Historisierung heißt Inhalte offenlegen
Die ostentative Genugtuung in den Medien über die anstehende „Entschärfung“ des Piffrader-Reliefs am Gebäude des Finanzamtes in Bozen hat was von der Unverbindlichkeit der political correctness. Wenn Entschärfung zu Unschärfe führt, wird die mit der Historisierung verbundene Chance der Aufarbeitung nicht genutzt. Unschärfe ist in diesem Zusammenhang Kennzeichen einer wertfreien Beliebigkeit, die die Bedeutung der Geisteshaltung des Faschismus in ihrer historischen Dimension verkennt und die aktuelle Implikation ihrer kulturellen, politischen und antidemokratischen Mechanismen außer Acht lässt. Sie ist in ihrem Anspruch naiv, etwas zu überdecken, was als Zeitzeugnis authentisch und heutzutage als Selbstdarstellung des Staates in einem öffentlichen Raum anstößig ist. Wir brauchen die Konfrontation mit den Inhalten, die die Bildersprache vermittelt. Die machtvoll gegenüber dem Landesgericht inszenierte Botschaft kann gar nicht entschärft werden. Die Gesellschaft kann nicht so tun, als wäre ein Bilderbogen, der in Auftrag gegeben worden ist, um die Tugenden dazumaliger faschistischer Gesinnung zu verherrlichen, als Identifikations- und Bildungsinhalt zuträglicher, wenn er überdeckt oder verfremdet wird. Solche Distanzierungsversuche können nur eine Kurzzeitwirkung als Diskussionsimpuls entfalten und wecken eigentlich Interesse an dem, was dahintersteckt. Das Relief soll deshalb in seiner ureigenen intentionalen historischen Wirkungskraft vermittelt werden. Das muss das Konzept gewährleisten, das von Fachleuten ausgearbeitet wird.
Ein wichtiges Element dabei ist die Darstellung des unter dem faschistischen Regime propagierten reaktionären und repressiven Gesellschaftsmodells, das durch militärisch organisierte Kaderstrukturen und gleichgeschaltete Propagandamaschinerien gestützt wurde. Aufgezeigt werden sollte auch, dass die Stigmatisierung der inneren und äußeren Feindbilder und die patriotische Emotionalisierung der Bevölkerung dazu dienten, um ein korporatives Herrschaftsmodell mit autoritärer Führungsstruktur aufzubauen. Als Gegenmodell zum parlamentarischen Regierungssystem gedacht, sollte es dank plebiszitärer Identifikation legitimiert und epochenprägend werden.
Spannend wird der Prozess der Historisierung dadurch, dass die verwendeten Muster manipulativer staatlicher und gesellschaftlicher Herrschaftsregulierung Vergleiche mit den in der Gegenwart Überhand nehmenden populistischen Umtrieben ermöglichen. Es fehlt nicht an aktuellen Beispielen für die Banalisierung der sozialen und politischen Probleme und die emotionale Aufladung der hierfür bereitstehenden Lösungsvorschläge, für die Verengung des Kulturbegriffs und der gesellschaftlichen Identitätsmuster, für tribale Ausgrenzungsmechanismen, die Akklamation der Volksnähe für die eigenen Führungsansprüche und raffiniert orchestrierte kraftstrotzende Selbstinszenierungsevents. „Faschistisch“ ist nur eine zeitgebundene Etikette für zutiefst menschliche Verhaltensweisen, die in der Umsetzung in soziale und institutionelle Paradigmen und Mechanismen (ingegnerizzazione dei sistemi sociali ed istituzionali) dank der Fortschritte in der Abstraktions- und Anpassungsfähigkeit sich stets wandelnde Konturen und dadurch eine nachhaltige Wirkungskraft erhalten. Die Vermittlung eines gegen solche für die gesellschaftliche Entwicklung schädliche Anwandlungen gefeiten und dennoch wertverpflichteten Menschenbildes und Demokratieverständnisses ist eine zentrale Aufgabe der kulturellen Verortung und Ausrichtung. Das kann die Historisierung des Piffrader-Reliefs nicht leisten, wohl aber eine Loslösung des Werks vom historischen Kontext versuchen, die auch die Würdigung der künstlerischen Leistung Piffraders zulässt.