Gesellschaft | Reportage

Eine lila Renaissance

Für lange Zeit war sie in Vergessenheit geraten, seit einigen Jahren erlebt sie jedoch wieder Konjunktur. Die Altreier Lupine ist längst mehr als nur Kaffeeersatz.
Silvester Lochmann
Foto: Seehauserfoto
  • Ein warmer Donnerstagmorgen, der Himmel ist wolkenlos. Nach der Abzweigung bei San Lugano und zahlreiche Kurven durch schöne Lärchenwälder später ist das Ziel erreicht. Die Gemeinde Altrei ist ein etwas abgelegener Ort, wer sich hierhin verirrt wird mit Idylle und einem gewissen Gefühl von stehengebliebener Zeit belohnt. Das allein zeichnet das Dorf aber nicht aus. Bekannt wurde Altrei durch eine besondere Pflanze mit tief lilafarbenen bis blauen Blüten - die Altreier Lupine. Der Kaffee, wie die „Voltruier“ ihre Kulturpflanze nennen, wurde hier ursprünglich als Ersatz für „richtigen“ Kaffee angebaut. Als dieser jedoch Europas Märkte flutete und zu erschwinglichen Preisen für jedermann erhältlich wurde, geriet die Lupine in Vergessenheit und der Anbau ging verloren - fast. Einige ältere Bäuerinnen aus dem Dorf pflanzten die Lupine weiterhin in kleinen Mengen an, um ein komplettes Aussterben zu vermeiden. 
    Die Wiederentdeckung kam aber nicht durch diese Bäuerinnen oder die Dorfbevölkerung. Wie sich später an diesem Tag herausstellen sollte, handelte es sich eher um einen Zufall rund um eine österreichische Studentin.

  • Die Altreier Lupine: Traditionspflanze seit über 150 Jahren. Foto: Seehauserfoto
  • SALTO ist an diesem Donnerstag zu Gast bei Silvester Lochmann. Der 31-jährige Bauer besitzt eines der größten Lupinenfelder im Dorf, auf seinem malerischen Hof oberhalb von Altrei baut er den Kaffee seit knapp sechs Jahren auf etwa 600 Quadratmetern an. Silvester führt vom Hof einige Meter weiter zum Feld. Die sattgrünen Pflanzen mit ihren stark-violetten Blüten legen sich wie ein Teppich über den Acker. „Dieses Jahr musste ich den Kaffee zum ersten Mal mit Stöcken und Seilen stützen. Ein starker Wind hat alles umgeworfen“, erklärt Silvester. Eine zusätzliche Arbeit zum ohnehin schon beschäftigten Alltag eines Lupinenbauers. Trotzdem rechnet er Ende der Saison mit etwa 200 Kilogramm an Bohnen.

  • Pflanze und Anbau

    Silvester Lochmann: Er ist der Jüngste, im 2005 gegründeten Lupinenverein von Altrei. Foto: Seehauserfoto

    Die Pflanzen blühen fast den ganzen Sommer über, aus diesem Grund müssen Silvester und die anderen Kaffeebauern alle zwei Tage durch das Feld stapfen und die reifen Schoten, die meist zwei bis fünf Bohnen enthalten, pflücken, ansonsten platzen sie auf und die Bohnen landen auf dem Boden. Die erste der drei Ernten findet meist Mitte August statt. Wenn es gut läuft, kann der Bauer drei Blüten ernten, wobei die erste Blüte die schönste und kräftigste ist und somit auch die besten Bohnen produziert. Die Altreier Lupine wird bis zu 120 Zentimeter hoch, die Bohnen sind reich an gesunden Bitterstoffen - Koffein enthalten sie nicht. Die Pflanze ist ein sogenannter Stickstoffbinder, bedeutet sie reichert den Boden mit in der Luft enthaltenem Stickstoff an, dieser fungiert als natürlicher Dünger. Durch diesen Prozess wird der Boden besonders nahrhaft für Pflanzen, weshalb Silvester seinen Lupinenacker jedes Jahr an einer anderen Stelle anlegt. Dort wo sie im Vorjahr angepflanzt wurden, sät und erntet er Starkzäher wie Kartoffeln. Erst nach zwei Jahren werden an derselben Stelle wieder Lupinen gepflanzt. In Altrei herrschen vor allem trockene Sandböden, ideal für die Lupine mit ihren tiefen Wurzeln. Beim Anbau kommt hier keinerlei Chemie zum Einsatz, Unkraut wird durch Jäten und Nylonplanen auf dem Boden bekämpft.

