Kultur | Literatur

Verlegter ZeLT-Platz

Mit einem kritischen Schreiben ging das Europäische Zentrum für Literatur und Übersetzung an die Öffentlichkeit. Man ist in der Stadtbibliothek Brixen unerwünscht.
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Foto: ZeLT
  • Mit der sogenannten Brixner Rede hat der einst belächelte und beschimpfte und erst nach seinem Tod zu Ruhm gelangte Lyriker Norbert C. Kaser in der Cusanus-Akademie (im August 1969) lokale Literaturgeschichte geschrieben. In Brixen! Er holte aus: gegen literarischen Heimatkitsch, provinzielle Ewiggestrigkeit, das Dolomiten-Tagblatt und üble Patrioten-Schriftstellerei. Nebenbei sprach er auch über Südtirols Literatur der Zukunft. 55 Jahre nach Kasers Wutrede scheint in der Gegenwart und in den Brixner Gassen wieder alter provinzieller Mief Einzug zu halten – nicht etwa über eine patriotische (Kata)Strophe eines Frei.Wild-Songs, sondern getarnt als literaturhistorische Katastrophe von Stadtpolitik und öffentlicher Bibliothek. Doch der Reihe nach.

    Tatsache ist aber, dass unabhängig von ZeLT gegenwärtig eine Unterschriftensammlung für ZeLT läuft. Durchgeführt von Brixnerinnen und Brixnern.

    Unter dem so katholischen Himmelszelt der alten Bischofs- und Bildungsstadt Brixen baute sich vor wenigen Jahren ein europäisches Zentrum für Literatur und Übersetzung namens ZeLT ins neue Bibliotheksgebäude und sorgte seitdem mit viel Engagement für frischen internationalen Wind auf lokalem Pflaster. Doch nur wenige Jahre nachdem ZeLT für aktive Betriebsamkeit und Programm im Gebäude sorgte, wehte plötzlich starker Gegenwind, Bibliotheksführung und Kulturstadträtin bliesen zum Angriff, indem sie auch nicht wirklich nachvollziehbaren Gründen den ZeLT-Macherinnen nahelegten, ihren "ZeLT-Platz" in der Stadtbibliothek zu räumen – also die Schreibtische im kleinen zur Verfügung gestellten Büro im großen Haus. Man benötige nämlich den ZeLT-Platz für neue Mitarbeiter*innen der Bibliothek, außerdem müsse man doch auch auf die Brixner Vereine schauen, wird Kulturstadträtin Bettina Kerer nicht müde zu sagen und betont gebetsmühlenartig die Vielfalt der Brixner Vereinswelt. Man wolle ZeLT „nichts wegnehmen“, meint Kerer und wartet mit Zahlen auf: „Wir haben mittlerweile über 1000 Besucher am Tag. Die Bibliothek wird stark genutzt und wir haben die Mitarbeiter deswegen auch aufgestockt und diese benötigen eine Arbeitsfläche“, argumentiert Kerer. Dass die ZeLT-Veranstaltungen zu wenig „brixnerisch“ gewesen sein sollen, wie es im Offenen Brief steht, und dass sie etwas gegen den nicht autochthonen Verein – eines der vielen Vorzeigeprodukte der Südtiroler Autoren- und Autorinnenvereinigung SAAV – habe, will Kerer auf Nachfrage von SALTO nicht so gemeint haben. Im Gegenteil. Tatsache ist aber, dass unabhängig von ZeLT gegenwärtig eine Unterschriftensammlung für ZeLT läuft. Durchgeführt von Brixnerinnen und Brixnern. Was ist da los?

