„Schauen, dass Platz für alle ist“
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SALTO: Herr Psenner, für was steht das Haus der Familie in Südtirol?
Gernot Psenner: Die Einrichtung steht als aller Erstes als Bildungserlebnis für unsere Familien in ihren sämtlichen Formen. Heuer gibt es das Haus der Familie seit genau 40 Jahren und es war schon damals der Wunsch der Gründer, für Südtirols Familien einen Ort der Begegnung und Bildung zu schaffen. Ich denke, das ist mehr als gelungen.
„Wir sind in Südtirol hier nach wie vor ein wenig ‚hinten‘“.
Ist die typische Kernfamilie für junge Menschen heute noch attraktiv?
Ich denke schon, dass sie attraktiv ist. Heute bedeutet Familie aber nicht nur Mutter, Vater, Kind. Unser Auftrag ist, zu schauen, dass Platz für alle ist. Wir wollen Angebote schaffen, wo sich alle angesprochen fühlen und jeder die Möglichkeit hat, einige Tage oder Wochen sich hier zu erholen und mit anderen auszutauschen, die in der gleichen Situation sind. Das Haus der Familie bietet sich dafür sehr gut an, weil es ein Kraftort ist, wo man mal abschalten kann.
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Zur Person
Gernot Psenner arbeitete bisher als Schulsozialpädagoge für den Schulsprengel Karneid. Zudem ist er der Bürgermeister von Tiers und SVP-Mitglied. Psenner leitete den Jugenddienst Bozen-Land für 16 Jahre und war in der Gastronomie tätig.
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Wie ist die Situation heute für junge Familien oder Menschen, die Eltern werden wollen?
Die Situation ist sicher momentan nicht ganz einfach. Ich bekomme jeden Tag die Problematik zum leistbaren Wohnen mit, Gehälter steigen nicht, schwierige finanzielle Geschichten, sage ich mal. Trotzdem ist Familie nach wie vor ein anstrebendes Modell, ein sehr wichtiges Modell, abgesehen von den finanziellen Schwierigkeiten.
Wie sehen Sie die Herausforderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie?
Auch das ist ein aktuelles und schwieriges Thema. Hier kommen wir nur miteinander weiter. Die Bildungseinrichtungen, die Schule, die Vereine und auch die Nachbarn können hier zusammenarbeiten. Ich bin zum Beispiel auch Vater von drei Kindern, meine Buben spielen viel Fußball im Nachbardorf. Das funktioniert nur, weil wir uns gegenseitig helfen und Taxi machen.
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Meistens muss die Frau ihre Karriere dann aber zurückstecken.
Wir sind in Südtirol hier nach wie vor ein wenig „hinten“. Hier ist die Politik einmal mehr gefragt. In den meisten Fällen verdient der Mann mehr als die Frau und wir fallen auf das klassische Familiensystem zurück. Sprich, die Mutter bleibt bei den Kindern. Hier müssen wir uns stärker an dem Beispiel von Skandinavien orientieren, wo Eltern auch beide in Teilzeit gehen können, ohne zu große finanzielle Einbußen zu haben.
Rechtskonservative propagieren in Südtirol und Italien das klassische Familienbild, auch US-amerikanische Influencerinnen bewerben das Leben als Vollzeit-Hausfrau. Wie sehen Sie diesen Trend?
Das muss jede Familie für sich selbst entscheiden. Es wird sicher einzelne Familien geben, für die das so passt. Wenn ich an das Haus der Familie als Bildungseinrichtung denke, dann müssen wir die Voraussetzungen schaffen, dass die Vereinbarkeit nicht von finanziellen Fragen abhängt oder politisch geprägt ist. Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, die Familien eine Wahl ermöglicht.
Was sind Ihre Ziele für das Haus der Familie in den nächsten Jahren?
Ich habe das große Glück, dass wir auf einem super Fundament arbeiten können. Das Haus steht heute sehr, sehr gut da. Ich habe das Glück und die Möglichkeit, mit einem tollen Team daran weiterzuarbeiten. Ich möchte Gutes erhalten, sprich die Bildungserlebnisse für Familien, Kinder und Jugendliche, uns weiter für andere Formen der Familie öffnen und für sie gezieltere Angebote ausarbeiten.
Zum Beispiel?
Beispielsweise geht es darum, mit Organisationen und Vereinen in Kontakt zu treten, die mit Familien in finanziellen Schwierigkeiten zusammenarbeiten. Ich habe oft den Eindruck, dass es zwar die Möglichkeiten gibt, aber viele das einfacht nicht wissen oder sich nicht trauen, weil das mit Scham behaftet ist. Sie denken, dass sie sich Angebote vom Haus der Familie nicht leisten können, obwohl es schon toll wäre. Hier gibt es Luft nach oben, diese Familien auch anonym anzusprechen.
Welche Möglichkeiten bietet das Haus der Familie in diesen Fällen an?
Unsere Kursgebühren sind in drei Tarife gegliedert. Neben dem Normalpreis gibt es den Solidaritätspreis für jene, die freiwillig mehr zahlen können. Für jene, die sich wirklich hart tun, gibt es einen Mindestpreis. Das ist wichtig, für viele ist es aber mit Scham behaftet, das ist in Südtirol generell ein Problem. Deshalb wollen wir diese Zielgruppen aktiv ansprechen, die heute vielleicht noch nicht das Haus besuchen.
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