Italienische Rechte: regierungsfähig nein, präsent ja
Das waren noch Zeiten: Berlusconi, Meloni, Salvini
Ernesto Galli della Loggia, der Mann mit dem prachtvollen Namen, ist ein italienischer Historiker, der sich gern zur Zeitgeschichte äußert. 2009 schrieb er für die Winter-Nummer von Lettre International einen Essay über Berlusconi, als der noch fest im Sattel saß (Titel: „Vakuum und Phänomen“). Man könne zu Berlusconi stehen, wie man will, schrieb er damals sinngemäß, aber ein Verdienst müsse man ihm lassen: Seine „objektiv positive Rolle“ sei es, aus Bruchstücken der Democrazia Cristiana, aus der Lega Nord und dem Movimento Sociale Italiano einen Rechtsblock geschmiedet zu haben, der mit der Linken konkurrieren könne. Damit sei er zum „Begründer des italienischen Zweiparteiensystems“ geworden, das dem Land endlich die „Möglichkeit des Machtwechsels“ eröffnete (den vorher der Ausschluss der KPI aus jeder Regierung verhinderte). Der Weltgeist (an den Della Loggia wohl ein bisschen glaubt) hatte sich also Berlusconi auserkoren, um Italien in eine funktionierende Demokratie zu verwandeln. Dass er sich dazu ausgerechnet der Person Berlusconis bediente, war die Prise Peperoncino in der Suppe.
Rechte Grabenkämpfe
Die heutige italienische Rechte passt nicht mehr in dieses Bild. Dazu genügt ein Blick auf die Kandidatenkür für die bevorstehende römische Gemeinderatswahl, bei der es auch um den künftigen Bürgermeister geht. Es scheint, dass sich hier die Rechte den Luxus erlauben will, zwei Kandidaten in die Schlacht zu schicken, die sich vor allem gegenseitig die Stimmen wegnehmen werden. Was schon deshalb hanebüchen ist, weil es die 5-Sterne-Bewegung ist, die wohl besten Wahlchancen hat. Nicht weil ihre Kandidatin (es ist eine „sie“) besonders profiliert wäre – das Gegenteil ist der Fall – , sondern weil in Rom sowohl die Rechte als auch die Linke ihr jeweiliges Renommee so in Grund und Boden gewirtschaftet haben, dass die 5-Sterne-Bewegung auch den berühmten Besenstiel aufstellen könnte, um im Rennen zu sein. Jetzt vergnügen sich die beiden rechten Kandidaten damit, sich gegenseitig zu beharken. Während Berlusconi öffentlich erklärt, die Kandidatin, die von Salvini (Lega) und den „Fratelli d’Italia“ (ehemalige Neofaschisten) unterstützt wird, sei ja nicht einmal in der Lage, einen Kiosk zu betreiben, geschweige denn eine Stadt wie Rom, beweist der von ihm selbst präferierte Kandidat seine Kompetenz dadurch, dass er der gleichen Kandidatin, die gerade schwanger ist, herablassend rät, doch lieber zu Hause „die Mamma zu machen“. Was wiederum Italien das erstaunliche Schauspiel bescherte, dass Salvini, der Schwulen- und Flüchtlingshasser, plötzlich zum Feministen mutierte.
Ezio Mauro schrieb dazu am 15. März 2016 in der „Repubblica“ einen Kommentar, der sich wie eine um 6 Jahre verzögerte Antwort auf Della Loggia liest: Das Projekt Berlusconi scheint definitiv gescheitert zu sein. In dessen Zentrum stand eine Partei, die keine Partei mehr sein wollte, und der er – scheinbar genial – als Namen den Schlachtruf verpasste, mit dem die Tifosi ihre Nationalmannschaft anfeuern. Immerhin schaffte es Berlusconi, damit zum Zentrum einer Koalition zu werden, welche die Rechte dreimal an die Macht brachte (auch wenn es für Italien keine guten Jahre waren).
