Kultur | Salto Afternoon
Sie hat sich durchgeboxt
Singend und beatboxend, am Klavier und Synthesizer spielend, war die einzige Unterstützung, welche sich die Berlinerin auf der Bühne erlaubte - die trotz großem Publikumsanteil aus Deutschland durchwegs auf Englisch mit dem Publikum interagierte - ein einzelnes Delay-Pedal. Ein „Microcosm“, wie es im Zuruf eines „Kenners“, so Kid be Kid, aus dem Publikum hieß.
Im Kapuzinerpark herrschte Wohnzimmeratmosphäre, auch weil die Künstlerin zwischendurch immer wieder mit dem Publikum quatschte, wiederholt auch um Erwartungshaltungen zu dämpfen, welche sie ohnehin übertroffen hätte.
Gerade bei der Anmoderation von Tracks aus ihrem jüngsten Album „Truly A Life Goal But No Ice Cream“ dämpfte das Multitalent die Erwartungen und betonte, welche Arbeit dahinterstecke, Live-Arrangements zu den Liedern zu entwickeln, für welche sie bei den Studio-Aufnahmen Tonspuren einzeln aufnehmen konnte. Dabei gelang es ihr vielleicht auch wieder Luft zu schnappen, wenngleich die Künstlerin nie außer Atem zu kommen schien. Auch mit beiden Händen auf jeweils verschiedenen Tastaturen bewies sie mentale Flexibilität, die sogar abrupte Tempi-Wechsel zuließ, noch beeindruckender war jedoch die stimmliche Leistung am Abend. Kid be Kid begleitete sich selbst beatboxend in einem solchen Tempo, dass zwischen gesungenem Wort und erzeugtem Laut oft kein Blatt gepasst hätte, perfekt im Rhythmus und, wie gesagt, auf Effekte größtenteils verzichtend. Sie traute sich jedoch nicht nur maximalistische Stücke zu, sondern hatte auch genug Vertrauen in ihre natürliche, warme Stimme und ihr Spiel um einer Ballade auch den Raum zu geben, ohne Beat-Boxing auszukommen und nur von Gesang und Klavier getragen zu werden.
Öfter und immer wieder überraschten dabei auch die Stilbrüche von sanfter Ballade singend am Klavier, zu sich steigernden Synthesizer-Passagen von hoher Intensität, beinahe Rap und elektrisierenden Breakdowns, welche die Lichtshow unterstützte. Alles aus einem recht unscheinbaren Gesamtpaket, das keiner Unterstützung bedurfte.
Für den zweiten und den letzten Track forderte Kid be Kid dann aber doch gesangliche Unterstützung ein und zwar seitens des Publikums, die es für sie nicht gebraucht hätte, den Zuseher:innen aber eine größere Nähe zur Musik ermöglichte. Es wurden einfache Aufgaben zugeteilt, beim ersten Mal ein „Uuuh…“ in zwei abwechselnden Tonhöhen, beim zweiten Mal je eine hohe Stimme für die (von der Bühne aus) linke Publikumshälfte und eine tiefe, mir mehr entsprechende, für die rechte, in welcher ich das Glück hatte zu sitzen. Ein langgezogenes „Haaaaah…“, welches in die Höhe ging dort und ein rhythmisches „Haaa - hu hu hu“, das hier eher gleichblieb. Sie erhob dabei sicherlich keinen Anspruch auf Perfektion und zeigte sich über die Teilnahme des Publikums an ihrer Musik sichtlich erfreut. In diesem Mitsing-Part animierte Kid be Kid nicht nur, sondern zeigte auch, dass sie auf simplen Grundstrukturen aufbaute, bei einfachen und ehrlichen Songs ihre Fleißaufgaben verrichtete. Einen einzelnen Sample gestattete sie sich, die erste Beteiligung des Publikums kehrte wieder, als sie im nächsten Lied davon sang, dass Grenzen nicht existieren, was in einem Crescendo aus nur einem Wort gipfelte: Closer - näher, auch wenn der Abstand zwischen den Plastikstühlen gleich blieb.
Gerade die erwähnte Ehrlichkeit war einer jener Werte, welche die Berlinerin von der Bühne aus, in („Naked Days“), aber auch um Songs vermitteln wollte. Das „Menschelen“ auf der Bühne endete damit nicht, in der Überleitung zu „Make a Move“ brach sie den Konzertfluss, um sich einen Moment für ein ihr wichtiges Thema zu nehmen: Sie reflektierte über ihr eigenes Privileg und die Verbindungen der Ursprünge des Jazz zur Kolonialgeschichte Europas. Ein Plädoyer gegen Parteien, welche Wohlstand und Komfort über Menschenleben stellen und direkt oder indirekt zu einem Sterben an den europäischen Außengrenzen beisteuern, hatte sie sich von der Brust reden müssen. Im Refrain kam dann nach „People gotta move“, die direkte Aufforderung an alle, die sich angesprochen fühlen wollten: „Find a better, be the better, make a better move.“ Ein bisschen erinnerte das an das Falschzitat, welches Gandhi häufig zugeschrieben wird und sinngemäß lautet: „Sei selbst der Wandel, den du in der Welt sehen willst.“ Durch die Sängerin hatte es aber nichts Kitschiges, war ehrlich, aufrichtig und, wie die Musik der Sängerin, im Grunde genommen einfach und nur in der Umsetzung schwierig.
Bitte anmelden um zu kommentieren
Die zeitgenössische Musik
Die zeitgenössische Musik erlebt gerade eine tiefgehende Krise des Inhalts und nichts deutet darauf hin, daß sich daran etwas ändern würde.
Ich spreche nicht vom Können oder Virtuosität, sondern vom Erzählen einer Geschichte, vom Vehikel des Klanges einer musikalischen Wendung, die uns berührt und mitnimmt zur Kunst des "Musik machens".
Es gibt immer mehr Leute, die auf die Bühne drängen und immer weniger Musiker, denen es wirklich um die Musik geht....Und anscheinend gibt es auch kaum noch Kritiker, die der Bedeutung ihrer Berufsbezeichnung gerecht würden. Hauptsache ist die Show, Bescheidenheit gilt als Schwäche. - Alles dreht sich um Selbstdarstellung, Rehabilitierung des Eigenlobs und finale Selbsternennung zum Künstler. Der Musikant ist zum Performer geworden (Moralunterricht inklusive) und das Konzertprogramm zum Wellness-Angebot. - Das permanente Werbeobjekt hat sich endgültig zum Superstar gemausert.
Antwort auf Die zeitgenössische Musik von Gregor Marini
Punktgenau.
Punktgenau.