Fischen im Teich der Verunsicherten
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Die Hoffnung auf eine einfache Früherkennung von Alzheimer per Bluttest ist groß. In den letzten Monaten hat die US-Arzneimittelbehörde FDA erstmals Bluttests für Alzheimer-Biomarker zugelassen, die in der klinischen Praxis eingesetzt werden dürfen. Die neuen Biomarker-Tests, vermitteln die Vorstellung, man könne sein eigenes Erkrankungsrisiko frühzeitig messen und vielleicht sogar verhindern. Doch genau hier mahnt die Wissenschaft zur Zurückhaltung. Christian Wiedermann, Professor für innere Medizin an der Universität Claudiana, erklärt gegenüber SALTO, warum Alzheimer-Bluttests als Vorsorgeinstrument für Gesunde aber derzeit mehr Probleme als Nutzen bringen.
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Was Bluttests tatsächlich messen
Die aktuell diskutierten Alzheimer-Bluttests suchen nach Spuren von biologischen Prozessen, die mit typischen Veränderungen im Gehirn im Falle einer Alzheimer-Erkrankung einhergehen: Degeneration oder beispielsweise Entzündungsreaktionen. „Wenn im Gehirn solche Prozesse ablaufen, treten charakteristische Stoffe ins Blut über“, erklärt Wiedermann.
Das Problem: Diese Marker sind nicht ausreichend spezifisch. Sie zeigen an, dass im Gehirn etwas passiert – aber nicht zwingend, dass es sich um Alzheimer handelt. Entzündliche oder degenerative Veränderungen können viele Ursachen haben. Die Tests würden daher keinen verlässlichen Vorhersagewert dafür geben, ob jemand tatsächlich an Alzheimer erkranken wird, so Wiedermann.
„Dare Luce – Licht geben“Ab Januar 2026 startet in Bozen das Pilotprojekt „Dare Luce – Licht geben“ des Vereins Alzheimer Südtirol Alto Adige in Zusammenarbeit mit dem Zentrum Fisiodynamik. Das neue Vorsorge- und Entlastungsangebot richtet sich an Menschen mit kognitiven Störungen oder Demenzverdacht sowie an pflegende Angehörige. Ziel ist es, durch Screenings, therapeutische Angebote und psychologische Unterstützung eine möglichst lange, selbstbestimmte Betreuung zu Hause zu ermöglichen.
Foto: ASAAVor allem im Kontext der jüngsten Entwicklungen und Innovationen wird Alzheimer oftmals in einem Atemzug mit genetisch besser erforschten Erkrankungen wie bestimmten Krebsformen genannt. Doch dieser Vergleich führt in die Irre, erklärt Wiedermann. In der Onkologie gebe es Risikogene, bei denen Merkmalsträgerinnen und -träger mit 70- bis 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit tatsächlich – zum Beispiel im Falle eines festgestellten Mammakarzinom-Risikos – an Brustkrebs erkranken. „Bei solchen Risiken macht Vorsorgemedizin Sinn, weil daraus konkrete Maßnahmen folgen“, so Wiedermann.
Bei Alzheimer sei man davon aber „meilenweit davon entfernt“, erklärt der Experte. Zwar existieren genetische Risikofaktoren, doch diese wirken meist nur schwach zur Entstehung der Krankheit hinzu und erhöhen das Risiko allenfalls in Kombination mit anderen Faktoren. Sie erlauben keine klare Vorhersage. Zudem sind in Bezug auf die Alzheimererkrankung keine drastischen präventiven Eingriffe möglich. Auch hier gilt: Ein Biomarker allein sagt wenig über die individuelle Zukunft aus.
Tests nur bei Symptomen – nicht bei GesundenWenngleich in Italien noch keine Zulassung der Alzheimer-Bluttests erfolgte, stehen sie auch hier im Diskurs und werden häufig missverstanden, erklärt Wiedermann. In den USA dürfen Tests zur Früherkennung von Allgemeinmedizinerinnen und -medizinern ausschließlich bei Menschen mit bereits bestehenden Symptomen angeordnet werden – etwa bei Verdacht auf eine angedeutete kognitive Störung.
Der Grund liegt in der sogenannten falsch-positiven Rate. „In der hausärztlichen Versorgung zeigt sich: Nur etwa eine von fünf Personen mit positivem Testergebnis entwickelt tatsächlich Alzheimer“, erklärt Wiedermann. Studien hätten erwiesen, dass vier von fünf also ein alarmierendes Ergebnis erhalten, das sich später als unbegründet herausstellt. Die Folge sind Unsicherheit, Angst – und eine Kette weiterer kostspieliger, oft unnützer Untersuchungen.
„Diese Angebote fischen in einem Teich von Menschen, die verunsichert oder ängstlich sind, etwa weil ein Elternteil an Alzheimer erkrankt ist“
Anders stelle sich die Situation in den spezialisierten, sogenannten Memory-Kliniken dar. Dort kommen bereits vorselektierte Patientinnen und Patienten mit konkreten Symptomen an, um in einem professionellen Umfeld Verdachtsdiagnosen durchzuführen. Die Fehlerquote ist geringer, die Ergebnisse werden fachlich eingeordnet und in einen diagnostischen Gesamtprozess eingebettet.
