„Ich bin gerne Lehrerin, aber...“
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16 Uhr
Die Schulglocke läutet ein letztes Mal für heute, die Kinder werden von ihren Eltern abgeholt, zum Glück sind dieses Mal alle pünktlich da. Der Schulhof leert sich und ich mache mich auf den Weg zur anderen Schulstelle, in der die Direktion des Sprengels ist.
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Aus dem Tagebuch einer Grundschullehrerin
Maria T. schildert den Tagesablauf einer Grundschullehrerin – vom frühen Morgen bis zum Feierabend. Damit möchte sie die Realität des Schulalltags sichtbar machen: die Anforderungen, Belastungen und strukturellen Probleme, die häufig hinter den Kulissen versteckt bleiben. Das Tagebucheiner Grundschullehrerin auf SALTO ist der Versuch aufzuzeigen, wie der Schulalltag tatsächlich aussieht: zwischen Unterricht, Betreuung, Verwaltungsaufgaben, Elterngesprächen und den vielfältigen Anforderungen, die an Lehrpersonen gestellt werden.
Die Autorin möchte anonym bleiben. Wir kommen diesem Wunsch nach, darum haben wir den Namen der Autorin geändert. Der richtige Name ist der Redaktion bekannt.
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16:30 Uhr
Die Schulführungskraft erklärt mir, dass ab Montag eine neue Schülerin in meine Klasse kommen wird. Ihre Familie ist vor Kurzem vom Iran nach Südtirol gezogen; Sprachkenntnisse in Deutsch und Italienisch nicht vorhanden.
Ich frage, ob es denn keine andere Klasse gebe, an einer anderen Schulstelle, die ein besseres Lernumfeld bieten würde für ein Mädchen, das gerade erst beim Ankommen ist?
Ich weiß natürlich, dass in solchen Fällen alle Optionen schon durchgedacht wurden und auch andere Klassen ähnliche oder sogar noch größere Komplexitäten aufweisen.
Ich schließe die Augen.
Ich sage: „Es kann sein, dass das Mädchen kaum etwas lernen wird, die Situation in der Klasse ist jetzt schon so komplex, ich müsste mich jetzt schon - auch in den Stunden, in denen wir zu zweit in der Klasse sind - mindestens dreiteilen, um die Kinder auch nur in Schach zu halten, geschweige denn, ihnen etwas beizubringen“.
Sie sagt: „Sie schaffen das schon!“
Ich schließe die Augen.
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17:30 Uhr
Ich sitze im Bus auf dem Weg nach Hause. Im Hintergrund lärmen Kinder, meine Ohren dröhnen, ich bin erschöpft. Auf dem Schoß halte ich eine große Tasche mit Deutschheften, die ich heute Abend noch durchsehen werde. Mein Handy macht bing die Push-Nachricht eines Onlineportals ploppt auf. Ich lese die Headline: Gehaltserhöhungen für Lehrkräfte: „Proteste zurücknehmen – oder kein Geld“.
Ich überfliege den Beitrag und erinnere mich an ähnliche Beiträge zum Thema, in denen der Grundtenor immer folgender ist:
Lehrerproteste auf dem Rücken der Kinder!
Auf dem Rücken der Kinder!
Auf dem Rücken der Kinder!
Auf dem Rücken der Kinder!
Und ich möchte schreien, ja, auf dem Rücken der Kinder!
Das ist Politik auf dem Rücken der Kinder!
Und ein Spiel der Politik mit dem Gewissen der Lehrpersonen!
Grundschullehrerin zu werden, war immer mein Traum. Seit einigen Jahren bin ich nun auch in der Stammrolle, ich habe schnell Fuß gefasst, komme mit Kolleginnen und Kollegen gut aus undmir wurden verantwortungsvolle Aufgaben übertragen.
Ich mag meine Arbeit.
Ich bin gerne Lehrerin.
