen.
Antwort auf Zitat: “Eigentlich müsste… von Peter Gasser
da eine Schul- bzw…
da eine Schul- bzw. Bildungspflicht besteht, müssen Eltern ihre Kinder vom ersten Tag an in Südtirol in die Schule schicken, auch wenn sie vorher gar keine Gelegenheit hatten einen Deutschsprachkurs zu besuchen. Das hat also gar nichts mit "mangelnder" Liebe zum Kind bzw. dessen Wohl zu tun.
Antwort auf da eine Schul- bzw… von Michael Bockhorni
Aus eigener Erfahrung…
Aus eigener Erfahrung widerspreche ich:
mit Begründung, erst die Sprache zu lernen, hatte ich für meine eigene (Adoptivtochter) den Schulbeginn mit Antrag an die Gemeinde 1 Jahr aufgeschoben.
Und: die Eltern können, in Vorbereitung auf die Schule, das Kind ja bereits in den entsprechenden deutschen bzw. italienischen Kindergarten schicken... oder geht auch das nicht?
Ein interessantes Interview…
Ein interessantes Interview mit einer (mehrsprachigen) Frau und Mutter aus BZ-Stadt. Man hat das Gefühl, dass sie genau weiß, worüber sie spricht.
man muss das Rad nicht neu…
man muss das Rad nicht neu erfinden. In vielen umliegenden Regionen und Ländern gibt es dieses Problem schon länger und auch verschiedene Lösungsversuche mit unterschiedlichen Erfolgen. https://www.derstandard.at/story/2000141512549/kein-gutes-zeugnis-fuer-…
Einen Vertreter der SVP nach…
Einen Vertreter der SVP nach Lösungen für die zweisprachige Schule zu fragen, ist ungefähr so (nicht ganz so extrem, aber immerhin) wie einen Vertreter der AfD zu fragen, wie er das Einwanderungsproblem lösen würde.