Kunst lernen
Es ist das erste Mal, dass sich das Kunstgymnasium Bozen mit einer Ausstellung an die Öffentlichkeit wagt; bisher hat man die Werke der Schüler lediglich in der Schule selbst gezeigt. Entsprechend groß ist die Aufregung in der Stadtgalerie am Bozner Dominikanerplatz. Nicht nur die beiden Maturaklassen sind in der Ausstellung vertreten, sondern ein guter Querschnitt von der ersten bis zur letzten Klasse. Porträts in Acryl, Köperstudien in Öl und als Zeichnungen, Modelle in Gips und Holz, Assemblagen aus verschiedensten Materialien und Videoarbeiten - die Werkpalette ist breit gestreut und zeigt auf zwei Stockwerken, wie vielfältig und talentiert die 15 bis 19-jährigen Studenten des Bozner Kunstgymnasiums sind. „Das ist unsere Stärke,“ meint die Professorin für Malerei, Petra Lemayr, „diese Aufgeschlossenheit den verschiedensten Techniken gegenüber wird bei den Studenten nie wieder so deutlich hervortreten wie eben während ihrer Schulzeit, und diese Zeit soll ja auch eine Zeit des Experimentierens sein.“
Die Schüler der Abschlussklassen haben vielfach schon ihren eigenen Stil gefunden. So wie Joachim Lunger, der für sein Maturaprojekt einen Torso aus einem Baumstamm herausarbeitete: „Ich arbeite lieber konkret mit den Händen, vielleicht habe ich das von meinem Vater, der Tischler ist. Plastisches Formen ist ganz klar mein Lieblingsfach und wenn ich zeichne, dann eher geometrisch.“ Ursprünglich sollte es nach der Matura in Richtung Bildhauerei gehen, doch wird es jetzt für Joachim doch wohl eher ein Architekturstudium sein.
Auch Maturantin Eva Baumgartner ist sich ihres Stils sicher. Während der Aktstudien im 4. und 5. Oberschuljahr sei ihr klargeworden, dass dies genau ihr Ding ist. „Ich arbeite gerne mit dem menschlichen Körper und habe hier in der Stadtgalerie einige Studien in Öl und in Gips, dazu auch einige Zeichnungen ausgestellt. Nach der Abschlussprüfung wollte sie eigentlich „etwas mit Kunst machen“; doch wird sie nun in Berlin Wirtschaft studieren, allerdings in Kombination mit Kunst, das verspricht doch eine lohnende Kombination zu sein.
Direktorin Martina Adami kennt das längst. Nur ein Teil ihrer Kunst-Studenten entscheidet sich auch wirklich für einen Berufsweg in diese Richtung. „Viele machen auch etwas völlig anderes, studieren Medizin oder Technik nach dem Kunstgymnasium.“ Doch das sei schlussendlich gewinnbringend, denn „Lebenswege müssen heute nicht mehr eindimensional sein“. Im Gegenteil, gerade Kombinationen wie solche, die sich Eva ausgesucht hat, Wirtschaft und Kunst, versprechen erfolgreiche Berufsmöglichkeiten.
Das Kunstgymnasium Bozen gibt es seit 1991 und es ist neben jenen in Meran, Bruneck, Gröden und dem italienischen Liceo delle scienze umane e artistiche Pascoli die Ausbildungsstätte für kunstinsteressierte Jugendliche in Südtirol. Mittlerweile hat sich auch die legendäre Kunstschule von St. Ulrich Cademia an die Curricula der Gymnasien angeglichen – so soll Ausgewogenheit zwischen Allgemeinbildung und praktischer Arbeit in den Kunstwerkstätten geschaffen werden. Letztere sind allerdings experimenteller Lieblingsspielplatz der Studierenden und gewährleisten die Aneignung sämtlicher Mal-, Zeichen- und Formtechniken, ob in Öl, Acryl, Gips, Zement, Ton oder anderen Materialien.
„Die Werkstätten sind toll“, schwärmen die Schüler, „dort gibt es Freiraum fürs eigene Kreativsein, dort kann man sich ganz den eigenen Interessen widmen.“ 10 bis 12 Stunden beträgt der Werkstättenunterricht in den oberen Klassen, dort wird ausgiebiges Aktstudium betrieben in einem Atelier an der Uni Bozen, einer der Ausweichörtlichkeiten für die Schule, die schon bald – und immer noch – aus allen Nähten platzt. Es gibt Kunstbesprechungen im Museion, wo nicht nur die Ausstellungen sondern auch die Berufsbilder eines Museums für zeitgenössische Kunst unter die Lupe genommen werden. Oder Projekte wie jenes mit einem blinden Künstler, im Schuljahr 2014/2015. „Für ein bis zwei Monate war Andrea Bianco immer wieder an unserer Schule und hat den Schülern das Arbeiten mit den verschiedenen Sinnen vermittelt, im Zeichnen, Malen und Plastischen Arbeiten," berichtet Professorin Lemayr.
Das Bozner Kunstgymnasium bietet zwar „nur“ die eine Fachrichtung an, Darstellende Kunst und Bildnerisches Gestalten, doch seien viele der Studenten äußerst versiert im Umgang mit Kunst und den neuen Medien. Video, Fotografie, Computer sind gängige Techniken, die sich viele der Schüler selbst aneignen, und von den Kunstprofessoren in den Werkstätten nach Kräften unterstützt werden. So wie Christoph Waldboth, der eine der wenigen Videoarbeiten in der Ausstellung platziert hat. Diese sei im Kontext mit der Expo Mailand entstanden und erzählt eine Geschichte übers Essen. „Es ist ein Auftrag vom Schulamt,“ erzählt der junge Mann, „man wollte etwas zur gesunden Jause machen, und so habe ich mit Freunden und mit der Unterstützung von Professor Erwin Lantnschner diesen kleinen Film entwickelt und gedreht.“ Ein Film mit ironischem Augenaufschlag, der das Essverhalten an der Schule thematisiert und über die sogenannte Essenspolizei all jene überführt, die sich von Junk Food ernähren. Christoph hat seinen Kunstausdruck bzw. -instrument gefunden. An der Filmhochschule München ist er bereits aufgenommen, jetzt sucht er ein Praktikum in der Filmbranche.
Das Kunstgymnasium in Bozen erfreut sich nach wie vor großer Nachfrage, obwohl Pädagogen und Berufsberater meist zu einer Studienwahl raten, die solidere Berufsaussichten als jene der „brotlosen Kunst“ in Aussicht stellen. Doch die Kunst scheint gerade in einer Zeit, wo Bilder und visuelle Kommunikation hohen Stellenwert genießen, einen Schlüssel zum Verständnis der Welt zu bieten, zumindest den Blick auf diese Welt zu schärfen. Das Hinterfragen, das Darstellen und das Reproduzieren von Bildern ist eine Kompetenz die viele Jugendliche vertiefen wollen, auch ist der Begriff Kreativität eine Eigenschaft, die in vielen Berufsbildern Anwendung findet. Kunst lässt sich als Studienfach nur bedingt vermitteln, genauso wie die Kunst, das Leben zu begreifen; ein wenig Ahnung davon kann man jedoch sicher weitergeben.