Gesellschaft | Alzheimer

Fischen im Teich der Verunsicherten

In den USA wurden Tests zu Alzheimer-Früherkennung zugelassen. Profiteur sei jedoch eher die Geschäftsmedizin, nicht der Patient, so der Experte Christian Wiedermann.
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Foto: Matthias Zomer / Pexels
  • Die Hoffnung auf eine einfache Früherkennung von Alzheimer per Bluttest ist groß. In den letzten Monaten hat die US-Arzneimittelbehörde FDA erstmals Bluttests für Alzheimer-Biomarker zugelassen, die in der klinischen Praxis eingesetzt werden dürfen. Die neuen Biomarker-Tests, vermitteln die Vorstellung, man könne sein eigenes Erkrankungsrisiko frühzeitig messen und vielleicht sogar verhindern. Doch genau hier mahnt die Wissenschaft zur Zurückhaltung. Christian Wiedermann, Professor für innere Medizin an der Universität Claudiana, erklärt gegenüber SALTO, warum Alzheimer-Bluttests als Vorsorgeinstrument für Gesunde aber derzeit mehr Probleme als Nutzen bringen.

  • Was Bluttests tatsächlich messen

    Christian Wiedermann: warnt vor Irreführung. Foto: Christian Wiedermann

    Die aktuell diskutierten Alzheimer-Bluttests suchen nach Spuren von biologischen Prozessen, die mit typischen Veränderungen im Gehirn im Falle einer Alzheimer-Erkrankung einhergehen: Degeneration oder beispielsweise Entzündungsreaktionen. „Wenn im Gehirn solche Prozesse ablaufen, treten charakteristische Stoffe ins Blut über“, erklärt Wiedermann.

    Das Problem: Diese Marker sind nicht ausreichend spezifisch. Sie zeigen an, dass im Gehirn etwas passiert – aber nicht zwingend, dass es sich um Alzheimer handelt. Entzündliche oder degenerative Veränderungen können viele Ursachen haben. Die Tests würden daher keinen verlässlichen Vorhersagewert dafür geben, ob jemand tatsächlich an Alzheimer erkranken wird, so Wiedermann.

  • „Dare Luce – Licht geben“

    Ab Januar 2026 startet in Bozen das Pilotprojekt „Dare Luce – Licht geben“ des Vereins Alzheimer Südtirol Alto Adige in Zusammenarbeit mit dem Zentrum Fisiodynamik. Das neue Vorsorge- und Entlastungsangebot richtet sich an Menschen mit kognitiven Störungen oder Demenzverdacht sowie an pflegende Angehörige. Ziel ist es, durch Screenings, therapeutische Angebote und psychologische Unterstützung eine möglichst lange, selbstbestimmte Betreuung zu Hause zu ermöglichen.

    Foto: ASAA
  • Vor allem im Kontext der jüngsten Entwicklungen und Innovationen wird Alzheimer oftmals in einem Atemzug mit genetisch besser erforschten Erkrankungen wie bestimmten Krebsformen genannt. Doch dieser Vergleich führt in die Irre, erklärt Wiedermann. In der Onkologie gebe es Risikogene, bei denen Merkmalsträgerinnen und -träger mit 70- bis 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit tatsächlich – zum Beispiel im Falle eines festgestellten Mammakarzinom-Risikos – an Brustkrebs erkranken. „Bei solchen Risiken macht Vorsorgemedizin Sinn, weil daraus konkrete Maßnahmen folgen“, so Wiedermann.

    Bei Alzheimer sei man davon aber „meilenweit davon entfernt“, erklärt der Experte. Zwar existieren genetische Risikofaktoren, doch diese wirken meist nur schwach zur Entstehung der Krankheit hinzu und erhöhen das Risiko allenfalls in Kombination mit anderen Faktoren. Sie erlauben keine klare Vorhersage. Zudem sind in Bezug auf die Alzheimererkrankung keine drastischen präventiven Eingriffe möglich. Auch hier gilt: Ein Biomarker allein sagt wenig über die individuelle Zukunft aus.

  • Tests nur bei Symptomen – nicht bei Gesunden

    Wenngleich in Italien noch keine Zulassung der Alzheimer-Bluttests erfolgte, stehen sie auch hier im Diskurs und werden häufig missverstanden, erklärt Wiedermann. In den USA dürfen Tests zur Früherkennung von Allgemeinmedizinerinnen und -medizinern ausschließlich bei Menschen mit bereits bestehenden Symptomen angeordnet werden – etwa bei Verdacht auf eine angedeutete kognitive Störung.