Der Geburtsfehler von „Forza Italia“
Aber dieses Konstrukt hatte den Geburtsfehler, auf das Charisma und die alleinige Entscheidungsgewalt einer Führungsfigur ausgerichtet zu sein, die nicht unsterblich ist. Berlusconi hatte genug Intuition, um es aus dem Boden zu stampfen, aber nicht die Kraft, ihm Nachhaltigkeit zu verleihen. Dazu hätte er auch die „Kultur“ und die Institutionen erschaffen müssen, die für eine geregelte Machtübergabe von einer Generation an die nächste nötig sind. Die Partei-Hymne wurde zwar mit Inbrunst gesungen, aber ihre Kernbotschaft war nur Lob und Preis von „Silvio“. Damit lieferte die Hymne ungewollt, wie jede moderne Verpackung, mit dem Frischesiegel auch ihr Verfallsdatum. Wenn jetzt Berlusconi zur gealterten Witzfigur wird, fällt auch seine Partei zur leeren Hülle zusammen. Seine rechten Konkurrenten Meloni und Salvini machen sich nicht einmal mehr der Mühe, sie übernehmen zu wollen. Stattdessen demontieren sie Berlusconi fröhlich „von außen“.
Obwohl Ezio Mauro kein Rechter ist, ist er weitsichtig genug, sich über diesen Abstieg nicht zu freuen. Ich denke, zu Recht, denn die Gruppierungen, die sich jetzt anschicken, das Erbe Berlusconis anzutreten, sind mehr denn je davon entfernt, noch ein gemeinsames Projekt zu haben, für dessen Umsetzung sie die Regierung anstreben könnten. Ihr politisches Handeln bestimmen die Ressentiments und Reflexe, welche die Verteidiger einer Wagenburg entwickeln, die von allen Seiten her angegriffen wird: von der EU, von den „herrschenden Kreisen“ und feindlichen Institutionen im eigenen Land, von Fremden, Islamisten und „Zigeunern“. Ihre Wunschträume beleben vor allem Schaufelbagger („ruspe“), die Roma-Camps plattwalzen.
Kein Grund zur Freude
Einen Grund zur Freude bietet diese Rechte auch deshalb nicht, weil ihr politischer Zerfall nicht ihr politisches Verschwinden bedeutet. Der Schwäche bei der Konstruktion eines gemeinsamen Projekts entspricht Stärke bei gemeinsamer Destruktion. Leider schuf die Regierung Renzi zu viele Gelegenheiten, bei denen die Rechte diese ihr bleibende Stärke ausspielen kann. Die nächste ist das Referendum über die Senatsreform, die im Herbst stattfinden soll. Vordergründig lautet die Frage, ob eine Mehrheit diese Reform billigt – wenn es nur darum ginge, sagen die Umfragen, bräuchte sich Renzi wenig Sorgen zu machen. Aber vom Ausgang dieses Referendums macht er auch sein persönliches politisches Schicksal abhängig. Es ist also auch ein Referendum über ihn. Das wird alle diejenigen mobilisieren, die sich trotz sonstiger Unterschiede in einem Punkt einig sind: Renzi muss weg.
Die zweite Gelegenheit ist die nächste nationale Wahl. Denn für sie setzte Renzi „um der Regierbarkeit willen“ ein Wahlgesetz durch, dass eine Stichwahl zwischen den beiden Listen mit den relativ meisten Stimmen vorsieht, wenn (was wahrscheinlich ist) keine Liste auf Anhieb 40 % der Stimmen erhält. Der Sieger dieser Stichwahl bekommt dann im Parlament die absolute Mehrheit. Hier wird nun alles möglich. Wenn, was gegenwärtig wahrscheinlich ist, die Renzi-Liste und die Liste der 5-Sterne-Bewegung in die Stichwahl kämen, könnte fast das gesamte rechte Lager für die zweite Liste stimmen, um wenigstens den verhassten Renzi zu verhindern. Auch wenn die Mehrheit, die sich hier zusammenfinden würde, unfähig wäre, sich positiv auf irgendetwas zu einigen. Es wäre das Chaos.
Wer Ezio Mauro kennt, weiß, dass sein Kommentar keine Eloge auf Renzi ist, auch keine indirekte. Ganz im Gegenteil würde er diesem wohl vorwerfen, mit seinem Kampf gegen die eigene Parteilinke den Fehler Berlusconis zu wiederholen, nämlich die PD in eine Partei („der Nation“) zu verwandeln, die allzu sehr auf ihn als Zentralgestirn ausgerichtet ist. Aber das ist hier nicht das Thema. Um seinen Kommentar nicht in allzu tiefer Düsternis enden zu lassen, beendet er ihn – scheinbar scherzhaft – mit einer Anspielung auf das alte Rom: „Die Barbaren kommen, aber auf dem Kapitol gibt es keine Gänse mehr“. Wir können uns damit trösten, dass er mit den „Barbaren“ nicht uns Deutsche meint. Aber er erspart uns auch die Frage, welche Gänse das Kapitol schützen könnten. Denn es gibt keine mehr.