Kultur | Salto Afternoon

Weder Fisch noch Fleisch

Das Eröffnungskonzert von "Bolzano Festival Bozen 2023" war für die einen ein fulminanter Abend, für die anderen nur Schall und Rauch. Eine rockige Beobachtung.
Eröffnung2.jpg
Foto: Anna Cerrato

Irgendwie war das diesjährige Eröffnungskonzert von Bolzano Festival Bozen vergleichbar mit dem Eröffnungsspiel einer Fußball-Weltmeisterschaft, einem 0:0 nach 90 Minuten. Am Ende blieb die spielerische Qualität unter den Erwartungen, da die angekündigte „Fusion aus Klassik und Rock“ musikalisch gesehen eher ein Debakel für beide Genres darstellte. Toll und nett war das Klangerlebnis dennoch für viele an diesem Abend im Semirurali-Park gewesen, das zahlreich erschienene Publikum hatte Freude an den rockigen Schenkelklopfern, sogar der Landeshauptmann ließ sich ab und zu verhalten mitreißen und wippte reserviert mit dem Kopf zu den Rhythmen. Durch den Abend führte Roberto Molinelli, als Moderator und Dirigent, der auf dem aufgeweichten Soundteppich der gebotenen Klassik sein Publikum mit ausschweifenden Erzählungen aus der Rockgeschichte begleitete.
 

eroeffnung1.jpg
Roberto Molinelli bei seinem Auftritt in Bozen. / Foto:  Anna Cerrato


Das musikalische Erlebnis war stilistisch durchaus dem sogenannten „Happy Sound“ zuzuordnen, der Stilrichtung Easy Listening, die ab Mitte der 1960er Jahre unter anderem über Namen wie James Last populär wurde, oder natürlich den legendär-populären Orchesterleiter Mantovani. Molinelli, Jahrgang 1963, ist ein Kind dieser Zeit, die geprägt war, von schwungvoller Orchestermusik im Fernsehen oder im Radio, von Klassik die ohne Ecken und Kanten einfach nur unterhalten will, und gedacht ist: für ein großes Publikum. So auch in Bozen.
Die lauwarmen Abendtemperaturen entsprachen der dargebotenen musikalischen Interpretation der rockigen Welthits, die im Klassikmantel ohne Würze und Eigenleben präsentiert wurden. Die Musikerinnen und Musiker spielen einen Hit nach dem anderen, von Presley, Led Zeppelin, Deep Purple Rolling Stones, Pink Floyd, Queen, Metallica und Europe. Ob Jailhouse Rock, Stairway to Heaven, Satisfaction oder We Are the Champions, alles klingt wie aus einem Guss, alles sehr beiläufig und nach universellem Klingelton-Charakter. 
 

eroeffnung3.jpg
Foto: Anna Cerrato


Eröffnet wurde mit Carmina Burana, des angeblichen Pre-Rockers der Klassik Carl Orff. Darauf folgte Unchained Melody mit der Aufforderung des Dirigenten zum Mitsingen. Das klassische Aufgebot des Haydn gab sich alle Mühe, die Posaunen versuchen sich am Riff von Smoke on the Water, die Trompeten am Ohrwurm The Final Countdown. Die rockigen Hits mögen unterhalten, aber für wie lange? Bei dem wenig variantenreichen Arrangement und der eher beliebigen Aneinanderreihung beginnt die Darbietung schnell langweilig (und leider nie auch nur eine Spur rockig) zu werden. Zu abgedroschen ist das Präsentieren der klassischen Coverversionen, zu übermächtig, zu wuchtig die Originale.
 

Die einst bahnbrechenden Hits verkommen in ihrer immer gleichen Verwässerung...


Auch die klassischsten Rock-Stücke, etwa die Queen-Klassiker The Show Must Go On oder Bohemian Rhapsody verkommen wie alle anderen Hits zu antiquarischen Restposten, die sich im Klassik-Kleid so frank und frei fühlen wie ein Oberkörper in einem falsch geschnittenen T-Shirt der Lieblingsband. Richtig passend hingegen die Ansage von Roberto Molinelli zu Metallicas Enter Sandman, wenn er dem Bozner Publikum die märchenhafte Geschichte der Sandmann- Figur erzählt, und über Träume schwadroniert, die bei Rockern und Rockerinnen auch durchaus seltsam ausfallen können. Sehr seltsam war auch, dass die beiden Zugaben, die nach tosendem Schlussapplaus zur Aufführung gelangten, aus dem bereits abgespielten Repertoire stammten. So wurden Smoke on the Water und The Final Countdown an diesem Abend gleich zweimal performt, als wären in der verstaubten Rockkiste nicht noch andere Klassiker auf der Liste.
Die einst bahnbrechenden Hits, die in ihrer immer gleichen orchestralen Verwässerung zu Einwegware verkommen, blieben auf der Strecke und überließen das Highlight des Abends dem Mond, der just zum letzten Ton hinter dem Bergrücken auf den Semirurali-Park blickte – sein „Licht“ an machte und die „Musik“ aus.
 

eroeffnung2.jpg
Foto: Anna Cerrato