Ich mag die Kinder, bereite mich gern vor, wähle tolle Lesetexte aus, bastle passendes Material dazu, arbeite Stationen zum selbstorganisierten Lernen aus, setze mich zu einzelnen Kindern, zeige ihnen, wie man liest, wie man schreibt, wie man eine Schere benutzt, aber auch, wie man sich gesund ernährt, wie man freundlich mit seinen Mitmenschen umgeht, wie man Konflikte lösen kann; ich zeige ihnen, wie man lebt.Aber nach solchen Tagen, an denen mir der Kopf dröhnt und die keine Ausnahme, sondern die Regel darstellen, frage ich mich immer, ob mir diese Arbeit selbst guttut. Und obwohl ich immer dachte, Lehrerin sei meine Berufung, ertappe ich mich dabei, wie ich an alternative Möglichkeiten meiner beruflichen Verwirklichung denke. Ich bin noch jung genug, um mich umschulen zu lassen.
Die Sache ist, ich will das eigentlich nicht tun - ich möchte Lehrerin sein! Aber unter anderen Bedingungen, weil ich meine Arbeit gut machen möchte.
Es geht darum, dass Schule nicht als Aufbewahrungsort für Kinder gesehen wird.
Ich möchte, dass sie gesehen, dass sie wertgeschätzt wird.
Wir Grundschullehrerinnen und -lehrer erfahren häufig wenig Ansehen und Anerkennung, obwohl wir die Basis für alles weitere Lernen legen. Diese geringe Wertschätzung zeigt sich unter anderem im Umstand, dass wir nach wie vor weniger verdienen als Lehrpersonen an Mittel- und Oberschulen. Ich möchte, dass diese delikate Arbeit nicht zum Spielball von Politik und Medien wird. Ich bin es einfach leid, mir in jeder Diskussion die Ferien vorhalten zu lassen, während ich an Schultagen regelmäßig kurz vor dem Zusammenbruch stehe.
Von Medien und Politik hört es sich von außen oft so an, als ginge es bei den Protestaktionen der Lehrenden immer nur um mehr Geld für die einzelne Lehrperson. Das stimmt nur zum Teil. Es geht in erster Linie um eine generelle Aufwertung unseres Berufs, es geht darum, dass Schule nicht als Aufbewahrungsort für Kinder gesehen wird, es geht darum, mehr und gut ausgebildetes Personal zu bekommen, damit das Lernen für alle gewährleistet werden kann, es geht um Wertschätzung für die Arbeit in der Schule und das klare Signal, dass Bildung eine Schlüsselrolle in unserer Gesellschaft einnimmt.
Jeden Tag stehe ich auf und versuche, meine Schülerinnen und Schüler zu sehen. Weil jede und jeder will und muss gesehen werden, um weitermachen zu können.
Nun möchte ich auch gesehen werden!
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"Es geht in erster Linie um…
"Es geht in erster Linie um eine generelle Aufwertung unseres Berufs, es geht darum, dass Schule nicht als Aufbewahrungsort für Kinder gesehen wird, es geht darum, mehr und gut ausgebildetes Personal zu bekommen, damit das Lernen für alle gewährleistet werden kann, es geht um Wertschätzung für die Arbeit in der Schule und das klare Signal, dass Bildung eine Schlüsselrolle in unserer Gesellschaft einnimmt."
Dieses Signal kommt eigentlich permanent, und Studien zeigen, dass der Lehrerberuf in Südtirol zu den am meisten geachteten gehört, siehe dazugehörige ASTAT-Studie: https://astat.provinz.bz.it/de/publikationen/zufriedenheit-der-burgerin…
Wieso diese Erhebung von der Lehrerseite geflissentlich ignoriert wird, ist mir ein Rätsel.
Mehr und gut ausgebildetes Personal wird es nicht geben, ganz einfach weil die Geburtenrate sinkt und wir nicht mehr genügend Nachwuchs haben. Keine Kinder - keine Lehrer, Ärzte, Handwerker ... und Schüler.
Deshalb sind wir vom Zustrom von Menschen anderer Herkunft angewiesen, und das erhöht die Komplexität in der Klasse. Alles hausgemacht sozusagen.
Die Politik verliert darüber natürlich kein Wort, denn eine funktionierende Familienpolitik haben wir ja auch nicht. Noch immer rutschen junge Familien in die Armutsfalle, können sich keine Wohnung leisten, noch immer muss die Frau zu Hause bleiben, während die einzige Rettung ist, dass der Mann irgendeine Führungsrolle beim Land oder im Unternehmen ergattert.