Chronik | Venetien

Zwischen Wahn und Unabhängigkeit

Die Referendumsposse im Veneto nimmt eine unerwartete und ernste Wende: die Polizei verhaftet 24 Separatisten.
Zentralstaatlicher Kraftakt oder begründete Polizeiaktion?
Die Geschichte des verunglückten Referendums in Venetien wird immer mehr zur Posse. Webanalysten hatten festgestellt, daß an der Online-Befragung nicht 2,3 Millionen Wähler teilgenommen hatten, sondern bestenfalls 135.000, während die restlichen Stimmen aus Ländern wie Chile, Serbien, Spanien und Deutschland ins Internet geschleust wurden. Auch eine von den Veranstaltern beauftragte Gruppe "internationaler Wahlbeobachter" konnte keinen Aufschluß über die reale Wahlbeteiligung geben. Auf einer Pressekonferenz mußte deren Vorsitzender, der ehemalige georgische Botschafter in Rom, Beglar Davit Tavartkiladse, die Journalisten vertrösten. Das offizielle Endergebnis werde "erst in einigen Monaten vorliegen".
Auch eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Demos des bekannten Politikwissenschaftlers Ilvo Diamanti klärt die Verwirrung nur zum Teil. Demnach seien 55 Prozent der Bewohner für die Unabhängigkeit, 39 dagegen. Sechs Prozent wollten sich dazu nicht äußern.  49 Prozent aller Befragten erklärten, sie hätten sich nicht am Referendum beteiligt oder würden dies auch in Zukunft nicht tun.  48 hätten sich beteiligt oder würden auch an einer offiziellen Volksabstimmung teilnehmen. Wegen der ungünstigen Fragestellung, die sich auch auf zukünftige Referenden bezieht, lassen sich keine präzisen Schlüsse ziehen. Genauer die politische Zugehörigkeit: für die Unabhängigkeit sind 87 Prozent der Lega-Wähler, 80 % der Wähler von Forza Italia, 55 % jener des M5S und 34 % jener des Partito Democratico. Indessen hat die commissione affari istituzionali des Regionalrats in Venedig den Gesetzentwurf für ein offizielles Referendum über die Unabhängigkeit Venetiens genehmigt.
Die Carabinierieinheit ROS  hat 24 Separatisten verhaftet hat, weil sie "mit teilweise gewaltsamen Mitteln die Loslösung Venetiens von Italien erzwingen wollten".
Größere Chancen hat im Plenum des Regionalrats wohl eine vom Nuovo Centrodestra vorgeschlagene Volksabstimmung für mehr Autonomie der Region. Italia dei Valori plädiert dagegen für eine Fusion des Veneto mit der Region Trentino-Südtirol. Indessen hat die beim jüngsten Referendum gewählte Delegazione dei dieci auf einer Pressekonferenz in Sappada-Pladen erklärt, " che i comuni dolomitici e di confine con le regioni a statuto speciale  godranno di ampia autonomia fiscale e tratterranno sul territorio il 95-98% delle risorse fiscali".
In Padua verabschiedete der Zehnerrat das "erste Dekret der Republik Venedig:" La Delegazione dei Dieci decreta l’esenzione fiscale totale,che resterà in vigore nel periodo di transizione da oggi sino all’operatività delle istituzioni della Repubblica Veneta. In virtù di tale esenzione si stabilisce che il pagamento di tasse a governi stranieri oltreché immorale è illegittimo". Der Initiator des Referendums, Gianluca Busato, kann seine ausufernde Euphorie schwer zügeln: "Non c’è spazio nella Repubblica Veneta per i criminali politici italiani –  che stanno distruggendo l’economia veneta e desertificando il reticolo  industriale più fitto del pianeta. Saranno chiamati nei tribunali internazionali  per rispondere dei crimini contro l’umanità che stanno perpetrando ancor oggi in Veneto".
Doch eine Nachricht vom Mittwoch läßt vermuten, daß sich eher die Separatisten vor Gericht verantworten müssen. Die Carabinierieinheit ROS  hat 24 Separatisten verhaftet hat, weil sie "mit teilweise gewaltsamen Mitteln die Loslösung Venetiens von Italien erzwingen wollten". Nach Indiskretionen bauten sie einen Panzerwagen, mit dem sie  die demonstrative Erstürmung des Markusturms  von 27 Jahren wiederholen wollten.  Die Verhaftungen wurden in Verona, Padua, Treviso und Rovigo vorgenommen. Gegen 27 weitere Separatisten wird ermittelt.
Dazu gehört auch ein Aktivist der Forconi und eine ehemaliger Abgeordneter aus dem Veneto. Damit nimmt der Kampf um die Unabhängigkeit des Veneto eine unerwartete und dramatische Wende, auf deren weitere Entwicklung man gespannt sein kann.