Von un_toten "Visionen"
Dann aber schickte, am 29.12., der „Tagesanzeiger“ unter dem Titel „Spaniens neue Unabhängigkeitsbewegung“ einen Text ins Gemenge, in dem unter anderem zu lesen stand, dass "Tabarnia" in jenen Tagen das „meistdiskutierte Thema der Welt“ (gewesen) sei. Man stelle sich das mal vor: Sezession --> meistdiskutiertes Thema der Welt --> in Südtirol kein Laut davon. Die Gründe für diese absolute Stille liegen dann aber doch auf der Hand: "Tabarnia“ schnürt ja nämlich jeder Sezessionsbewegung die (demokratische) Luft ab, das bisschen, das sie eh nur hat - oder, wie Inés Arrimadas von den "Ciudadanos" es formuliert hat:
«Der Nationalismus verteidigt ein homogenes Katalonien und kollidiert mit seiner eigenen Widersprüchlichkeit.»
Mag sein, es handelt sich bei „Tabarnia“ um keine „ernsthafte“ Bewegung (wobei die Frage erlaubt sein muss: Wie „ernsthaft“ kann eine sezessionistische Bewegung sein, im nahezu grenzenlosen Europa des dritten Jahrtausends?!), sondern „nur“ um eine Internet-Initiative, sogar einer mit (ursprünglich) ironischer Absicht. Nichtsdestotrotz wirft sie, und zwar mit Macht und Nachdruck, zu all den fetten Fragezeichen und schwergewichtigen Zweifeln, die im Zusammenhang mit jeder Abspaltungsbewegung eh schon bestehen, noch ein paar weitere auf, deren jede/r einzelne mehr als nur Beachtung und Würdigung verdient.
Bei „Tabarnia“ also handelt es sich um eine (nicht wirklich) „fiktive“ Region Kataloniens, nämlich um die mehrheitlich nicht sezessionswilligen Provinzen TArragona und BARcelona (und deren Anfangsbuchstaben). Pikanterweise sind die beiden auch die wohlhabendsten aller katalanischen Provinzen - ein Trumpf, den die Tabarnia-Denker vorzüglich zu spielen wissen: Die „Tabarnianer“ planen ihrerseits, sich von Katalonien abzuspalten, und führen in diesem Sinne - erstklassige Pointe! - „gegenüber dem restlichen Katalonien genau dieselben ökonomischen, kulturellen und demografischen Argumente an, die Carles Puigdemont und seine Getreuen gegenüber Spanien geltend machen: Barcelona und Tarragona (also Tabarnia) bezahlen mehr in den gemeinsamen Haushalt ein, als sie zurückerhalten. Die Bürger von Tabarnia haben das Recht, demokratisch über ihre Zukunft zu entscheiden. Die Korruption der katalanischen Politiker hat Tabarnia ins Elend gestürzt. Tabarnia ist eine urbane, multikulturelle, dynamische Region, die nicht so recht zum übrigen Katalonien passen will.“
Welch bittere Ironie aller leidigen Sezessions-Geschichten Europas! Natürlich! So kann es kommen, so werden sie kommen,
die Geister, die die Sezessionisten riefen,
aus der Büchse der Pandora,
die sie unbedingt geöffnet haben wollen:
Jede Region, jede Talschaft, ja jedes Dorf wird sich ohne weiteres und mit jedem Recht der Welt als unabhängig erklären können von dem prekären Gebilde, das nach einer Abspaltung übrigbliebe, „gebaut“ auf dem hochproblematischen Fundament eines illusorischen, völlig unzulässigen kollektiven „Wir“. Ohne dieses kollekive "Wir" (das mich persönlich übrigens beleidigt) fällt jede sezessionistische „Vision“ in sich zusammen wie ein verunglücktes Soufflé, womit, notabene, der ultimative Beweis erbracht wäre, dass jede sezessionistische Bewegung gar nicht anders kann als nationalistisch sein.
