Kultur | Journalismus

Die Bozner Charta

Beim Treffen zur Vorstellung der "Bozner Charta" ging es um den verantwortungsvollen Umgang mit künstlicher Intelligenz in den Medien. Und indirekt um die Schreibmaschine.
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Foto: SALTO
  • In den meisten demokratischen Staaten ist der Journalismus kein zulassungspflichtiger Beruf – das heißt, man braucht keine formale Prüfung oder staatliche Lizenz, um als Journalist oder Journalistin tätig zu sein. In Ländern wie China, der Türkei, Kuba, Nordkorea und Vietnam gibt es Eignungsprüfungen oder staatliche, politische Akkreditierungen. Auch in Italien wird geprüft und die „Presse“ verwaltet, nachdem vor rund 100 Jahren unter dem Duce – Mussolini war selbst Journalist – die Einrichtung des Albo dei Giornalisti beschlossen wurde, also ein staatliches Berufsregister für Journalisten und Jorunalistinnen innerhalb des faschistischen Presseverbands. Etliche Jahre nach dem Krieg, 1963, wurde das alte Gesetz aus der Zeit des Faschismus formal demokratisiert und neu umgesetzt. 2025 ist es immer noch in Kraft.

  • Und täglich grüßt die Schreibmaschine?: Flyer zur Veranstaltung über KI und Journalismus. Foto: UniBZ

    Aber ist das Albo dei Giornalisti noch zeitgemäß? Sichert dieses System tatsächlich die journalistische Qualität und Verantwortung? Der Einladung zur jüngsten Veranstaltung der Journalistenkammer in die neuen Räume der Uni Bozen im NOI folgten nicht besonders viele der schreibenden Zunft. Auf dem Flyer zur Veranstaltung thront eine stilisierte Schreibmaschine älteren Datums, mit Euro-Zeichen und einem langen Papierbogen. Die gute alte Schreibmaschine ist in Italien als jahrzehntelange Begleiterin der schriftlichen Journalistenprüfung bekannt. Sie wurde erst nach zähem Ringen vor wenigen Jahren aus dem Prüfungsprozedere genommen. Nun ist sie – zumindest als Grafik – wieder da. Sie ist auch Teil der Grafik (siehe Titelbild) zur Bozner Charta und wohl einfach nicht umzubringen. 

    Die Diskussion über die künstliche Intelligenz (KI) lässt neben Hoffnungen und versteckten Erwartungen zugleich Ängste aufkommen. Das war bei großen technologischen oder kulturellen Neuerungen immer wieder der Fall gewesen, wie es auf der Tagung hieß – etwa, als Platon in der Einführung der Schrift eine Bedrohung für das Gedächtnis sah. Es ist aber eine Tatsache, dass der Mensch seit jeher nach Möglichkeiten sucht, sich selbst neu zu denken und/oder seine Grenzen zu überschreiten.

  • Spielerisches und handwerkliches Arbeiten mit der KI: Wie ein Mehrzweckmesser und Legobausteine zusammen... Foto: SALTO

    Die Debatte über KI ist vor allem eine kulturelle und geht sogar ins Philosophische – geht es doch um das Verhältnis des Menschen zu sich selbst, um Macht (und Ohnmacht), Verantwortung und um Grenzen menschlicher Gestaltungskraft. Eine besondere Rolle spielt sie im Journalismus, denn wer Informationen aufbereitet, prägt Meinungen, beeinflusst Politik und gestaltet öffentlich geführte (oder lancierte) Diskussionen. Kann also dies revolutionäre Maschine bald wirklich journalistische Verantwortung übernehmen? Oder bleibt Verantwortung untrennbar mit dem Menschen verbunden? 
     

    Die in Bozen vorgestellte Charta fußt auf drei Prinzipien: Bewusstsein, Wissenschaft und Verantwortung. 


    Unter dem Schlagwort Bewusstsein soll über ein kulturelles Verständnis erläutert und verdeutlicht werden, wozu die KI eigentlich imstande ist, wer hinter ihrer Entwicklung steht und welche Interessen damit verbunden sind. Unter dem Schlagwort Wissenschaft wird in der Bozner Charta die notwendige kritische Auseinandersetzung angesprochen, denn nur wer die Funktionsweisen von Algorithmen und die Mechanismen der Datenverarbeitung versteht, kann ansatzweise die Wirkung auf Meinungsbildung und Gesellschaft einschätzen.

  • Bruno Del Vecchio: Vorstellung der Charta von Bozen. Foto: SALTO

    Unter dem Schlagwort Wissenschaft wird die notwendige kritische Auseinandersetzung angesprochen, denn nur wer die Funktionsweisen von Algorithmen und die Mechanismen der Datenverarbeitung versteht, kann ansatzweise die Wirkung auf Meinungsbildung und Gesellschaft einschätzen.
    Damit wären wir wieder bei der Verantwortung. Sie erinnert daran, dass journalistische Entscheidungen immer auch ethische Dimensionen haben. So darf (oder sollte) ein Medienverlag oder eine Redaktionsleitung nicht allein nach ökonomischen Kriterien handeln, sondern so, damit der Journalismus auch weiterhin im Dienst von Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie steht.
     

    ... die KI ist längst als blinder Passagier in jeder Redaktionsstube mit an Bord.


    KI eröffnet unbestreitbar große Möglichkeiten: sie kann das Recherchen ungemein erleichtern, Daten analysieren und Arbeitsprozesse beschleunigen. Doch die Risiken sollte man immer vor Augen haben, ist doch die KI schon längst als blinder Passagier in jeder Redaktionsstube mit an Bord. Man muss sorgsam mit ihren schnell abrufbaren Informationen umgehen, denn sie macht noch jede Menge falsche Aussagen, Deutungen und verbreitet Hinweise, die ins Leere führen.
    Um auch in Zukunft noch den Wald im Blick zu haben – und nicht nur einzelne Bäume –, kann sie, die KI, natürlich auf vielen Ebenen weiterhin gut gerne schalten und walten. Das große Ganze so wahrhaftig, vernünftig und ehrlich wie möglich zu überblicken und in Zaum zu halten, bleibt – hoffentlich – Menschensache. Oder doch nicht?