Kultur | SALTO Afternoon

Sinnstiftende Symbiose

Das Kunst am Bau-Gesetz wird in Südtirol nur sehr dürftig angewandt. Dabei wäre es als Mehrwert für alle zu erachten. Ein Gespräch mit einem, der es wissen muss.
Alexander Zöggeler
Foto: Privat

salto.bz: Herr Zoeggeler, Sie sind Architekt und Präsident des Südtiroler Künstlerbundes. Zum Thema Kunst am Bau gibt es viele Meinungen. Was ist Ihr Standpunkt? 

Alexander Zoeggeler: Als Künstlerbund haben wir uns eingesetzt und fordern, dass dieses 1949 eingeführte Gesetz wieder angewandt werden muss. Ein Gesetz zur „Verschönerung von Bauten“. Derartige Ideen gab es bereits im 19. Jahrhundert, in der Bauhaus-Epoche wurden sie dem Zeitgeist entsprechend aus ästhetisch rationalen Gründen wieder abgeschafft. Heute ist das anders, ich bin überzeugt, dass es ein gutes Gesetz ist, das zur Förderung und Sichtbarmachung von Kunst und Architektur beiträgt. Leider wird es zu wenig angewandt.

Es wurde einfach ein Wort ausgetauscht, der aus einer Verordnung eine Option macht.  

In Südtirol gab es immer wieder Diskussionen. Der Künstlerbund machte bereits Anfang der 1990er Jahre darauf aufmerksam, dass in dieser Sache etwas unternommen werden sollte. Ihr Vater Oswald Zoeggeler kann sich dazu sicher noch gut erinnern… 

Mein Vater hat in den 1990er Jahren das Landhausgebäude gegenüber des Bahnhofes in Bozen entworfen. In der Ausschreibung war festgeschrieben, dass der Architekt mit einem Künstler das Projekt gemeinsam erarbeiten muss. Mein Vater hat damals mit dem Künstler Guido Muss zusammengearbeitet. Das war eine sinnstiftende Symbiose, die zeigt, dass das Gesetz richtig angewandt gut funktioniert. Das ist wichtig, für die Architekt*innen, die Künstler*innen und die Gesellschaft, denn es werden Synergien gebündelt für eine gelungene Architektur. Früher wurden weitaus mehr Gelder in diese, ins Gesetz geschriebene sogenannte Verschönerung, investiert. Im Lauf der Zeit wurde der Begriff der „Verschönerung“ durch Kunst auf die Raumausstattung ausgeweitet, sodass der ursprünglichen Inhalt des Gesetzes für Kunst am Bau verwässert wurde, da es keine direkte Kooperation zwischen Architekten und Künstlern in der Planungsphase gab, sondern nachträglich Kunst und sogar Pflanzen zur Verschönerung angekauft wurden. Solche Ankäufe von Kunst sind ebenfalls durchaus positiv zu sehen, aber sie sollten mit diesem Gesetz nicht verwechselt werden. 

Beim berühmtberüchtigten nationalen 2%-Gesetz zur Förderung von Kunst am Bau geht Südtirol seit zwei Jahrzehnten einen Sonderweg. Zu Gunsten von wem?

Es wurde auf nationaler Ebene beschlossen, dass die Regionen autonom entscheiden, ob und wie sie die „Legge 2%" anwenden wollen oder nicht. Südtirol hat als Autonome Provinz entschieden, dass man Kunst am Bau nicht mehr gesetzlich machen muss, sondern machen kann. Ein kleiner feiner Unterschied. Es wurde einfach ein Wort ausgetauscht, der aus einer Verordnung eine Option macht.  

Kunst am Bau ist eine Wirtschafts- und Kulturförderung. Für beide Landesressorts eine wunderbare Lösung. Warum ist die Geschichte derart zerfahren?