    Der Grund liegt in der sogenannten falsch-positiven Rate. „In der hausärztlichen Versorgung zeigt sich: Nur etwa eine von fünf Personen mit positivem Testergebnis entwickelt tatsächlich Alzheimer“, erklärt Wiedermann. Studien hätten erwiesen, dass vier von fünf also ein alarmierendes Ergebnis erhalten, das sich später als unbegründet herausstellt. Die Folge sind Unsicherheit, Angst – und eine Kette weiterer kostspieliger, oft unnützer Untersuchungen.

     

    „Diese Angebote fischen in einem Teich von Menschen, die verunsichert oder ängstlich sind, etwa weil ein Elternteil an Alzheimer erkrankt ist“

     

    Anders stelle sich die Situation in den spezialisierten, sogenannten Memory-Kliniken dar. Dort kommen bereits vorselektierte Patientinnen und Patienten mit konkreten Symptomen an, um in einem professionellen Umfeld Verdachtsdiagnosen durchzuführen. Die Fehlerquote ist geringer, die Ergebnisse werden fachlich eingeordnet und in einen diagnostischen Gesamtprozess eingebettet.

    Problematisch wird es dort, wo Tests direkt an Konsumentinnen und Konsumenten verkauft werden. Sogenannte Direct-to-Consumer-Tests werden im Internet als Vorsorgeinstrument beworben – oft zu hohen Preisen. „Diese Angebote fischen in einem Teich von Menschen, die verunsichert oder ängstlich sind, etwa weil ein Elternteil an Alzheimer erkrankt ist“, sagt Wiedermann. Auch Ulrich Seitz, Präsident des Vereins Alzheimer Alto Adige Südtirol (ASAA), warnt in einem Interview gegenüber der RAI davor: „Wir haben eine Gesellschaft, die ängstlich und im Shoppingfieber ist.“ 

  • Problematische Geschäftsmedizin

    Mit den Tests ist ein lukrativer Markt entstanden und „es gibt durchaus Mediziner, die das mitunterstützen“, betont Wiedermann. Private Anbieter versprechen Klarheit, liefern aber häufig Ergebnisse mit unklarer oder geringer Aussagekraft. Hinzu schildert Wiedermann Qualitätsprobleme: „Studien zeigen, dass viele im Internet angebotene genetische Tests aus Laboren stammen, die zentrale Qualitätsstandards nicht einhalten“.

    Das habe mehrere Folgen: Betroffene erhalten Befunde, die kaum jemand kompetent erklären kann. Gleichzeitig würden falsch-positive Ergebnisse das Gesundheitssystem belasten, denn durch teure Zusatzuntersuchungen und lange Abklärungswege würden Kapazitäten für Menschen blockiert, die diese Ressourcen dringender benötigen.

  • Biomarker als Orakel, und die Handlungsmöglichkeiten?

    Grundsätzlich sind Biomarker aus der Medizin nicht wegzudenken. In der Herz-Kreislauf-Medizin etwa erlauben sie Risikoabschätzungen, aus denen konkrete Maßnahmen folgen. Blutdrucksenkung, Lebensstiländerungen, medikamentöse Prävention. „Im Alzheimer-Bereich gibt es aber kaum Actionability“, so Wiedermann. Das bedeutet: Wenn eine Erkrankung festgestellt wird, gibt es eigentlich nichts, das man dagegen tun kann. „Die größten Hebel der Alzheimer-Prävention liegen nach wie vor in der konsequenten Behandlung von beeinflussbaren Risikofaktoren: Blutdruck, Diabetes, körperliche Aktivität, soziale Teilhabe, Depression, Hörminderung, Schlafqualität sowie Alkohol- und Tabakkonsum“

    Für einen positiven Biomarker-Test lässt sich daraus ableiten: In vielen Fällen sei der Verzicht auf den Test die bessere Entscheidung. „Umso wichtiger ist es, dass die akademische Medizin der Geschäftsmedizin mit kritischer Einordnung begegnet.“ Nicht alles, was technisch möglich ist, sei medizinisch sinnvoll.