  • Zu elitär: Das Programm von ZeLT passte gut in die Stadtbibliothek. Oder doch nicht? Foto: ZeLT
  • Ziemlich enttäuscht von der mangelnden Wertschätzung wurden vergangene Woche mehrere ZeLT-Schreiben an Presse und Politik verfasst und geschickt. Darin berichten die ZeLT-Macherinnen (Rut Bernardi, Arno Dejaco, Maria Christina Hilber, Erika Wimmer Mazohl, Greta Maria Pichler, Donatella Trevisan und  Alma Vallazza) über die absolvierten Veranstaltungen das Europäischen Zentrums für Literatur und Übersetzung, die Kooperationen und Kulturinitiativen. Auch darüber, wie ZeLT binnen weniger Jahre mit seinem Ganzjahresprogramm, Anstellungen und Ausstellungen ein interessiertes Publikum (nicht nur) vor Ort aufbauen konnte. „Dass die Aktivitäten von ZeLT in und ausgehend von der Stadtbibliothek Brixen nun eingeschränkt werden sollen, ist für uns weder nachvollziehbar noch tragbar“ heißt es im Brief. Ärgerlich erscheint den ZeLT-Macher*innen außerdem, dass der von der Vorgängerin von Kulturstadträtin Kerer stattgefundene Kulturentwicklungsprozess einfach ignoriert wird. Wie auch der Erfolg des auf wunderbare Weise wiederentdeckten „Brixner Poeten“ Gerhard Kofler im Rahmen einer großen Ausstellung „Wir haben in den vergangenen Wochen viel Solidarität aus der Brixner Bevölkerung und von unserem Publikum erfahren und uns entschieden, trotz der entstandenen Irritation, unseren Standort Brixen beizubehalten.  Nichtsdestotrotz fordern wir von der lokalen Kulturpolitik ein klares Bekenntnis zum Fortbestand des Projekts in Brixen und eine Arbeitsweise, die auf Verbindlichkeit, Kontinuität und Weitblick baut.“
    Genau einen Monat lang dürfen die hauptamtlichen ZeLT-Mitarbeiterinen noch ihren „Schreibtisch“ im Bibliotheksgebäude nutzen, dann werden sie enttäuscht von der bescheiden gebliebenen Anerkennung und vom doch überraschend provinziellen Geist des Hauses weiterziehen und ihr ZeLT an einem anderen, besseren Ort, aufschlagen. „Gespräche laufen und Spruchreifes wird es demnächst geben. Es gibt eine Perspektive...“ freut sich Alma Vallazza. Bei der letzten ZeLT-Veranstaltung im Juni hatte sie vor viel Publikum die ungünstigen Umstände im Zusammenhang mit der Brixner Stadtbibliothek zum nicht willkommenen ZeLT-Platz publik gemacht: „Dennoch wird das heute hier die letzte Veranstaltung von ZeLT in der Stadtbibliothek sein, zumindest die letzte, die wir mit dem Selbstverständnis von Mitarbeiter*innen des Hauses, mit einem Büro vor Ort und entsprechendem Haus- und Gastrecht machen dürfen“, verkündete sie bei ihrer ZeLT-Rede im Rahmen des Festivals W:ORTE Anfang Juni in Brixen und erzählte, dass das Literatur-Programm von ZeLT eine „zu wenig breite Öffentlichkeit“ anspreche, „zu sehr Nische“ sei und als „zu elitär“ angesehen werde. Der geladene Lyriker Mikael Vogel änderte daraufhin spontan sein Programm und unterstrich mit einem kapitalismuskritischen Wutgedicht seine Haltung bzgl. des kulturpolitischen Dilemmas in der Bischofsstadt

  • Spontanes Wutgedicht: ZeLT-Steilpass auf Mikael Vogel bei der vorläufig letzten Veranstaltung in der Stadtbibliothek in Brixen Foto: Daniela Radmüller
  • „Gegenseitiges Vertrauen, überlokale Zugewandtheit und ein wertschätzender Dialog sollten unverhandelbare Konstanten einer offenen Gesellschaft und also auch einer Kulturstadt wie Brixen sein“, heißt es abschließend im ZeLT-Brief, der auch an zahlreiche Herrschaften der Politik geschickt wurde. Auf Antwort wartet ZeLT noch. Vielleicht vergeblich. 
    Hoffnungsvoller Trost findet sich hingegen in der internationalen und lokalen Literatur(geschichte) Brixens: „Dämmernde Stille, melancholisches Glockengebimmel, die Schafe trippelten nach ihren Ställen, die Menschen nach den Kirchen; überall beklemmender Geruch von häßlichen Heiligenbildern und getrocknetem Heu“ schrieb beispielsweise einst Heinrich Heine auf seiner Durchreise. Diesen durchaus aktuell gebliebenen Satz könnte man in der Stadtbibliothek nach dem ZeLT-Abgang neu anbringen, auch Norbert C. Kasers „Kultur ist, wenn man trotzdem lacht“ aus dessen Brixner Rede, übrigens eine liebevolle Abänderung des Spruches Humor ist, wenn man trotzdem lacht vom Erfinder des weit verbreiteten Zitats Otto Julius Bierbaum, der mehrmals in Brixen – im Hotel und nicht im Zelt – abgestiegen war. 
    ZeLT zieht jedenfalls weiter. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge.

  • Adieu: ZeLT hatte über 45 Veranstaltungen in der Stadtbibliothek durchgeführt. Nun ist vorläufig Schluss. Foto: ZeLT / Daniel Eichbichler
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Dominikus Ande… Fr., 05.07.2024 - 18:00

Kulturräte in allen Variationen scheinen hierzulande ein etwas eigenartiges (einseitiges) bis gestörtes Verhältnis zu Kultur zu haben.
Vielleicht sollten sie einmal kurz überlegen, wie weit es mit unserem Kulturverständnis hierzulande her wäre, hätte es all die Jahrzehnte über nicht immer wieder diese unbequemen Quergeister gegeben, die von den Räten nicht eindeutig schubladisierbar waren ... und die unter Umständen auch noch die falsche Partei gewählt haben.

Fr., 05.07.2024 - 18:00 Permalink
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Salto User
martin79 Sa., 06.07.2024 - 22:55

...naja...einige selbsternannte "kulturelle Eliten", die sich im Groß-Kleinbuchstaben-Spiel gegenseitig beweihräuchern und zu Spontankompositionen animieren, brauchen in ihren Luftschlössern mit selbstattestierter Fernsicht wohl nicht vollständig von der Allgemeinheit erhalten werden. Da überzeugt auch die längste Pressemitteilung nicht! Und die Brixner Kulturszene wirds verkraften.

Sa., 06.07.2024 - 22:55 Permalink