Problematisch wird es dort, wo Tests direkt an Konsumentinnen und Konsumenten verkauft werden. Sogenannte Direct-to-Consumer-Tests werden im Internet als Vorsorgeinstrument beworben – oft zu hohen Preisen. „Diese Angebote fischen in einem Teich von Menschen, die verunsichert oder ängstlich sind, etwa weil ein Elternteil an Alzheimer erkrankt ist“, sagt Wiedermann. Auch Ulrich Seitz, Präsident des Vereins Alzheimer Alto Adige Südtirol (ASAA), warnt in einem Interview gegenüber der RAI davor: „Wir haben eine Gesellschaft, die ängstlich und im Shoppingfieber ist.“
Problematische GeschäftsmedizinMit den Tests ist ein lukrativer Markt entstanden und „es gibt durchaus Mediziner, die das mitunterstützen“, betont Wiedermann. Private Anbieter versprechen Klarheit, liefern aber häufig Ergebnisse mit unklarer oder geringer Aussagekraft. Hinzu schildert Wiedermann Qualitätsprobleme: „Studien zeigen, dass viele im Internet angebotene genetische Tests aus Laboren stammen, die zentrale Qualitätsstandards nicht einhalten“.
Das habe mehrere Folgen: Betroffene erhalten Befunde, die kaum jemand kompetent erklären kann. Gleichzeitig würden falsch-positive Ergebnisse das Gesundheitssystem belasten, denn durch teure Zusatzuntersuchungen und lange Abklärungswege würden Kapazitäten für Menschen blockiert, die diese Ressourcen dringender benötigen.
Biomarker als Orakel, und die Handlungsmöglichkeiten?Grundsätzlich sind Biomarker aus der Medizin nicht wegzudenken. In der Herz-Kreislauf-Medizin etwa erlauben sie Risikoabschätzungen, aus denen konkrete Maßnahmen folgen. Blutdrucksenkung, Lebensstiländerungen, medikamentöse Prävention. „Im Alzheimer-Bereich gibt es aber kaum Actionability“, so Wiedermann. Das bedeutet: Wenn eine Erkrankung festgestellt wird, gibt es eigentlich nichts, das man dagegen tun kann. „Die größten Hebel der Alzheimer-Prävention liegen nach wie vor in der konsequenten Behandlung von beeinflussbaren Risikofaktoren: Blutdruck, Diabetes, körperliche Aktivität, soziale Teilhabe, Depression, Hörminderung, Schlafqualität sowie Alkohol- und Tabakkonsum“
Für einen positiven Biomarker-Test lässt sich daraus ableiten: In vielen Fällen sei der Verzicht auf den Test die bessere Entscheidung. „Umso wichtiger ist es, dass die akademische Medizin der Geschäftsmedizin mit kritischer Einordnung begegnet.“ Nicht alles, was technisch möglich ist, sei medizinisch sinnvoll.
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Faszinierendes Framing…
Faszinierendes Framing. Sonst wird immer vor der Zwei-Klassenmedizin gewarnt, der "normale" Patient dürfe ja nicht auf der Strecke bleiben.
Wiedermann warnt hier vor zusätzlichen diagnostischen Informationen und bezeichnet sie als "Geschäftsmedizin".
Es mag stimmen, dass Diagnostik bei Gesunden das Problem der "falsch positiven" Testergebnisse mit sich bringt. Das gilt aber insbesondere auch für Tests wie Coronatests. Da hat Wiedermann diese Problematik nicht gesehen bzw. dazu geschwiegen. Die Massentests waren z.B. völliger Unsinn.
Zu Alzheimer muss man aber folgendes sagen: in der erweiterten Medizin sind vor allem zwei Verfahren gängig: Einerseits die Messung von A-Beta und pTau (Eiweiße) und andererseits die Testung auf ApoE4.
Erstere sind typischerweise bei einer aktiven Demenz messbar und können sozusagen die Verdachtsdiagnose bestätigen.
ApoE4 hingegen ist ein genetischer Test, der bei Vorhandensein zeigt, dass der Betroffene ein deutlich erhöhtes Risiko hat, dement zu werden.
Man muss also Patienten/Klienten seriös über die Aussagekraft der Tests aufklären und die Befunde richtig interpretieren.
Wenn so ein Testergebnis einem Menschen dabei hilft die Motivation und Disziplin aufzubringen, um die beeinflussbaren Risikofaktoren zu minimieren, halte ich das für ein sehr gutes Werkzeug.
Zu den anderen Einwänden Wiedermanns:
1. Die Befunde seien schwer interpretierbar? -> wenn man sich nicht auskennt, mag das so sein. Doch auch Ärzten ist es nicht verboten, sich fortzubilden und Dinge zu erlernen, die noch nicht gab, als man selbst studiert hat.
2. Die Laborqualität sei fragwürdig? -> Auch das ist Unsinn, man muss sich halt ein Partnerlabor suchen, das Qualität hat und diese z.B. regelmäßig erfolgreich an Ringversuchen (=externe Qualitätsprüfung) teilnimmt.
Ich finde es nicht sinnvoll, wenn man neuere Verfahren schlecht redet, nur weil sie für die normale Kassenmedizin nicht finanzierbar sind. Leider wird der Trend weiter in diese Richtung gehen: Der normale Kassenpatient bekommt eine Behandlung, die "lege artis" ist - also den Regeln der ärztlichen Kunst entspricht (d.h. man versucht Kunstfehler zu vermeiden), während der Patient mit mehr Gesundheitsbewusstsein und Willen in die eigene Gesundheit zu investieren neuere Diagnostik und Therapieformen erhält - auf eigene Kosten.