Virtuelle Koalitionsverhandlung

Bürgernähe und Transparenz sind Werte, die sich viele Politiker in der heutigen Zeit groß auf die Fahnen geschrieben haben. Das Vertrauen, das die Bevölkerung in die Politik verloren zu haben scheint, will man um jeden Preis zurück gewinnen. Dafür greift die neue Polit-Generation beziehungsweise wer sich dafür hält, auch zu neuen Mitteln. Paul Rösch war einer der ersten, der im Wahlkampf auf die sozialen Medien setzte. Und es immer noch tut. Seit einigen Tagen können die Gespräche, die der neue Meraner Bürgermeister mit den Fraktionsvertretern der anderen Parteien führt, auf Facebook nachgelesen werden. In beiden Sprachen, deutsch und italienisch, berichtet Rösch vom Verlauf der Sondierungsgespräche. Dabei liefert Rösch den Lesern neben dem inhaltlichen Teil auch persönliche Eindrücke.
Politisches Tagebuch
So erfährt man, dass beim Treffen mit Bürgerunion und Freiheitlichen “als Menschen miteinander gesprochen” wurde, die Begegnung mit Alleanza per Merano “geradlinig” verlief und etwa bei der Zusammenkunft mit der Süd-Tiroler Freiheit das Bürgermeisterbüro von Reinhild Campidells kleinen Kindern “sozusagen eingeweiht” wurde. Bei der Lega Nord hingegen war “es etwas schwieriger, eine Gesprächsbasis zu finden”, während man sich mit den Ökosozialen “sehr schön über viele spannende Ideen unterhalten” hat.
Mit der Bürgerliste La Civica, die sich nach der verlorenen Stichwahl von Gerhard Gruber als eine der ersten Parteien auf die Seite von Paul Rösch geschlagen hat, wurde “nach Gemeinsamkeiten gesucht”. Denn: “Es geht nicht darum, zu sagen: ‘Ach, wir lieben uns alle’, sondern um die Frage: ‘Wo können wir uns treffen?’.” So Röschs Nacherzählung. Auch das Treffen mit den SVP-Vertretern lässt der Bürgermeister nicht unkommentiert: “Ich wünsche mir, dass wir als Menschen miteinander sprechen und gemeinsam Lösungen entwickeln. Die Betonung liegt dabei auf dem Wort ‘gemeinsam’. Ich glaube, dass mir die Bevölkerung den Auftrag erteilt hat, mich als Moderator für diese Kultur des Miteinander einzusetzen.” Von einem anfänglich “etwas kühlem und angespanntem Klima” berichtet Rösch. Im Verlauf des Gesprächs sei dieses jedoch “immer lockerer und am Ende wirklich angenehm” geworden.
Vom Wort zur Tat
Nun geht es jedoch ans Eingemachte. Am Mittwoch haben die ersten ernsthaften Koalitionsverhandlungen begonnen. Den Anfang machte die Ökosozialen Linken mit David Augscheller als Vertreter. “Wir sind bereit, Rösch zu unterstützen”, so Augscheller nach dem Treffen, “falls er eine wirkliche Wende bringt”. Ausdrücklich haben sich die Ökosozialen gegen eine Regierungsbeteiligung der Bürgerliste Alleanza per Merano ausgesprochen, deren Art, Politik zu machen, auf der “ethnischen Spaltung” basiere. Alleanza per Merano ist am Donnerstag Nachmittag der nächste Gesprächspartner von Paul Rösch. Am Freitag folgt La Civica per Merano, am Samstag der PD und am Montag schließlich die SVP. Dann hat der Bürgermeister eine Woche Zeit, seine Regierungsmannschaft zusammenzustellen. Denn diese soll, so Röschs Wunsch am 15. Juni stehen. Mittlerweile hat der Polit-Neuling und Neo-Bügermeister sein Regierungsprogramm online gestellt.
Luigi Spagnollis “Diario di bordo”
In Bozen geht das Hin und Her indes weiter. Die Grünen stehen einem Bündnis mit Luigi Spagnolli weiterhin skeptisch entgegen. Doch die Ökosoziale Fraktion beharrt darauf: “Uns gibt es nur im Gesamtpaket”, dementieren sie Gerüchte, nach denen Sel und die Linke von Luigi Gallo ohne die Grünen ein Bündnis mit Spagnolli eingehen könnten. Am Mittwoch traf der Bürgermeister neben den Ökosozialen auch die Bürgerlisten von Angelo Gennaccaro und Dado Duzzi sowie Giovanni Benussi, Lega Nord und Fratelli d’Italia.
Und Spagnolli scheint sich ein Vorbild an Paul Rösch genommen zu haben. Denn am Abend nach den Treffen stellt er sein Resümee der Treffen online – auf Facebook. “La strada è ancora lunga”, so Spagnollis Fazit. Bis auf den Movimento 5Stelle fand er für jeden seiner Gesprächtspartner ein freundliches Wort. Das Treffen zwischen 5Stelle und dem Bürgermeister kam nicht zustande. Die Vertreter der 5Stelle hatten eine öffentliche Zusammenkunft verlangt. Eine solche wurde aber ausgeschlagen. Rudi Rieders trockener Kommentar: “Es lebe die Transparenz!”