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Dante & Hendrix

Sie waren beide echte Rocker. Rebellisch und revolutionär: beiden war das zutiefst physische Erleben von Dingen und Verhältnissen gemein.
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Foto: Jordi Koalitic

Der Eine lebte diese Wanderschaft von Schrecklichkeit über Sünde zu Ekstase ganz real, auf seinem eigenen Weg, zutiefst verstrickt in seine Göttliche Komödie. Der Andere wiederum zupfte nicht etwa sanft auf seiner Gitarre herum, er schlug sie, vergewaltigte sie, spielte sie mit den Zähnen. Ich lese Dante und denke an Jimi.

Dante war ein Prophet, der zum Volk sprach und sich dabei aller nur vorstellbaren Wortgewalt bediente. Mit einer politischen Schmährede ohnegleichen versuchte er in das Hirn der trottenden Herde, der Dumpfschädel einzudringen. Ich hätte mir den poeta Sommo gut auf der Bühne von Woodstock vorstellen können, nicht damit er dort irgendwelche Märchen erzählte – nichts an ihm war auch nur ansatzweise allegorisch – sondern um seine Verzweiflung herauszubrüllen. Und um denen, die Hoffnung haben, die an eine bessere Welt glauben, das Werkzeug für die notwendige Verwandlung der Verhältnisse an die Hand zu geben.

Jimi Hendrix hat mit seinen Gitarrenriffs ungeahnte Höhen erreicht. In der Antike waren es die Götter, die den Dichtern ihre Stimme verliehen. Aber was an Dante anders war, ist die völlig unvergleichliche Kraft seiner Dichtung. Nie hatte es zuvor eine derartige Art der Dichtung gegeben, eine Dichtung, die Sprache als Weissagung einsetzt. Erst die Dichtung lässt die Dinge geschehen. Das Wunder der Dichtung besteht darin, dass sie den Geschehnissen, aber auch den Angelegenheiten der Menschen, Struktur und Form verleiht. Das altgriechische Verb poiein bedeutet machen, tun. Und Jimi Hendrix machte, tat mit seiner Fender Stratocaster poetische Dinge, die vor ihm nie jemand gemacht, getan hatte. In Monterey 1967 beendete er sein Konzert, indem er auf der Bühne seine eigene Gitarre in Brand setzte, und zwei Jahre später in Woodstock interpretierte er die amerikanische Nationalhymne auf seine ganz eigene Art – aus den glühenden Gitarrensaiten holte er den Sound der Bombenangriffe auf das vietnamesische Volk heraus. Nie zuvor hatte die Welt so etwas gehört. Hendrix war auf seine Weise ebenso unerhört wie Dante, der zum ersten Mal überhaupt das Leben in Versen ausdrückte.

Beide gingen dabei ganz klar vor, ganz deutlich. Ganz einfach lässt sich nachvollziehen, welchen göttlichen Inspirationen sie dabei folgten. Denn die sind unmittelbar und direkt verständlich. Niemand wird sich je für Dante begeistern, der glaubt, dass Dichtung nur aus Reimen besteht. Oder dass die Abenteuer, an denen er uns teilhaben lässt, allein aus der Fantasie geboren sind. Niemand wird Hendrix lieben, der nicht daran glaubt, dass man aus einer Gitarre absolut visionäre Sound-Breitseiten herauskitzeln kann.

            Die beiden Rocker wurden zu ihren Lebzeiten geliebt, und sie werden heute noch geliebt. Weil sie immer noch zu uns sprechen – zu den neuen Klassen, zur Jugend, die sich für sie begeistert. Die beiden waren Vordenker, Wegbereiter: Der eine bereitete mit seiner nie zuvor gehörten Fusion aus Blues, Rhythm’n Blues/Soul, Hard Rock und Psychedelic den Boden für künftige Entwicklungen der Rockmusik. Der andere – nicht weniger originell – kommunizierte seinen völlig neuen Blick auf die Welt nicht einfach im volgare illustre und erst recht nicht auf Latein, sondern im Dialekt von Florenz, volkstümlich und zotig. Hendrix war erklärter Gitarren- und Sexgott in einer Zeit, als für die Jugend selbst ein Zuviel immer noch ein Zuwenig war. In der Musik und im Leben. Beide waren sie Propheten. Keine (Hohe-) Priester, sondern Propheten, die nichts darstellen und nicht verbergen wollten, sondern einen prophetischen Realismus zeigten, der sich zu göttlichem Wissen zu erhöhen vermochte. Beide waren davon überzeugt, dass ihre Mission darin bestand, die Erde in ein Paradies zu verwandeln. Dass es um die Errichtung eines irdischen Himmelsreichs ging. Eines Himmels auf Erden, wohlgemerkt, nicht im Himmel.

Die beiden Propheten waren unterwegs wie Christen aus Fleisch und Blut und mit einem gewaltigen Bewusstsein ihrer selbst. Der eine, Dante, besaß das Bewusstsein eines Dichters, der in die Hölle hinabsteigt und in den Himmel auffährt, wo er aber nicht bleibt. Der andere, Hendrix, erlebte mit Anabasis und Katabasis das musikalische Pendant dazu; auch er wird dort unten nicht bleiben können: Lasset alle Hoffnung fahren, steht über diesem Höllentor.

Die Göttliche Komödie endet nicht in Ruhm und Glanz; Dantes Vorhaben erschöpft sich nicht mit dem Paradies. So wie auch Hendrix irdisches Leben nicht im Ruhm endet. Die Botschafter der beiden Rocker an uns aber ist sonnenklar: Wir haben euch die Inspiration gegeben. Ihr müsst nun die Revolutionäre sein. Kämpft für die Freiheit! Setzt die Dinge um! Wenn ihr das Paradies erreichen wollt, müsst ihr originell sein und prophetisch.

m.