Metal, KI und der menschliche Faktor
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Diese Rezension bedarf einer Einleitung, denn KI und Musik ist eine noch offene Diskussion. Es ist nicht klar, wie tief die „künstliche Intelligenz“ in das weite Feld der Popmusik eingedrungen ist, es steht aber fest, dass sie bereits sehr tief eingedrungen ist. Die Chance ist sehr groß, dass wir alle bereits KI-generierte Musik gehört haben, ohne es zu wissen, ob dies nun Soundtracks, Popsongs oder Jingles sind. Denn kaum jemand packt das Label „AI generated content“ drauf, um die HörerInneschaft über den Ursprung zu informieren.
Während man sich den Blick für KI-generierte Bilder schärfen kann und diese auch (noch) mit freiem Auge schnell erkennt, ist dies bei Musik etwas schwieriger. Nahezu alles in der Musikwelt ist mittlerweile digitalisiert und digitalisierbar, alles wird schneller, besser, einfacher. Was die generelle Digitalisierung betrifft, kann man sich sogar im Live-Kontext bei kleineren Bands nicht immer sicher sein, ob die Musik von der Festplatte kommt oder wirklich von den Musikern.
Der Schritt zur KI liegt in einem derartigen Umfeld nicht nur klar auf der Hand, sondern bietet sich förmlich an. Und wenn für viele die KI ein absolutes No-go ist, nutzen es andere als Werkzeug, als Instrument oder aber als bequeme „Abkürzung“ des kreativen Prozesses. Die Situation ist komplex, durchaus vielschichtig und – aus unserer Sicht – mit Sicherheit nicht schwarz/weiß.
Das deutsche Metal-Magazin Deaf Forever vertritt zurzeit den Standpunkt, mit KI-generierte Alben bewusst nicht in Betracht zu ziehen, wenngleich der Redaktion die gegenwärtige Situation bewusst ist. Das ins Feld geführte Hauptargument ist der fehlende „menschliche Faktor“.
Vor etwas über einem Jahr ist die EP „When Everything Is Given” erschienen. Sie stammt vom aus Gais stammenden Musiker Christoph Brunner, der damit sein Projekt KraHbicht in die Welt hievte. Brunner ging von Anfang an offen damit um, dass er für seine Musik KI verwendet.
Wir haben uns damals einigermaßen skeptisch dem Projekt genähert, waren aber gepackt vom Titelsong und entdeckten in der Folge, dass der „menschliche Faktor“ hier sehr wohl gegeben war. Brunner bringt in den Texten seine Seele zu Papier und investiert Zeit und Vorstellungskraft, um zu dem Ergebnis zu kommen, das er mittels Suno erreichen will.
Dazu gehört natürlich der generelle Sound, den er „spielen“ will und der in diesem Falle dem Melodic Death Metal schwedischer Prägung entsprechen sollte, Musik also, die seine All-Time-Favorites In Flames praktiziert hatten.
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„Triff mich am Wendepunkt“
Als ehemaliges Mitglied der Brunecker Death-Metal-Band November Soul, hat Brunner natürlich auch seine konkreten Erfahrungen und Vorstellungen von Songaufbau und größeren Erzählbögen. Und die findet man gerade auch auf dem Debüt-Album „Meet Me At The Turning Point“ von KraHbicht wieder, das im Juli 2025 erschienen ist.
Das beginnt mit einem einführenden Intro („Come In, Oh Wanderer, Sit Down And Rest“), das nicht zufällig auf die nicht ganz einfache Reise durch das Album verweist, einem ruhigen, positiven und akustisch gehaltenen Outro („Now Go, Oh Wanderer, Go And Find Peace”) und einem instrumentalen, folkigen Zwischenstück mit dem Titel „The Raven And The Sis“, das zwischen den ziemlich bisweilen heftigen Songs eine kurze Verschnaufspause bietet.
Das Herzstück des Albums sind aber die eigentlichen Songs, die mit „Subconscious Clarity“ starten, einer harten und eingängigen Nummer, deren Text über das Vertrauen auf das eigene Unterbewusstsein verweist, um durch den Gedankendschungel, die Selbstzweifel und den Hunger auf Antworten durchzuschlagen.
In „Library Of The Never“ spielt Brunner – in einer Art Science-Fiction-Szenario verpackt – das Konzept des „Was wäre wenn...“ durch. Was wäre, wenn wir an einem bestimmten Punkt im Leben, eine andere Entscheidung getroffen hätten? Was wäre geschehen? Wie hätten wir uns entwickelt?
Schwer und langsam, aber mit einer eingängigen Melodie versehen, folgt der Titelsong „Meet Me At The Turning Point“, dessen Text von jemandem erzählt, der schwere Zeiten hinter sich hat, mit einer gewissen Unruhe zurückblickt, mittlerweile aber einen Punkt erreicht hat, an dem er wieder bereit für ein Zurück in die Welt ist: „To those who left! / To those who stayed! / My heart is alive and open / My debts forgotten and all repaid.“ Das Pathos in den gewählten Worten passt zum generell etwas epischen Pathos der Musik, verschleiert die sehr positive Botschaft des Stücks aber nur leicht.
Brunner hat in den letzten Monaten über sein Instagram-Profil zu jedem seiner Songs kurze Texte veröffentlicht, in denen er Auskunft über den Inhalt der Songs gibt. Dennoch sei auf noch zwei weitere Songs verwiesen, die hervorstechen: In „Fractured Connections“ geht es um das Vergessen, das Sichverflüchtigen des eigenen Selbst, es geht um Demenz. Der Text findet pointierte Beschreibungen für dieses Vergessen, ist aber etwas zu pessimistisch, denn – um an „Meet Me At The Turning Point“ anzuknüpfen – „To those who left! / To those who stayed! / My heart is alive and open“. Das heißt, die Hand ist möglicherweise ausgestreckt.