Ja, und so könnte also, in der weiteren Auseinandersetzung mit dem Phänomen „Tabarnia“, ohne weiteres eine gewisse Häme oder Schadenfreude aufkommen: Das Katalonien um Puigdemont, um beim Beispiel zu bleiben, würde vermutlich eher dumm aus der Wäsche gucken, wenn seine wirtschaftlichen Zugpferde sich nicht mehr vor den (illusionären) „gemeinschaftlichen“, in Wahrheit pur nationalistischen Karren spannen ließen. Ein Gedanke, der sich leicht nach Südtirol transferieren lässt: Das heimische „Tabarnia“ könnte sich z. B. im Gröden- und im Gadertal entwickeln, wo man sich – warum auch nicht – ohne weiteres eher den ladinischen Talschaften der Nachbarräume zugehörig fühlen könnte als einem mehrheitlich deutschsprachigen SüdminusTirol (post Sezession). Mit welchem Argument wollte den Talschaften auch verwehrt werden, sich ihren kulturellen und sprachlichen Geschwistern zuzuwenden, in Fortsetzung und Anwendung der Sezessionistinnen-Logik - fort von einer mehrheitlich deutschsprachigen Fremdheit, hin zum „Eigenen, Gleichen“? Warum sollten sich des Weiteren z. B. Salurn oder Leifers nicht eher Trient oder einem Trentino näher fühlen als einem Tirol jenseits des Brenners? Oder der Vinschgau, einige seiner Teile, dem Graubünden? Undsoweiter? Undsofort? (An welcher Stelle die Gedankenschlange an einer anderen Stelle andockt, und behauptet, wenn man also der „Vision“ von „Ein-ig Tirol“ endgültig den Garaus machen wolle, dann sei die Abspaltung von Italien wahrscheinlich das Mittel der Wahl.)
Und: Was hinderte, nicht zuletzt, Nachbarregionen daran, aktiv und aggressiv um den Übertritt einer oder mehrerer lukrativen Region/en oder Ortschaft/en zu werben – z.B. durch Steuererleichterungen? Oder andere „Incentives“? Um die so manche (not-)erfinderische Dorf-, Provinz- und andere Regierungen kein bisschen verlegen wären?
Allein, Schadenfreude und/oder Häme ob „Tabarnia“ wollen nicht wirklich andauern. Es braucht auch wahrhaftig nicht sehr viel Fantasie, um sich das kollektive Chaos, den überbordenden Bürokratismus, die kleinen und großen Grenz- und anderen Streitigkeiten, die enorme Streuung und Vergeudung von Energie/n, kurz: die maximal zerstörerische Unordnung auszumalen, die so eine Sezession und eine Sezession von der Sezession etc. etc. nach sich zöge.
Schwer vorstellbar weiterhin, dass eine derartige, fast zwingend zu erwartende chaotische Rückwicklung (denn „Entwicklung“ will mir in diesem Zusammenhang gar nicht in die Tasten) irgendwie aufgehalten oder vermieden werden könnte – es sei denn mit totalitären oder anderen halsbrecherischen Methoden. Im besten Falle entstünde eine Region der permanenten Unruhe, des permanenten Unfriedens, des permanenten „Konkurrenz“-Drucks.
Spätestens seit „Tabarnia“ dürfte also wohl endgültig klar sein, dass „Sezession“ im modernen Europa eine vollkommen falsche, und vollkommen überflüssige „Idee“ ist, die nirgendwohin führt, und schon gar nicht zu etwas Gutem. Legen wir sie also doch hin, wo sie hingehört: ins Archiv der Geschichte, in den Ordner „Zur falschen Zeit, am falschen Ort“, und wenden uns den wichtigen und richtigen Dingen zu, wie z. B. der engeren und besseren Vernetzung der europäischen Länder und Menschen.
Antwort auf (sorry, ein »sich« zuviel) von pérvasion
Hätte man über den
Hätte man über den Lufthunderter abgestimmt, würde es ihn nicht geben.
Antwort auf Hätte man über den von Christian Mair
Wer weiß. Aber mit Sicherheit
Wer weiß. Aber mit Sicherheit hat die Schweiz, wo über alles abgestimmt wird, die bessere Transitpolitik als Österreich (und Südtirol).
Antwort auf (sorry, ein »sich« zuviel) von pérvasion
Eine realistische Position
Eine realistische Position ist doch, eine föderalistische Landesverfassung zu verankern, die alle aktuellen und vielleicht neue Kompetenzen, die Probleme auf der subsidiären Ebene von Gemeinden, LAnd und Euregio (inkl. Abschaffung der Bezirke und Reduktion der Gemeinden auf eine Anzahl von 25). Damit würden viele aktuelle Politiker arbeitslos und man könnte sich den mit den konkreten Problemen beschäftigen.
P.s.: Unabhängigkeit stellt eine Utopie auf ein Podest und vergisst dabei Reformen umzusetzen.
Antwort auf »Nur mal so zum Nachdenken: von pérvasion
Glaubst du in Großbritannien
Glaubst du in Großbritannien würde sich erneut eine Mehrheit für den Brexit finden?
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