Gesellschaft | Partizipation

Nachgefragt

Was sich Kinder und Jugendliche mit Behinderung für Schule und Freizeit wünschen, hat das Land gemeinsam mit der Uni Bozen erhoben. Hier die ersten Ergebnisse.
Gespräch
Foto: Pexels/Cliff Booth
  • Wie es jungen Menschen mit Behinderungen in der Schule geht und wie sie ihre Freizeit gestalten, darum geht es in einem neuen wissenschaftlichen Projekt des Monitoringausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Provinz Bozen, der Kinder- und Jugendanwaltschaft und des Kompetenzzentrums für Inklusion im Bildungsbereich der Freien Universität Bozen.

    „Primäres Ziel unseres Projektes ist es, den jungen Menschen mit Behinderungen eine Stimme zu geben“, erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Anna Frizzarin vom Kompetenzzentrum. Das Ergebnis zeige ein gemischtes Bild der Situation. Was den Bereiche Schule betrifft, so profitieren Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung sowohl von kompetenten Lehrkräften als auch von einem inklusiven Umfeld. 

    „Das spiegelt die Multidimensionalität des Konzepts der Partizipation wider. Es wird klar, dass es nicht nur um das Lernen, sondern auch um die Inklusion im schulischen und außerschulischen Alltag geht“, sagt Frizzarin. Die Gespräche mit den Teilnehmer*innen zeigen das Bedürfnis auf, mit den anderen Kindern und Jugendlichen in Kontakt zu treten. 

  • Vorstellung am Freitagvormittag im Palais Widmann in Bozen: Die Ergebnisse, unter anderem eine unzureichende barrierefreie Erreichbarkeit und Nutzung von Schulen und Freizeit-Orten, sowie daraus resultierende Forderungen standen im Mittelpunkt. Foto: Südtiroler Landtag/Werth
  • „Wo es an Sensibilität, Aufmerksamkeit und Unterstützung für die einzelnen Schüler*innen fehlt, wird von mehr negativen Erfahrungen berichtet. Beispielsweise wenn Schüler*innen alleine mit einer Lehrperson für Inklusion draußen vor der Klasse arbeiten, anstatt gemeinsam mit den anderen im Klassenraum zu lernen“, erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin. Auch strukturelle Barrieren wie die fehlende Barrierefreiheit in Schulen oder im öffentlichen Personentransport auf dem Weg zu Schule behindern die Partizipation der Teilnehmer*innen. 

    Auch im Bereich der Freizeit gebe es Positives und Negatives zu berichten. Herausforderungen bestehen vor allem bei der Zugänglichkeit von Freizeitangeboten, etwa weil barrierefreie, öffentliche Verkehrsmittel fehlen oder Betreuungspersonen nicht zur Verfügung stehen. „Es geht darum, den Kindern und Jugendlichen mit Behinderung Autonomie zu gewährleisten, damit sie wie alle anderen sich selbständig bewegen und an den von ihnen gewünschten Aktivitäten teilnehmen können“, sagt Frizzarin. 

    Professorin Simone Seitz, Direktorin des Kompetenzzentrums für Inklusion im Bildungsbereich der Freien Universität Bozen, zufolge „werden in der Sozialforschung Kinder und Jugendliche immer noch viel zu selten nach ihren Sichtweisen und Erfahrungen gefragt. Zwar ist man sich auf der theoretischen Ebene einig, dass sie in Bezug auf ihre Lebenswirklichkeiten auskunftsfähige Expert* innen sind, dennoch wird in der Forschung nur zögerlich umgesetzt, was hier realisiert wurde: Die Sichtweisen der Adressat*innen des politischen und beruflichen Handelns im Sozial- und Bildungsbereich erhalten Eingang in das wissenschaftliche Wissen und finden politisches Gehör. Damit steht diese Studie beispielhaft für den Forschungsstil des Kompetenzzentrums, der sich nicht im abgeschlossenen Elfenbeinturm vollzieht, sondern in Kommunikation mit Praxis und Politik und in Orientierung an den Rechten und Belangen von Kindern und Jugendlichen.“

  • Partizipation: Die Teilnehmer*innen der Studie haben auf ihre Schwierigkeiten in Schule und Freizeit hingewiesen, aber auch Positives berichtet. Foto: Südtiroler Landtag/Werth

    Im Vorfeld des Internationalen Tages der Rechte von Menschen mit Behinderungen am 3. Dezember wurden heute, am 1. Dezember, die ersten Ergebnisse des Projekts vorgestellt. Im Rahmen der Initiative wurden 17 Interviews mit jungen Menschen mit Behinderungen im Alter von 9 bis 18 Jahren durchgeführt, um ihre Wahrnehmung der Teilhabe an Schul- und Freizeitaktivitäten zu erfahren, und es wurde ein Online-Fragebogen erstellt, um insbesondere die Sichtweise der Familienmitglieder zu diesem Thema zu ermitteln. Bei der Durchführung der Interviews haben Studierende des Studiengangs Master of Science in Grundschulpädagogik der Uni Bozen mitgewirkt.

    Außerdem wurde ein Online-Fragebogen vom Monitoringausschuss unter Supervision von Renate Heissl, Lehrbeauftragte an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Uni Bozen und Fachexpertin im Monitoringausschuss, ausgearbeitet. Mit diesem wurde die Sichtweise von Familienangehörigen von Betroffenen abgefragt.

  • Die nächsten Schritte

    Aus den Anliegen der Kinder und Jugendlichen sowie der Familienangehörigen wurden Schwerpunkte ermittelt, aus denen Forderungen an die Politik sowohl für den Schul- als auch für den Freizeitbereich herausgearbeitet wurden. „Unter den Forderungen im Bereich Schule sind besonders die Gewährleistung eines qualitativen und inklusiven Unterrichts in allen Bildungsstufen und die Förderung von Gelegenheiten zur Information für eine stärkere Sensibilisierung in der Schule zum Thema Inklusion hervorzuheben“, erklärt Monitoringausschuss-Vorsitzende Michela Morandini. „Für den Bereich Freizeit von Bedeutung sind dagegen die Forderung eines kapillaren Ausbaus der Freizeitangebot im ländlichen Gebiet sowie die Forderung in Bezug auf die Förderung von inklusiven und bedürfnisgerechten Angeboten“, ergänzt Kinder und Jugendanwältin Daniela Höller.

    „Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass es sowohl im Schul- als auch im Freizeitbereich noch einiges zu tun gibt. Inklusion, gerade für Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigung, muss gelingen. Die Politik, aber auch die Gesellschaft als Ganzes ist gefragt. Ausgehend vom Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und der UN-Kinderrechtskonvention müssen angemessene Maßnahmen überlegt und dann auch umgesetzt werden, damit alle jungen Menschen ein größtmögliches Ausmaß an Autonomie und Selbstbestimmung erreichen sowie ein würdevolles Leben führen können“, unterstreicht Höller.

    „Die nächsten konkreten Schritte bestehen nun darin, die Forderungen an die politischen Verantwortlichen zu stellen“, so Morandini.