Politik | Wahlrecht

Ein Schlagbaum vor dem Rathaus

Eigentlich ist es ein Gebot der Demokratie, möglichst alle auf Dauer in einem Gebiet lebenden Bürger in den politischen Willensbildungsprozess einzubeziehen.
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Die Realität sieht anders aus. Bei den letzten Gemeinderatswahlen blieben viele Wahlberechtigte freiwillig den Urnen fern, die meisten Zuwanderer allerdings gezwungenermaßen. Während die EU-Bürgerinnen seit 1996 bei den Kommunalwahlen in Italien das Wahlrecht haben – es aber kaum nutzen – haben die Nicht-EU-Bürger gar kein Wahlrecht, gleich ob sie 5 oder 25 Jahre hier leben, arbeiten und Steuern zahlen. Dies sind aber zwei Drittel der 46.000 in Südtirol lebenden Ausländer. Kann ein so großer Teil der Bevölkerung auf Dauer von den zentralen politischen Rechten ausgeschlossen bleiben?

Italien gehört mit Deutschland und Österreich zur Minderheit der rund zehn EU-Länder, die Nicht-EU-Ausländern auch nach langem legalem Aufenthalt kein Wahlrecht auf keiner Ebene gewähren. In 16 Ländern haben Nicht-EU-Ausländer das aktive und in vielen auch das passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen, meistens nach 4 Jahren Ansässigkeit. In weiteren EU-Ländern wie Großbritannien, Malta und Tschechien haben Drittstaatsangehörige aus ganz bestimmten Ländern das Wahlrecht. So finden sich Millionen Ausländer in der EU in der paradoxen Situation, dass sie auch nach Jahrzehnten Ansässigkeit in der EU noch im Herkunftsland wählen, wo sie längst nicht mehr leben, aber hier, wo sie leben, noch nie gewählt haben. In Italien liegt für Nicht-EU-Ausländer vor dem Rathaus eine Art Schlagbaum. Als einige Städte wie Genua, Ancona, Turin versucht haben, das Wahlrecht auf diese Menschen auszudehnen, ist dies von der Regierung prompt annulliert worden, weil die staatsrechtliche Grundlage fehlt.

Das muss nicht so sein, denn selbst die EU hat die Integration der Ausländer auch im politischen Leben gefordert. Unionsbürger haben laut Unionsvertrag das aktive und passive Wahlrecht im Wohnsitzland bei Kommunalwahlen und EU-Wahlen. Als Bürgermeisterin kandidieren dürfen sie allerdings nicht. Dafür müssen sie sich in die Wählerlisten eintragen lassen, was in Deutschland automatisch geschieht, in Italien nur auf Antrag. Trotz eigener schriftlicher Einladung durch die Wahlämter verzichten dennoch sehr viele darauf. Nicht-EU-Ausländerinnen haben weder aktives noch passives Wahlrecht. So kann man von einem Drei-Klassenwahlrecht der Wohnbevölkerung sprechen, was für eine inklusive Demokratie wohl kaum förderlich ist.

Ausländer, die in Bozen und Meran ansässig sind, können zwar Beiräte wählen, diese haben nur beratende Funktion. Ausländer können dort begrenzt mitreden, werden manchmal gehört, können nie mitentscheiden. Die Wahl der Beiräte, deren Neuwahl jetzt parallel zur offiziellen Amtsperiode ansteht, schafft zwar etwas demokratische Legitimation. Später sind die Beiräte von Bozen und Meran in der Politik kaum mehr präsent. Die Wahlbeteiligung ist niedrig und wird niedrig bleiben, denn diese Beiräte haben einfach zu wenig zu sagen. Der Kontakt zwischen Gewählten und Wählern ist schwierig, die Wahl orientiert sich „naturgemäß“ meist an den Herkunftsländern der Kandidaten. Ihr größtes Manko ist die mangelnde Beschlusskompetenz. Der Bozner Beirat hat auch keine eigenen Finanzmittel. Gefragt wäre eine echte Beratungs-, Mitsprache und Mitentscheidungsbefugnis. Ansonsten sind solche Beiräte keine Alternative zum Wahlrecht.

Im Parlament in Rom sind eine ganze Reihe von Anläufen gemacht worden, die Verfassung (Art. 48 und andere Artikel) so abzuändern, dass auch Ausländer das Wahlrecht erhalten können. Bisher erfolglos, denn man setzt derzeit eher auf Anreize zur Einbürgerung. Auch diese ist in Italien ziemlich langwierig. Nun treten zwar immer mehr eingebürgerte Personen zu Wahlen an – einzelne wie Kyenge werden gar Ministerin – auch bei den letzten Wahlen in verschiedenen Gemeinden Südtirols. Doch die politische Gleichberechtigung auf kommunaler und auf Landesebene wird noch nicht einmal diskutiert. Das Wahlrecht bei Gemeindewahlen wäre für Ausländer ein ganz wesentlicher Anreiz zu mehr Beteiligung und Mitveranwtortung, ist es doch der Schlüssel dafür, politisch ernst genommen zu werden. Hätten die in Südtirol lebenden Ausländer gar das Wahlrecht bei Landtagswahlen, würde die Aufmerksamkeit der Parteien für ihre Anliegen sprunghaft steigen.

Diese Themen stand am 4.6.2025, 20 Uhr, im Mittelpunkt des letzten Abends der POLITiS-Reihe "Baustelle Demokratie" in der Cusanus Akademie. Es sprechen der Migrationsforscher Matthias Oberbacher, der Präsident des Islamischen Zentrums Brixen Mohammed Jamil und die L.Abg, der Südtiroler Freiheit Myriam Atz Tammerle.