Die 2% beziehen sich auf die Baukosten. Bei einem Milliardenprojekt, wie dem Brennerbasistunnel, würden 2% eine enorme Summe ergeben, die nicht aufgebracht werden kann. Vielleicht wäre es eine Lösung, die Prozentregelung ab einer gewissen Bausumme nur im Hochbau anzuwenden. Allerdings gibt es auch im Tief- und Straßenbau wunderbare Beispiele: 1962 wurden für den Bau der Autobahn Bologna Florenz die 2% zum Bau der „Chiesa dell’autostrada“ von Giovanni Michelucci verwendet, die bis heute als Juwel der Architektur angesehen ist. Ein weiteres gutes Beispiel bei dem Kunst im Tiefbau gut angewandt wurde, ist die Thermengarage in Meran.

Darauf habe ich leider keinen Einfluss, ich hoffe stark, dass Kunst am Bau wieder pflichtig wird, zum Vorteil aller.

Warum macht die Politik nicht mit?  

Wahrscheinlich aus dem eben genannten Grund. Es gibt kein Bewusstsein auf gesellschaftlicher und politischer Ebene hohe Summen in Kunst zu investieren. In den letzten 10 Jahren wurden nur bei 15 Projekten von insgesamt 64 öffentlichen Bauten das Gesetz angewandt, das entspricht 23%. Das ist sehr wenig. Auf unsere Forderung hin, das Gesetzt wieder zu aktivieren, wurde der Vorschlag von den Grünen im Landtag eingereicht, bei der letzten Sitzung wurde die Angelegenheit vertagt, eine Entscheidung ist also noch offen. 

Was wird nun mit dem vor kurzem eingereichten Antrag geschehen? 

Darauf habe ich leider keinen Einfluss, ich hoffe stark, dass Kunst am Bau wieder pflichtig wird, zum Vorteil aller. Die Integration von Kunst in alle Bereichen ist ein nicht zu unterschätzender Mehrwert nicht nur auf gesellschaftlicher Ebene sondern auch als Wirtschaftsfaktor, man denke z.B. an das Cloud Gate von Anish Kapoor in Chicago, das Millionen von Besuchern anzieht.

Eine traurige Bilanz der Gesetzesänderung.

Der Südtiroler Künstlerbund veranstaltete vor einigen Jahren noch den Kunst am Bau-Preis. Wo ist er geblieben?

Dieser Preis für Kunst am Bau und im öffentlichen Raum wurde in Zusammenarbeit mit der Architekturstiftung Südtirol biennal ausgelobt, in der ich damals sehr aktiv war. Es scheiterte daran, dass die Aufträge für Kunst am Bau immer wendiger wurden und somit auch die Einreichungen zurückgingen. Das ging so weit, dass in der letzten Ausgabe nur noch 3 bis 4 Projekte abgegeben wurden. Eine traurige Bilanz der Gesetzesänderung. Der Preis wurde umgewandelt in den Südtiroler Künstlerbund-Preis.

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maximilian kollmann Sa., 06.03.2021 - 16:20

Wäre die (Bau)-Architektur noch Baukunst wie früher, bräuchte es keine Kunst am Bau. Leider sind aber die zeitgenössischen Bauten – nicht nur in Südtirol – in den allermeisten Fällen einfallslose, lineare Baukörper ohne Details und ohne Tiefsinn. Ausser den «Insidern» in deren Blase bringen sie niemanden zum Staunen, aber der Kaiser ist offensichtlich nackt.
Trotz der unzähligen Bauten die in den letzten Jahrzehnten in Südtirol errichtet wurden, kann man die künstlerisch wertvollen, für die sich eine Reise lohnen würde, wohl an einer Hand abzählen.
Ich habe das Gefühl, dass die zeitgenössischen Architekten keine Kurvenlineale mehr in ihren Schubladen und auch keine Lust – oder Können? – für künstlerische Details haben. Alles ist gerade, flächig, «clean» und ohne überraschende Details. «Reduktion» ist die Maxime, alles «Überflüssige» weglassen. Aber die maximale Reduktion ist das Nichts. Und so schauen dann die Bauten aus: nichtssagend.

Sa., 06.03.2021 - 16:20 Permalink