Das musikalische Highlight ist für uns aber das achtminütige „Apocalypsis Corporis“. Es ist ein harter Brocken, aber nur beim allerersten Durchhören, denn es gibt viel Melodie, Abwechslung und einen Songaufbau, der diese acht Minuten und 14 Sekunden zu einer angenehmen Reise machen, die wir gerne immer wieder wiederholen. Einen deutlichen Mehrwert steuert auch hier wieder der Text bei (siehe die vollständigen Lyrics am Ende des Artikels), der von einem sich anbahnenden Totalzusammenbruch erzählt und an einem gewissen Punkt auch Todessehnsucht ins Spiel bringt. Das Ende ist irgendwie offen und dann doch wieder nicht, denn der letzte Satz ist „I will never be the same!“, und das wäre dann ja wieder ein Neuanfang.
Fehlender menschlicher Faktor also? Im Falle von KraHbicht mitnichten.
Mit weiteren drei Songs gibt es nach dem erwähnten Outro noch eine alternative Version des Songs „Seafarer Between The Stars“, der bereits auf der ersten EP erschienen ist. Das ergibt in Summe über 80 Minuten melodischen Death Metal, der sich sehr gut am Stück hören lässt.
Brunner hat für KraHbicht bereits einiges im Backrohr. Wann er es herausholt, und ob er es überhaupt herausholt, werden wir sehen. Die Tatsache, dass er vorsichtig damit umgeht, ist ein Verweis auf seine Ernsthaftigkeit als Musiker und Metalfan.
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Link
KraHbicht Instagram: https://www.instagram.com/krahbicht/
KraHbicht YouTube-Kanal: https://www.youtube.com/@krahbicht
KraHbicht Spotify: https://open.spotify.com/intl-de/artist/6BviIFP7ZRxpgu79x7Y8a8 -
KraHbicht: „Ashes, The Raven And The Rose“ (Official Music Release)(c) KraHbicht
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„Apocalypsis Corporis“: Die kompletten Lyrics
Something grows in the darkness…
In the unconscious, behind the curtain.
It begins long before we realize it and
slowly the end creeps in us.
We are strong, full of goals and dreams…
The countdown to game over,
has just begun.Something appears in the darkness,
First signs of decline,
But we ignore it, as long as we can,
Slowly the end grows in us…
We become older and become tired….
The countdown to game over,
has just begun.Every heartbeat,
becomes an echo in the past.
My body,
a fading shadow in the mirror's light.
It’s now time to,
leave all behind at last,
to embrace the,
never ending night.Apocalypsis corporis!
Drowning me in never ending pain..
Apocalypsis corporis!
Oh love of mine…
Apocalypsis corporis!
Caress me one last time!
Apocalypsis corporis!
I will never be the same!Suddenly i wake up in the winters night,
my heart, it beats the wrong way round…
And since it does not stop - it now emerges..
Slowly the decline is now progressing…
The countdown to game over,
Is not internal anymore.As decline progresses and sickness grows faster,
organs fail slowly, veins constrict and
the psyche crumbles to dust,
through constant pain.
The curtain is now lifted, the mask has fallen…
The countdown to game over,
With death behind the corner.Every heartbeat,
becomes an echo in the past.
My body,
a fading shadow in the mirror's light.
It’s now time to,
leave all behind at last,
to embrace the,
never ending night.Apocalypsis corporis!
Drowning me in never ending pain..
Apocalypsis corporis!
Oh love of mine…
Apocalypsis corporis!
Caress me one last time!
Apocalypsis corporis!
I will never be the same!Before the last strength leaves me,
I will get the feather to fill the last page…
I will write down the unspoken words,
words of consolation for whom I leave behind…
The countdown to game over,
is near to run out.You all have not to be sad, when I’m not here anymore…
cause I will be everywhere, where you are..
I am free now, free from effort and free from pain.
So I bid you all, my friends, a very fond farewell!
The countdown to game over,
has run out.Every heartbeat,
becomes an echo in the past.
My body,
a fading shadow in the mirror's light.
It’s now time to,
leave all behind at last,
to embrace the,
never ending night.Apocalypsis corporis!
Drowning me in never ending pain..
Apocalypsis corporis!
Oh love of mine…
Apocalypsis corporis!
Caress me one last time!
Apocalypsis corporis!
I will never be the same!Every heartbeat,
becomes an echo in the past.
My body,
a fading shadow in the mirror's light.
It’s now time to,
leave all behind at last,
to embrace the,
never ending night.Apocalypsis corporis!
Drowning me in never ending pain..
Apocalypsis corporis!
Oh love of mine…
Apocalypsis corporis!
Caress me one last time!
Apocalypsis corporis!
I will never be the same!(Text: Christoph Brunner)
Sehr gelungener Artikel zur…
Sehr gelungener Artikel zur aktuellen Situation bezüglich KI und Musik. Für den Endnutzer ist die Information, ob und wie sehr KI gestützt der kreative Prozess abläuft zentral, um in diesem Fall auf gleicher Augenhöhe mit dem Musikschaffenden zu kommunizieren. Es hat mit Authentizität und Ehrlichkeit zu tun, und dabei wird auch das Geschaffene ehrlich und authentisch wahrgenommen. Danke Reinhold
Toller Text, und hoffentlich…
Toller Text, und hoffentlich ohne KI kreiert.