Kultur | Büchsenhausen

Praxis und Theorie unter einem Dach

Interview mit Andrei Siclodi, Leiter und Kurator des internationalen Fellowship-Programms für Kunst und Theorie Büchsenhausen in Innsbruck.

An wen richtet sich das internationale Fellowship-Programm für Kunst und Theorie im Künstlerhaus Büchsenhausen? Welche Möglichkeiten bietet ihr den Teilnehmer_innen?

Andrei Siclodi: Das Künstlerhaus Büchsenhausen ist eine Einrichtung der Tiroler Künstlerschaft. Es ist eine Institution die von einer Künstler_innenvereinigung getragen wird. Das ist ein wichtiger Punkt. Ich arbeite mittlerweile seit 12 Jahren für das Programm und es war uns von Anfang an sehr wichtig, dass die Künstler_innen hier gute Rahmenbedingungen für ihre Arbeit haben, auch wenn wir nicht die höchsten Stipendien anbieten können. Es ist bei Residenzen ja oft so, dass die Leute eingeladen werden und dann von einer Person einen Schlüssel in die Hand gedrückt bekommen und ihnen gesagt wird, gut, wir treffen uns in einem Monat wieder. Hier läuft das anders. Das Programm richtet sich grundsätzlich nicht nur an Künstler_innen, sondern an alle die sich im erweiterten Sinn mit visuellen Praktiken beschäftigen. Wir laden Architekt_innen und auch, das ist speziell an Büchsenhausen, Theoretiker_innen ein und machen da keinen Unterschied. In Europa gibt es nicht so viele Einrichtungen dieser Art.

In eurem Programm finden sich vorallem politisch engagierte Künstler_innen...

A.S.: Das stimmt. Wir interessieren uns in erster Linie für künstlerische und kunsttheoretische Praktiken die nicht selbstreferentiell sind, sprich kunstbetriebsmäßig selbstreferentiell, sondern Praktiken die sich im erweiterten Sinn mit gesellschaftlichen Fragen auseinandersetzen.

Wie werden die Stipendiat_innen ausgewählt?

A.S.: Zum Auswahlverfahren ist zu sagen, dass die Jury aus 3 Leuten besteht. Abgesehen von mir, der ich auch die Projekte begleite, die Umsetzung der Arbeitsvorhaben, ist auch immer jemand aus dem Fachbeirat dabei. Der Fachbeirat ist ein vierköpfiges Gremium das es seit 2011 gibt. Das 3. Jurymitglied kommt von außen und wird von uns eingeladen. Die Juroren wechseln eigentlich immer, außer mir, der ich auch als Kurator hier arbeite.

Wird bei der Auswahl auch darauf geachtet, dass sich die jeweiligen künstlerischen Praxen ergänzen oder die Künstlerinnen ähnliche Arbeits- bzw. Interessensgebiete haben?

A.S.: Es gibt keine Regel diesbezüglich. Im Grunde obliegt die Auswahl der Jury. Es gibt zum Beispiel auch keine Quote für Theoretiker_innen. Dieses Jahr sind Künstler_innen hier die sich einen sehr starken theoretischen Hintergrund erarbeitet haben. Die Jury entscheidet nach inhaltlichen Kriterien. Das ist natürlich ein sehr schwieriger Prozess, weil wir im Durchschnitt von rund 250 Leuten 4 auswählen müssen. Nach der ersten Juryrunde laden wir 15 Leute zu einem Interview ein. In diesem Prozess kristallisieren sich dann natürlich Themen heraus.

Standpunkt Büchsenhausen – Innsbruck, oder inwiefern spielt der Ortsbezug eine Rolle im Fellowship-Programm?

