Politik | Italicum

ITALICUM zementiert Sitzverteilung in Südtirol

Überraschend wenige PD-Dissidenten haben sich vergangene Woche noch gegen das ITALICUM-Wahlgesetz gewehrt. Am Montag, 4.Mai, soll die Kammer das Gesetz verabschieden,
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damit es im Juli 2016 nach einem wahrscheinlich beantragten bestätigenden Referendum in Kraft treten kann.

Die Stichwahl zwischen zwei Parteien, die voraussichtlich 30-35% der Stimmen erzielen werden, ist das große Novum. Wer die Stichwahl gewinnt, erhält dann 53% der Sitze (gleich 327 Sitze), unabhängig davon, wieviel er beim ersten Durchgang erzielt hat. Eine Art Siegerbonus oder Mehrheitsprämie, die für Europa höchst ungewöhnlich ist. Der Verfassungsgrundsatz der „Gleichwertigkeit der Stimmen“ (Art. 48 Verf.) wird damit ganz schön strapaziert. Die kleineren Parteien teilen sich dann die übrigen Sitze, sofern sie die Sperrklausel von 3% überwinden.

Sehr eingeschränkt ist die Möglichkeit der Vorzugsstimmenabgabe. In den 100 Wahlkreisen gibt es Spitzenkandidaten, die von den Parteizentralen benannt werden, beim PD nach Vorwahlen. Der Wähler hat zwar die Möglichkeit, zwei Vorzugsstimmen abzugeben, doch die Listenführer sind automatisch gewählt, darauf hat der Wähler keinen Einfluss mehr. Damit wird, wie beim PORCELLUM, ein hoher Teil des Parlaments (man spricht von 70%) nach wie vor direkt von den Parteien ernannt. Das System der blockierten Listen ohne Vorzugsstimmenabgabe war vom Verfassungsgericht verworfen worden.

Südtirol und das Trentino sowie das Aostatal erhalten mit dem ITALICUM ein eigenes Wahlsystem, zugeschnitten auf die SVP und den PD. Es werden je Provinz vier Ein-Kandidaten-Wahlkreise geschaffen, die zur Grundverteilung der Mandate nach Geschmack der Mehrheitsparteien führen werden. In Südtirol voraussichtlich, wie gehabt, drei Parlamentarier für die SVP und einen für den PD oder jedenfalls einen Italiener im Wahlkreis Bozen-Unterland. Die übrigen drei Sitze der 11 insgesamt in der Region zur Wahl stehenden Parlamentssitze werden nach dem Verhältniswahlsystem vergeben. Auch hier sieht es für die kleineren Parteien eher ungünstig aus, einen Sitz zu ergattern. Das ist aus dem ITALICUM für den Normalbürger reichlich schwer herauszulesen.

Eigentlich hätte man von einem halbwegs fairen Wahlrecht erwarten können, dass die für die Direktwahl in den einzelnen Wahlkreisen abgegeben Stimmen nicht mehr für die Zuteilung der drei nach Verhältniswahlsystem vergebenen Sitze herangezogen werden (also wie eine Art Zweitstimme wie bei den deutschen Bundestagswahlen gezählt werden). Dem ist aber nicht so, denn es erfolgt eine teilweise Anrechnung der nach Mehrheitswahlrecht abgegebenen Stimmen. Das ITALICUM regelt das so für unsere Region: Wenn keine Liste 40% der Stimmen erhält, werden zwei von den drei zu vergebenden Sitzen in der Region der Mehrheitspartei zugesprochen. Der dritte Sitz geht an die nächststärkste Liste in der Region. Dabei werden nicht alle Stimmen der gewählten Kandidaten der Einer-Wahlkreise abgezogen, sondern nur jene Zahl, die notwendig war, um gewählt zu werden (scorporo parziale, Titel VI des Gesetzes). Damit fließen die überschüssigen Stimmen aus der Mehrheitswahlrechts-Sitzvergabe in den Topf zur proportionalen Verteilung der drei nach Verhältniswahl zu vergebenden Sitze. Dies wirkt sich wieder zugunsten jener Listen aus, die schon die Einer-Wahlkreise gewonnen haben (voraussichtlich SVP und PD). Die SVP hat damit beste Aussichten, auch bei den drei nach Verhältniswahlsystem zu vergebenden Sitzen der Region einen weiteren Sitz zu erhalten, ebenso der PD im Trentino. Für die kleineren Listen verleibt ein einziger Sitz, wenn's hoch kommt, obwohl sie vermutlich zusammen rund 40% der Stimmen vereint.

Zusammenfassend: mit dem ITALICUM werden in der Trentino-Südtirol wie gehabt 10 von 11 Sitzen der heutigen Mehrheitskoalition zugewiesen (also 90%), obwohl diese Wahlkoalition bestenfalls 60% der Stimmen erzielt. Von einer Widerspiegelung der realen politischen Kräfteverhältnisse im Land bzw. in der Region kann keine Rede sein. Diese Sonderregelung für unsere Region ist nicht nur unfaires Wahlrecht, sondern in der Form auch ein Musterbeispiel eines für die normalen Bürger und Wählerinnen völlig unverständlichen Gesetzes: die politischen Grundregeln werden mit solchen Gesetzestexten zu einer Geheimwissenschaft für Parteitechniker.

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Wilfried Meraner So., 03.05.2015 - 10:21

Antwort auf von Sebastian Felderer

lieber sebastian felderer,
normalerweise bin ich im interesse der verständigung für eine gemässigte ausdrucksweise, aber bei manchen "sauereien" tut dampf ablassen einfach gut. durch ihren ausbruch ergibt sich die gelegenheit, beides zu erreichen: ich muss nicht selber
schimpfen sondern schließe mich einfach an. ;)

So., 03.05.2015 - 10:21 Permalink