Gesellschaft | GASTBEITRAG

Fußball-Piraten in St. Leonhard

Auf Psairer Rasen trainiert vom 3. bis 10. Juli der FC St. Pauli. Der Hamburger Kultverein verkörpert soziales Engagement auf Bundesliga-Niveau.
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Foto: www.fcsanktpauli.com

Wäre das Millerntor ein Ticket hin zu einer offenen Gesellschaft, wäre die Welt vielleicht eine bessere. Vom Rasen des Heimstadions des FC St. Pauli reicht das soziale Engagement des Vereins weit über die Fußballwelt hinaus, hinein in die Realität des Hamburger Kiez und darüber hinaus.

Über den bevorstehenden Südtirol-Aufenthalt des Hamburger Zweitligisten freue ich mich und das nicht wenig. Denn der FC St. Pauli ist der Verein, welcher es bislang geschafft hat, in der hyperkommerzialisierten Welt des Fußballs über Jahrzehnte hinweg Kultstatus zu bewahren. Und das zu Recht.

Vom 3. bis 10. Juli wird St. Leonhard im Passeiertal die Trainingsstätte des FC St. Pauli sein. Der deutsche Zweitligist rundet damit die Vorbereitungsphase für die neue Saison ab, in der Hoffnung, den Grundstein für eine erfolgreiche Meisterschaft in der Zweiten Bundesliga zu legen, die womöglich zum Wiederaufstieg in die höchste deutsche Liga führt. Als Sympathisant der Braun-Weißen wünsche ich mir selbstverständlich einen Wiederaufstieg der Hamburger Kiezkicker in die Bundesliga. Zum letzten Mal spielten sie dort vor zehn Jahren, in der Saison 2011/2012. Ganz so unrealistisch dürfte dieser Wunsch nicht sein, schließlich beendete der FC St. Pauli die letztjährige Saison auf dem fünften Rang, nachdem er bis wenige Wochen vor Ende der Meisterschaft auf den Aufstiegsrängen stand.

Der FC St. Pauli bietet streckenweit schönen Fußball. Vor allem aber übernimmt er eine gesellschaftspolitische Verantwortung, die in dieser Größenordnung ihresgleichen sucht. Zum einen sind da die unzähligen Kampagnen gegen rechts, gegen Homophobie und Rassismus. Zum andern sind es soziale Projekte für die Ärmsten und Benachteiligten unserer Gesellschaft. Es ist die internationale Solidarität des FC St. Pauli, welche die Fangemeinde innerhalb, aber auch außerhalb Deutschlands stetig größer werden lässt. Freilich auch zur Freude der Merchandising-Abteilung des Vereins, die weltweit die verschiedensten Gadgets verkauft. Die Popularität oder gar der Kultstatus der Mannschafft wirkt bis in die Musikwelt hinein. Beispielsweise schrieb vor einigen Jahren die italienische Ska-Punk-Band „Talco“ aus Marghera bei Venedig das den Kiezkickern gewidmete Lied „St. Pauli“. Ab und an wird es am Millerntor von den Ultras gesungen.

Das soziale Engagement des Vereins ist keineswegs das Ergebnis einer besonders visionären und fortschrittlichen Vereinsleitung oder gar eine Markentingstrategie. Vielmehr waren es die Fußballanhängerinnen und Fußballanhänger aus der Hausbesetzerszene in der Hamburger Hafenstraße – also Obdachlose, Arbeitslose, Punks, Friedens- und Umweltaktivistinnen und -aktivisten, aber auch unzählige Anrainer – die ab Anfang der 80er Jahre ihre Werte in das Stadion der Kiezkicker gebracht haben: anarchisch, antifaschistisch, weltoffen. Darüber freuten sich die älteren Vereinsanhängerinnen und -anhänger nicht unbedingt. Denn mit den Linksalternativen konnten sie zunächst nicht viel anfangen. Doch die weitsichtige Vereinsleitung erkannte das Potenzial dieser Entwicklung und öffnete sich der neuen Fangemeinde.

Das vielleicht bekannteste Symbol des FC St. Pauli – der Piratentotenkopf – verkörpert am besten einen Verein, der von seinen Fans neu erfunden wurde. Es soll das Fan-Urgestein „Doc Mabuse“ gewesen sein, der vor knapp dreißig Jahren als erster eine zufällig gekaufte Piratenfahne in das Stadion der Kiezkicker mitgenommen hat. Von da an identifizierten sich die St. Pauli-Fans mit dem Piratentotenkopf, das ihre Weltanschauung widerspiegelt. Leisteten die frühneuzeitlichen Piraten Widerstand gegen die Wirtschaftsmacht der Hanse, ist es heute das Zeichen des Widerstands gegen die Gentrifizierung der Stadt und deren Vereinnahmung durch die verschiedensten Wirtschaftslobbys.

Kurzum: Dem FC St. Pauli gelingt die Gratwanderung zwischen der kommerzialisierten Fußballwelt und den genuinen Werten großer Teile der Anhängerschaft, indem es Teile des Millionenumsatzes in soziale Projekte für das Hamburger Stadtviertel investiert. Darin liegt der Kultstatus des FC St. Pauli begründet. Nicht so sehr in den sportlichen Erfolgen, die insgesamt bescheiden bleiben, vielmehr im Engagement für eine offene, tolerante Gesellschaft – für Werte, die weit über den Fußballrasen hinausgehen. Das ist schöner Profifußball.

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Michael Kerschbaumer Sa., 02.07.2022 - 09:25

Auf Rai Südtirol spricht die tourismusverantwortliche von Leonhard über die gemeinsamen Werte der Nachhaltigkeit und Naturverbundenheit des Passeiertals. Wie sich das mit dem Quellendorf und dem albergo delle Mele vereinbaren lässt gibt Rätsel auf!

Sa., 02.07.2022 - 09:25 Permalink