„Bildungselite sucht Alternative“

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SALTO: Frau Abel, weder das Schulamt noch die Uni Bozen oder die Eurac wurden von der SVP-Arbeitsgruppe zum Muttersprachenunterricht in der deutschen Schule angehört…
Andrea Abel: Es geht mir weniger darum, ob die besagten Institutionen befragt wurden oder nicht, sondern um die fehlende Transparenz. Wer wurde befragt und was wurde vorgeschlagen? Das Thema betrifft die lokale Bildungswelt und ist für die Öffentlichkeit relevant.
Was hätten Sie bei der Anhörung gesagt?
Zu der Fragestellung hätte ich auf zwei Ebenen geantwortet. Zunächst mal ist es aus meiner Sicht wichtig, in Bezug auf den sogenannten „Muttersprachenunterricht“ einen zentralen Begriff zu klären. Welche Muttersprachen sind denn eigentlich gemeint und wessen Muttersprachen? Der Begriff Muttersprache ist im Prinzip ein völlig unklarer Begriff und wird deshalb in der Linguistik und Sprachdidaktik zunehmend vermieden. Bezieht er sich auf eine hohe Sprachkompetenz? Auf die Erstsprache(n)? Und auf welche Form der Sprache: Ist es die Standardsprache Deutsch, also „Hochdeutsch“? Ein Dialekt? In Bezug auf die Schule ist es besser, von der Unterrichts- oder Bildungssprache zu sprechen.
„Das wiederum führt zu verstärkter Segregation.“
Die zweite Ebene bezieht sich auf die Zielgruppe. Im medialen Diskurs entsteht der Eindruck, es gehe in erster Linie um die Frage, ob Kinder mit der Erstsprache Deutsch ausreichend Inhalte lernen und zudem ihre Deutschkompetenzen ausbauen. Im Fachdiskurs ist hingegen die Hauptfrage, wie man allen Kindern die möglichst gleichen Bildungschancen bietet. Also man will Kindern die Teilhabe am Unterricht und schließlich an der Gesellschaft ermöglichen und sie entsprechend fördern. Da gibt es eine ganze Reihe von Vorschlägen, um alle Kinder mitzunehmen, wie etwa individuelle Bildungspläne und verschiedene didaktische Ansätze. Zudem spielt das emotionale Wohlbefinden eine Rolle, die Kinder sollen sich ja auch als Teil einer Klassengemeinschaft fühlen.
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Zur Person
Andrea Abel ist Sprachwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Linguistik. Sie lehrt an der Freien Universität Bozen und forsch bei Eurac Research.
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Wie beurteilen Sie den Aufschrei beim Fall der Bozner Goethe Schule letztes Jahr?
Da ging es um die Einrichtung einer eigenen Klasse mit Kindern, deren Deutschkompetenzen laut Angabe der Eltern gering waren oder fehlten. Was die rechtlichen Aspekte betrifft, ist die Sachlage diesbezüglich klar. Zu separater Beschulung gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Studien aus anderen Kontexten, auch in Österreich im Zusammenhang mit den sogenannten Deutschförderklassen. Zielgruppe sind hier Kinder mit rezenter Zuwanderungsgeschichte, die nicht gut Deutsch können. Jetzt haben wir in Südtirol eine andere Situation, nämlich gibt es einerseits die Gruppe von Kindern mit rezenter Zuwanderungsgeschichte und dann gibt es aber die zweite Gruppe, das sind Kinder, die zum Beispiel aus einem italienischsprachigen Elternhaus kommen.
Das heißt?
Es ist schwierig, Forschungsergebnisse von einem Kontext auf einen anderen zu übertragen. Zu der Zielgruppe der Kinder mit Migrationsgeschichte kann man sagen, dass die Schulerfolge vor allem vom sozioökonomischen Hintergrund abhängen. Dazu kommt auch das kulturelle Kapital, sowas wie, welche Literatur zu Hause gelesen wird, steht da ein Klavier, geht man mit den Eltern zum klassischen Konzert. Und natürlich auch die Unterstützung, die die Familie zum Beispiel bei den Hausaufgaben geben kann.
„Die Bildungsbehörden können da durchaus steuernd eingreifen.“
Was empfehlen Sie?
Ich denke, es ist ein Fehler zu glauben, dass man dadurch, dass man Sprachkompetenzen verbessert, soziale Ungleichheiten ausgleicht. Man sollte unterschiedliche Problematiken nicht einfach vermischen und in einen Topf werfen.
Also kann die Schule nicht viel ausrichten?
Viele Eltern von Kindern mit deutscher Erstsprache haben offenbar die Sorge, dass diese in sprachlich heterogenen Klassen benachteiligt und nicht ihrem Niveau entsprechend gefördert werden. In den letzten Jahrzehnten hat eine Standardisierung im Schulsystem stattgefunden, um möglichst allen Kindern annähernd gleiche Kompetenzen zu vermitteln. Das hat Vor- und Nachteile. Ein Nachteil vor allem für sozial Schwächere ist, dass eine Bildungselite zunehmend alternative Bildungswege für die eigenen Kinder sucht, um Klassen mit großer sprachlich-kultureller Heterogenität auszuweichen. Das wiederum führt zu verstärkter Segregation. Die Bildungsbehörden können da durchaus steuernd eingreifen.
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"Ein Nachteil vor allem für sozial Schwächere ist, dass eine Bildungselite zunehmend alternative Bildungswege für die eigenen Kinder sucht, um Klassen mit großer sprachlich-kultureller Heterogenität auszuweichen. Das wiederum führt zu verstärkter Segregation. Die Bildungsbehörden können da durchaus steuernd eingreifen."
1. Mit "sozial Schwächere" meint die Forscherin sicherlich "finanziell Schwächere". Diese sind aber nicht von vorne herein sozial weniger kompetent, weswegen es mich wundert, dass dieses Begriffspaar noch verwendet wird.
2. Wenn es diese Reaktion auf die Missstände gibt, dann sollte auch dementsprechend gehandelt werden, nur Schönreden und Wegschauen sowie Inklusion als kategorischen Imperativ vor sich herzutragen wird nicht genügen.
Perfekt Herr Kobler!
Perfekt Herr Kobler!
Die Bildungs- und…
Die Bildungs- und Finanzelite schickt ihre Kinder in eine Privatschule (ohne Ahmed und Alina, auch ohne Kinder mit besonderen Bedürfnissen und Kinder mit auffälligem Vehalten werden zeitnah an die Staatsangestellten weitergereicht). Den Aufschrei gab es ja v.a., weil es "blöderweise" keine privaten Grundschulen gibt. Die Elite bleibt "natürlich" lieber unter sich (Fränzi).
Meiner Meinung nach bleibt…
Meiner Meinung nach bleibt die beste Lösung die, in der die Klassen gemischt bleiben, nur sollte man die Kinder mit nicht ausreichenden Deutschkenntnissen besser verteilen und sorgen dass die Kinder mit Deutsch als Erstsprache in der Mehrheit sind. Das aktuelle Modell der deutschen Schule ermöglicht es, auf die individuellen Bedürfnisse jedes Kindes einzugehen.
Das mit Förderklassen finde ich nicht optimal. Wir sollten versuchen, Unerwünschtes möglichst zu verdünnen, statt starke Konzentrationen zu erzeugen.