Im Netzwerk uralter Rituale
Eine römische Sedisvakanz hat das Konklave beendet. Die andere bleibt auf unbestimmte Zeit bestehen - mit unabsehbaren Folgen. Ein Land am Abgrund leistet sich Wochen politischen Stillstands. Regiert wird es von einem Premier, der unmißverständlich seinen Wunsch nach Ablösung geäußert und das Vertrauen der Bevölkerung längst verloren hat. Die Parteien, die ihn vorher unterstützt haben, lassen ihn mitleidslos auflaufen. Jetzt passiert zwei Wochen lang gar nichts. Zumindest nichts öffentlich Wahrnehmbares. Bis am 18. April 1007 Wahlmänner aus Senat, Kammer und Regionen zur Kür des neuen Staatspräsidenten zusammentreten. Das Intrigenspiel hat längst begonnen. Es wird von politischen Uralt-Ritualen bestimmt. Pier Luigi Bersani stellt dem Rivalen Silvio Berluconi die Rute ins Fenster. Die Drohgebärde, dessen Erzfeind Romano Prodi auf den Quirinal zu hieven. Damit soll der Cavaliere überzeugt werden, seinen Widerstand gegen eine Regierung Bersani aufzugeben. Es wäre nicht das erste Mal, daß sich Bersani verrechnet.
Zwar fehlen dem linken Lager mit 495 nur wenige Stimmen zur absoluten Mehrheit. Doch Heckenschützen haben bei der Wahl des Staatsoberhaupts stets eine wichtige Rolle gespielt. Taktische Spiele, ohne die Italiens Politik nie auskommt, könnten bis zu 20 Wahlgänge erforderlich machen und schließlich einen Außenseiter küren. Die bisher vorliegenden Namen entsprechen vollauf dem byzantinischen Regelwerk, an dem sich Italiens Politik seit Jahrzehnten ausrichtet: Massimo D'Alema, Giuliano Amato, Romano Prodi. D'Alema war 1973 beim Ende des Vietnams bereits Fraktionssprecher der KPI im Gemeinderat von Pisa. Amato gehörte bereits vor 30 Jahren der Regierung des später wegen Kourruption verurteilten Ministerpräsidenten Bettino Craxi an. Prodi war in den 70-Jahren Industrieminister unter Andreotti, als in Österreich noch Bundeskanzler Kreisky regierte. Keine Kandidaten, die den Duft des Neuen verströmen. Sie entprechen den anachronistischen "institutionellen Ritualen", nach denen Italiens verkrustete Politik seit Jahrzehnten funktioniert. Und die keiner so gut kennt wie Bersani, der 1989 beim Fall der Berliner Mauer schon im Regionarat Emiliens saß.
Eine Frau als Ausweg?
Was Bersani nicht begreift: Prodis Sieg wäre für den Partito Democratico kein Erfolg, sondern ein Fehlschlag, der den Niedergang der angeschlagenen Partei beschleunigen würde. Nur mit einer radikalen Kurskorrektur könnte der PD-Chef punkten: er müßte eine Frau ins höchste Staatsamt befördern, deren Profil in etwa dem von Laura Boldrini entpricht. Eine engagierte Persönlichkeit mit einer überzeugenden Biografie. Eine, die über die Energie und den Mut verfügt, das institutionelle Korsett des höchsten Staatsamtes zu sprengen und die Zeremonienmeister der Republik so gründlich zu ignorieren wie Franziskus jene des Vatikans. Die Wahl des Staatspräsidenten war in Italien schon immer ein Spießrutenlauf. Eine Möglichkeit zur Begleichung offener Rechnungen. Im Partito Democratico gärt es. Bersanis parteiinterner Rivale Matteo Renzi bringt sich in Stellung. Bersanis geheimnisumwittertes Treffen mit Berlusconi könnte neue Perspektiven eröffnen. Als wichtigste Regel gilt: niemand darf seine Karten zu früh aufdecken. Wer zu früh ins Rennen geht, wird verheizt. Das könnte auf Emma Bonino zutreffen, die 14 Jahre nach ihrer ersten Kandidatur einen neuen Anlauf nimmt. Auch sie ist bereits 1975 in die Politik eingestiegen. In den kommenden Wochen wird die Gerüchteküche täglich mit neuen Bewerbern gespeist. Ist der Staatspräsident gewählt, wird Napolitano voraussichtlich zurücktreten. Und sein Nachfolger einen Auftrag zur Regierungsbildung vergeben. Die Wallfahrt der Parteien auf den Quirinal setzt wieder ein. Die Spekulationen der Medien beginnen von vorne. Governo di scopo? Governo del presidente? Governo istituzionale ? Rituale einer erstarrten Politik in einem tief gespaltenen Land, Das wie immer vergeblich auf die Lösung seiner Probleme hofft.