A.S.: Der Ortsbezug ist immer gegeben, aber nicht in der Form in der man sich das vielleicht denken würde. Ganz am Anfang haben wir in der Ausschreibung des Stipendiums von den Leuten gefordert sich mit dem Ort und der Umgebung auseinanderzusetzen. Das hat dazu geführt, dass das Tourismusparadigma immer im Vordergrund stand. Was assoziiert man auch schon mit Innsbruck: Berge, Skifahren und Natur und vielleicht noch das Schloss Ambras, das historisch interessant ist. Nach einer Flut solcher Bewerbungen, haben wir nein danke gesagt. Das macht so keinen Sinn. Es wäre eine sinnlose Einschränkung. Wenn es darum geht vor Ort interessante Diskurse zu führen und aufzugreifen, ist es viel besser wenn wir strukturell alles offen lassen. Die Leute sollen sich mit dem bewerben, an dem sie gerade arbeiten. Es ist dann meine Aufgabe - weil ich die Leute auch hier vor Ort betreue - zu schauen wo wir Verbindungen finden können.

Die jetzigen Fellows arbeiten zu den Thematiken des Kolonialismus, oder der Kolonialität, sowie der Geschichts- und Erinnerungspolitik. Themen die gerade hochaktuell sind.

A.S.: Die Thematik Migration ist hochaktuell, ja. Das hat sich zufällig so getroffen, dass das Thema gerade so virulent ist. Vor einem Jahr war das in Österreich noch nicht so brisant. Der politische Diskurs ist zur zeit sehr stark darauf ausgerichtet wie man mit dieser Flut - unter Anführungszeichen – von Flüchtlingen umgehen soll. Wobei postkoloniale Thematiken, Migration und Geschlechterfragen immer Themen waren, die bei uns eine große Rolle gespielt haben. Weil das eben Fragen sind, die die Fundamente unserer heutigen Gesellschaft betreffen. Auch wenn Österreich nach wie vor behauptet, dass es mit Kolonialismus nichts am Hut hatte, ist es einfach nicht wahr. Eine gewisse Form von Kolonialität hat es definitiv gegeben. Und diese ist mit Abschaffung der Monarchie auch nicht einfach verschwunden, sondern hat sich vielmehr demokratisiert - sich in alle möglichen Lebensbereichen subkutan verbreitet. Deshalb spielen diese Themen nach wie vor eine wichtige Rolle.

Abschließend noch kurz zur kommenden Ausstellung der Fellows „Widerstand und Amnesie #2 Über gescheiterte Utopien, lebendige Mythen und Kolonialität heute“, die am 17. Juni eröffnet wird. Ist die Kunst in der Ausstellung widerständig? Gegen was widersteht sie und was könnten heute widerständige künstlerische Praxen sein?

A.S.: Am Ende des Jahres mach wir immer eine Abschlussausstellung, wobei ich das eigentlich nicht gerne so nenne. Es ist eher ein Manifestationsformat dessen, was sich in Büchsenhausen auf Grundlage der einzelnen Arbeitsprozesse ergibt. Es ist ein wichtiges Format, aber es gibt auch eine Reihe kleinerer Veranstaltungen die nicht minder wichtig sind, aber einen anderen Charakter haben. Die Titel der Ausstellungen bestimmen wir zusammen mit den Fellows. Im Laufe des Jahres versuche ich ein paar Begriffe zu definieren, von denen ich glaube, dass sie für die jeweiligen Arbeiten wichtig sind. Wir diskutieren die Relevanz dieser Begriffe dann und versuchen das Display der Ausstellung, als auch das erweiterte Konzept gemeinsam zu erarbeiten. In diesem Sinne bin ich auch nicht ein klassischer Kurator. Ich sehe den Titel der Ausstellung nicht als deskriptiv. Es geht nicht darum aufzuzeigen, dass gewisse künstlerische Praktiken dezidiert Widerstand anstreben, aber es sind Praktiken, die den Begriff reflektieren, oder mit ihm operieren.

Danke für das Gespräch!

 

Widerstand und Amnesie #2
Über gescheiterte Utopien, lebendige Mythen und Kolonialität heute
Bisan Abu-Eisheh, Annalisa Cannito, Raja'a Khalid, Emma Wolukau-Wanambwa

Ausstellung kuratiert von Andrei Siclodi

Eröffnung: Mi 17. 06. 2015, 19.00 // KUNSTPAVILLON

Ausstellungsdauer: 18. 06. – 01. 08. 2015
Öffnungszeiten: Mi – Fr 11.00 – 18.00, Sa 11.00 – 15.00
Ort: KUNSTPAVILLON, Rennweg 8a, 6020 Innsbruck