Gesellschaft | Bozen

Positive Bilanz für neues Nachtquartier

Über hundert Freiwillige sorgten im Winter für die Versorgung obdachloser Menschen im „Dormizil“ in Bozen. Langfristig soll dort auf Housing First gesetzt werden.
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Foto: Housing First Bozen EO

Fast ein halbes Jahr lang haben 137 Freiwillige aus ganz Südtirol 35 obdachlosen Menschen in Bozen ein warmes Bett im kalten Winter geschenkt. Sie haben im „Dormizil“ 172 Nacht- und Frühstücksdienste geleistet. 4.300 Nächtigungen wurden insgesamt gezählt. Am 10. November 2021 hat das Nachtquartier für obdachlose Menschen in der Rittner Straße 25 in Bozen seine Tür erstmals geöffnet und sie am 1. Mai 2022 vorerst geschlossen. Langfristig plant der Betreiber des Nachtquartiers, der Verein Housing First Bozen EO, das Gebäude in Kleinwohnungen für obdachlose Menschen umzuwandeln. Das Konzept dahinter heißt Housing First.

 

 

Ursprünglich sei laut der Vereinsvorsitzenden von Housing First Bozen EO, Magdalena Amonn, geplant gewesen, das Gebäude so schnell wie möglich umzubauen. Da aber noch bürokratische Hürden aus dem Weg geräumt werden müssen, die Gespräche mit den Architekt:innen in vollem Gang sind und Sponsoren und Förderer:innen für den Umbau gesucht werden müssen, habe der Verein entschieden, das Haus nach der Sommerpause im Herbst erneut als Nachtquartier aufzusperren. Der Umbau soll im Frühjahr 2023 starten.

 

Fast täglich haben weitere obdachlose Menschen um Aufnahme angefragt, weil es für sie keine menschenwürdigen Nachtschlafstätten in der Stadt gibt.

 

Housing First

 

„Die Idee Housing First auch in Bozen umzusetzen, entstand bei meiner Studienreise im Sommer 2020 in Wien. Dort habe ich mir verschiedene Ansätze für die Unterstützung obdachloser Menschen angesehen“, erklärt der Vizevorsitzende des Vereins, Paul Tschigg. Das Konzept von Housing First setzt darauf, der betroffenen Person in einem ersten Schritt Wohnraum zur Verfügung zu stellen und erst in einem zweiten Schritt auf die Hintergründe der Wohnungslosigkeit, wie beispielsweise Drogenabhängigkeit, einzugehen.

 

 

Es entstand in den 90er Jahren in den USA und feierte weltweit Erfolge, auch in Deutschland und Österreich gibt es heute einige Projekte von Housing First. „In Finnland konnten durch Housing First 70 bis 80 Prozent der Wohnungslosigkeit reduziert werden. Damit werden außerdem Kosten eingespart, denn Menschen ohne Wohnung verursachen, etwa durch häufige Krankenhausaufenthalte, mehr Kosten als Menschen mit Wohnung“, erklärt Tschigg.

 

Hilfe in Not

 

In Bozen eröffnete der Verein Housing First Bozen EO seine erste Einrichtung namens „Dormizil“ im Herbst 2021. Bis zum Umbau für die Errichtung der Kleinwohnungen für obdachlose Menschen verwendet der Verein das Gebäude als Nachtquartier für Menschen in Not. Diesen Winter nutzten Geflüchtete, Obdachlose und Menschen mit Drogen- oder Alkoholabhängigkeit die Unterkunft.

 

 

In den drei Stockwerken des Gebäudes, das die Haselsteiner Familien-Privatstiftung dem Verein Housing First Bozen EO für 30 Jahre kostenlos bereitgestellt hat, ist Platz für 25 Menschen. Das Haus war ständig voll belegt. Fast täglich haben weitere obdachlose Menschen um Aufnahme angefragt, weil es für sie keine menschenwürdigen Nachtschlafstätten in der Stadt gibt.

Südtirols Zivilgesellschaft hat gezeigt, was mit Ausdauer und Zusammenhalt möglich ist: obdachlose Menschen am Rand der Gesellschaft in die Mitte der Stadt zu holen und ihnen in einer kleinstrukturierten Einrichtung auf Augenhöhe zu begegnen. Mitarbeiter:innen des Sozialamtes besuchten die Einrichtung diesen Winter und sprachen ihr Lob aus. Auch die Zusammenarbeit mit den Sozialdiensten funktionierte gut, so Tschigg. Ein Besuch von politischen Amtstragenden blieb bisher aus.

 

Ehrenamtlicher Einsatz

 
 

35 obdachlose Menschen haben in den vergangenen fast sechs Monaten im privat geführten Dormizil gelebt. Dank einer Gönnerfamilie können jetzt acht der obdachlosen Menschen den Sommer über in zwei Privatwohnungen überbrücken, andere haben Arbeit und Unterkunft gefunden, einige werden auf die Straße zurückkehren. Eine Kleinwohnung des WOBI kann ebenfalls einem obdachlosen Mann zur Verfügung gestellt werden. Weitere WOBI-Wohnungen werden angestrebt.

 

 

Die Südtiroler Bevölkerung hat das Engagement der Freiwilligen im Dormizil mit Wohlwollen begleitet. Schulen, Vereine und Privatpersonen haben Spendenaktionen initiiert, Kuchen und Lebensmittel abgegeben und dem Verein insgesamt 167.000 Euro an Spenden überwiesen. Davon wurden für Energiekosten, Wäschereinigung, handwerkliche Arbeiten und Lebensmittel 45.000 Euro aufgewendet. Die verbleibende Summe wird für den Umbau des Hauses 2023 zurückgelegt. Für den Umbau werden mehr als eine Million Euro benötigt. Jetzt legt der Verein Housing First Bozen EO seinen Schwerpunkt auf die Planung des Umbaus und auf die Wiedereröffnung des Nachtquartiers im Herbst.