  • Die Ungerösteten Bohnen: Silvester trocknet sie auf einer selbst gebauten Konstruktion. Foto: Seehauserfoto
  • Mehr als nur Kaffeepulver

    Nach der Besichtigung des Feldes geht es ins Vereinslokal der Lupinenbauern. Seit 2005 gibt es im Dorf den Lupinenverein. Dieser röstet und mahlt die Bohnen, damit sie anschließend verkauft oder zu anderen Produkten weiterverarbeitet werden können. Kaum öffnet sich die Tür, strömt ein wohliger Duft von Röstaromen, Kaffee und dunkler Schokolade heraus. Der Raum ist klein und übersichtlich, neben der Röstmaschine und der Mühle steht dort ein großer Schrank. Silvester holt drei Gläser gemahlenes Lupinenkaffeepulver heraus. „Voltruier Lupine“ ist darauf zu lesen.

  • „Voltruier Lupine“: So sehen die fertigen Gläser des Kaffees aus. Foto: Seehauserfoto
  • Der Vorgang der Produktion ist simpel und doch von hohem Arbeitsaufwand geprägt. Zunächst müssen die Bohnen geerntet werden, wie erwähnt durchkämmen die Bauern ihr Feld alle zwei Tage, die Ernte erfolgt von Hand, weshalb Silvester sich mit einem Apfelkorb behilft, in dem er die gepflückten Lupinenschoten sammelt. Nach der Ernte müssen die Bohnen getrocknet werden. Hierfür hat jeder Bauer seine eigene Methode, generell zeichnet sich die Kaffeeproduktion in Altrei durch experimentierfreudige Erzeuger und individuelle Vorgangsweisen aus. Da diese Art der Lupine nur in Altrei angebaut wird, gibt es kein eigenes Werkzeug oder Technologie zur Verarbeitung, die Bauern behelfen sich selbst - mit Einfallsreichtum und Handarbeit. 
    Für den Trocknungsprozess schüttet Silvester die Ernte auf ein selbstgebautes Gitternetzkonstrukt und lässt sie in der Sonne trocknen. Nach der Trocknung müssen die Bohnen aus ihrer Schale befreit werden, meist in Handarbeit. Auch hier weiß sich der junge Bauer zu helfen. Um nicht jede Bohne einzeln schälen zu müssen, benutzt er eine Dreschmaschine, die die Hüllen entfernt. Nach diesem Prozess werden die verarbeitungsbereiten Bohnen ins Vereinslokal gebracht, wo sie zu Pulver gemahlen werden, jedoch nicht nur. Durch den charakteristischen Geschmack dient das Pulver hervorragend, um andere Lebensmittel zu verfeinern. So wird im Fleimstal beispielsweise Bier oder im Sarntal Schokolade daraus gemacht. Silvesters Schwester, die in Aldein lebt, macht mit Lupinenpulver ein Kaffeeeis. Letztlich wird auch Schnaps aus der Lupine gebrannt. Vertrieben werden die Produkte anschließend von der COOP. Seit 2023 ist die Altreier Lupine Teil von Slow Food. „Das bringt uns vor allem Bekanntheit und hebt das Produkt als ein Besonderes hervor. Der Kaffee ist eine Rarität, es gibt ihn nur hier, das spricht eigentlich schon für sich“, erklärt Silvester.

  • Der Hof am Orth: Hier fand man einige der letzten Lupinensamen. Foto: Seehauserfoto
  • Der Ursprung der Wiedergeburt

    Mitten im Dorf unweit vom Rathaus thront das Hofensemble des „Hofs am Orth“. Hier bewahrte die Bäuerin als eine der letzten noch die Samen der Lupine auf. Aktuell befindet sich am Hof eine Baustelle, vor der Tür sitzen zwei Männer in der Mittagssonne. Einer der beiden stellt sich als der Neffe der Bäuerin heraus. Von seinem Vater erfährt SALTO, wie der Voltruier Kaffee wiederentdeckt wurde. Als die österreichische Agrarwissenschaftlerin Andrea Heistinger 2002 ihre Diplomarbeit fürs Studium schrieb, recherchierte sie über alte Kulturpflanzen. Durch eine Studiumskollegin kam sie nach Südtirol und Altrei. Dort wurde sie beim Hof am Orth fündig. Die dort lebende Bäuerin hatte noch einige Samen der Lupine. Aus diesen Samen entstand dann die neue Blütezeit der Voltruier Lupine. Wie der Bruder der Bäuerin erklärt, sei das Wiederaufleben anfangs auf viel Begeisterung gestoßen. Mittlerweile gibt es noch etwa fünf Produzenten, die die Lupine zum Verkauf und für die Verarbeitung anbauen.
    Die Altreier Lupine stellt für die Einheimischen im Dorf etwas Besonderes dar, schließlich handelt es sich um eine Spezialität, die nur hier angebaut wird. Die über 150-jährige Geschichte der Pflanze ist der Stolz der Voltruier, denn sie macht das Dorf zu einem einzigartigen Ort. Die Lupine erzählt ihre eigene, faszinierende Geschichte von einem einst vergessenen Gut hin zu einer weltweiten Besonderheit.