Kultur | Rezension

Paul Thomas Anderson auf neuen Pfaden

Paul Thomas Anderson verfilmt in seinem bislang zehnten Film lose einen Roman von Thomas Pynchon. Herausgekommen ist ein knapp dreistündiger Drahtseilakt.
Zwei Männer stehen sich gegenüber
Foto: Warner Bros
  • Paul Thomas Anderson lebte in seinen bisherigen Filmen zumeist in der Vergangenheit. Nur wenige seiner Werke zeigten die Gegenwart oder erzählten von ihr. Oftmals waren es die 70er Jahre, die ihn in Filmen wie Boogie Nights, Licorice Pizza oder Inherent Vice beschäftigten, oder die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts in Werken wie There Will Be Blood oder Der Seidene Faden. Für One Battle After Another, seinem neuen Film, begibt sich Anderson tief in die US-amerikanische Gegenwart bzw. die jüngere Vergangenheit. Die Handlung setzt in einem nicht näher benannten Jahr, vermutlich irgendwann Mitte der 00er Jahre ein. Pat Calhoun ist ein weißer Widerstandskämpfer, seine Geliebte, die Afroamerikanerin Perifida Berferly, stets an seiner Seite, mehr noch, ihm einige Schritte voraus. Die Gruppierung, deren Teil sie sind, nennt sich „French 75“. Sie geht gegen die faschistische Regierung und ihre Unterdrückungsmethoden vor, befreit etwa Flüchtlinge oder zeichnet sich für Überfälle und Anschläge verantwortlich. Bei einer Aktion trifft Perfidia auf den Offizier Steven Lockjaw, der überzeugter Rassist, White Supremacist und Macho ist. Trotz seiner Abneigung gegen die Ethnie von Perfidia kann er sich ihrer Faszination nicht entziehen. Es kommt zum Geschlechtsverkehr, und im Folgenden wird Perfidia schwanger. Die Frage, ob das Kind nun von Lockjaw oder vom gutgläubigen, immerzu kiffenden Pat stammt, schwebt bedrohlich besonders über dem Offizier, der fürchtet, seiner eigenen, weißen Rasse damit Schande zu bereiten.
     

    ...hier wird klar, dass One Battle After Another eine riskante Mischung aus Gesellschaftskritik, Satire und actionreichem Thriller ist. 

  • Foto: Warner Bros
  • Etwa eine Stunde lang nimmt sich Paul Thomas Anderson Zeit, um alle Figuren in diesem überlagen Prolog in Position zu bringen. Dabei charakterisiert er die drei Protagonist*innen, Pat, Perfidia und Lockjaw mit wenigen, doch präzisen Strichen. Schon hier wird klar, dass One Battle After Another eine riskante Mischung aus Gesellschaftskritik, Satire und actionreichem Thriller ist. Besonders der komödiantische Aspekt des Film tritt in der zweiten Hälfte noch stärker hervor, wenn nämlich sechzehn Jahre vergehen und Perfidias Kind Willa zur Jugendlichen herangewachsen ist. Die Mutter selbst ist längst spurlos verschwunden, ob sie tot oder einfach untergetaucht ist, weiß auch Pat nicht. Er hat Willa großgezogen, als plötzlich Lockjaw wieder auftaucht. Was folgt, ist eine Hetzjagd quer durch amerikanische Landstriche. Wieder deutlich temporeicher als in seinen letzten Werken inszeniert Anderson eine Lawine an skurrilen, unfassbaren, manchmal schockierenden Szenen. Die Geschichte bleibt bis zum Schluss unvorhersehbar, weiß zu überraschen und in den Kinositz zu drücken. Gleichzeitig fehlt es nicht an ruhigen Momenten, in denen den Figuren die Konsequenzen ihres Handelns bewusstwerden. Die vergleichsweise simple Geschichte erlaubt es Anderson, seiner Lust nach verspielter Inszenierung freien Raum zu geben. So kreativ mit der Kamera und ihren Bewegungen ging der Regisseur schon lange nicht mehr um, vielleicht zuletzt bei Magnolia. Einige Sequenzen in One Battle After Another dürften sich als Dauerbrenner etablieren, besonders eine Verfolgungsjagd gegen Ende des Films, deren einfache, inszenatorische Idee einerseits für Spannung, andererseits für eine cineastische Achterbahnfahrt sorgt – im wahrsten Sinne des Wortes.

  • Foto: Warner Bros
  • Untermalt wird das Spektakel von mal nervös klimpernden Klaviertönen, mal von dramatischen, schrillen Streichern – komponiert vom Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood, mit dem Anderson zum wiederholten Mal zusammenarbeitet. Die beeindruckenden Bilder von Kameramann Michael Bauman fangen sowohl breite Landschaften wie auch die Gesichter der Hauptdarsteller*innen gut ein. Leonardo DiCaprio gibt als Pat eine seiner besten Darstellungen ab und torkelt, ein wenig an den Dude aus The Big Lebowski erinnernd, durch die Geschichte. Das Trio aus Chase Inifiniti (Willa), Regina Hall (Deandra) und Teyana Taylor kontert ihn mit Bravour. In einer bizarren Nebenrolle ist Benicio del Toro zu sehen, einen klaren Höhepunkt markieren aber die Szenen mit Sean Penn als Offizier Lockjaw. Teils comichaft, teils erschreckend böse stakst er mit eigenwilligem Gang von A nach B, er ekelt, er fasziniert, er empfiehlt sich als erinnerungswürdiger Gegenspieler. 

    One Battle After Another ist ein sehr andersartiger Film von Paul Thomas Anderson. Er ist überraschend offen, was seine Kritik an der USA der Gegenwart angeht, dabei aber nie zu plump. Auch die Präsenz von Action ist ungewöhnlich, doch Anderson zeigt, dass er auch diese Disziplin des Kinos beherrscht. So ist der Film sicherlich einer der Höhepunkt des diesjährigen Kinojahres, packend, dringlich, und dabei so leichtfüßig.