Kultur | Die Rezension

Nachtigall und Feminismus

Chiara Mercuri hat im Rahmen von "Incontri" im Ragenhaus in Bruneck ihr Buch „La nascita del femminismo medievale“ vorgestellt. Ein Gastbeitrag.
Nachtigall
Foto: Wikipedia
  • La notte,quando la luna splendeva
    e il marito era addormentato,
    si alzava dal letto
    e s'infilava il mantello;
    andava alla finestra
    per vedere il suo amico,che lei sapeva
    che faceva la sua stessa vita
    e quindi per la piu' parte della note vegliava.
    Erano deliziati di potersi guardare,
    perche' di piu' non potevano avere.
    (Die Nachtigall v.69-78)

    Das ist ein Gedicht von Maria de Champagne, die unter dem Namen Maria aus Frankreich schrieb. Der weitere Inhalt ist folgender: Eines Nachts fragt der Ehemann, Herr auch ihres Schlafes, seine Frau: Wohin gehst du? Ich will den Gesang der Nachtigall hören. Weil sie aber immer wieder aufsteht, um den Gesang der Nachtigall zu hören und ihren Freund am gegenüber liegenden Fenster zu sehen, dreht ihr Mann vor ihren Augen einer gefangenen Nachtigall den Hals um und sagt: liebe Frau, ich habe die Nachtigall getötet, die euren Schlaf stört.
     

    Und die Liebe, von der Maria sprach, war aus Küssen gemacht, aus Speichel und Schweiß, aber diesmal gemäß den Wünschen der Frauen.
    [Chiara Mercuri]


    Maria de Champagne, geboren in Frankreich 1145, lebt in der Grafschaft ihres Mannes, sie ist die Tochter des französischen Königs Louis VII.

  • Chiara Mercuri: Historikerin, Essayistin und Übersetzerin Foto: fbnfa.discite.it

    Die Römerin Chiara Mercuri, Historikerin, Essayistin, Übersetzerin, hat ein wunderbares, auch leicht zu lesendes Buch über diese Maria geschrieben mit dem erstaunlichen Titel La nascita del femminismo medievale. Mercuri erzählt von dieser Maria aus Frankreich, von deren Anleitungen zur Liebe oder zur Liebe aus weiblicher Sicht im offenen Gegensatz zur Ars amatoria des Publius Corneliu Naso, genannt Ovid. Mercuri schreibt in ihrer Einleitung: Und die Liebe, von der Maria sprach, war aus Küssen gemacht, aus Speichel und Schweiß, aber diesmal gemäß den Wünschen der Frauen. Beeinflusst in ihrer Denkweise zu Ehe, Liebe und Sexualität war Maria aus Frankreich aufgrund des Schicksals ihrer Mutter Eleonora, die sich von ihrem Mann scheiden ließ. Weit reichen die Einflüsse der Mütter, damals wie heute. Längere Passagen widmet Mercuri der Erklärung der Gesellschaft, die aus den Trümmern des Römischen Imperiums hervor gegangen ist, sie sind nötig, um die neuen Gedanken von Maria verstehen zu können. So z.B. fragt sich Mercuri, warum die germanischen Völker, sie sagt mondo germanico und meint Ostgoten, Langobarden,Franken ect., die sich die Überreste des Römischen Imperiums geteilt haben, nicht an die Kraft der Kultur geglaubt haben, erzählt von den Reformplänen Karls des Großen, der selbst nie zu lesen und zu schreiben gelernt hatte. Erzählt, wie das Vulgärlatein, auch Sprechlatein genannt, den Menschen das Feuer der Kultur gebracht hat. Erzählt davon, wie sich die germanischen Völker gefragt haben mögen, wer diese römischen Poeten, diese Schauspieler, diese Tänzerinnen wohl sein dürften und wozu man sie brauche, wenn sie die jungen Männer bloß abhalten vom Waffen tragen und Krieg führen. 
     

    Der erste Zwang, der abgeschafft werden muss, ist die Ehe.

  • Mittelalterliches Geschichtsbuch: Feminismus, Literatur und höfischer Liebe. Maria von Frankreich wollte eine weibliche Weltsicht durchsetzen und scheiterte. Ideen, die tausend Jahre vor der sexuellen Revolution des 20. Jahrhunderts einen neuen Kurs in der Geschichte der Frauen und damit in der Welt hätten einschlagen können - und sollen. Foto: Einaudi

    Und nun zu Maria, wofür setzt sie sich ein, was lässt sie schreiben von ihr ergebenen Männern wie Andrea Capellano? Der erste Zwang, der abgeschafft werden muss, ist die Ehe. Die eheliche Liebe kann für Maria keine perfekte sein, denn die Erwartungen aufgrund gemachter Versprechen lassen die Liebe verkümmern. Die Liebe muss sich frei entscheiden können, jeden Tag. Sie bevorzugt für die Liebenden den Begriff Freunde, es gibt keine Grenzen für diese Freundschaften, weder Alters- noch Geschlechtsgrenzen. Mehrere Jahrhunderte später sagt ein Mann dasselbe: L'amore, certo l'amore, fuoco e fiamme per un anno, cenere per trenta. Gattopardo heißt er. Maria aus Frankreich fordert einiges mehr. Mann/Frau möge das Buch lesen, fordert letztendlich eine Revolution. Wer soll sie wollen sollen?

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Martin Piger Di., 13.08.2024 - 00:17

Mein Gott, welche Verwechslungen, hier wird immer noch Liebe mit potentiell flüchtiger erotischer Anziehung verwechselt. Vielleicht kannten die scheinbar kulturlosen "Germanen" auch diese Form von menschlicher Anziehung, auch wenn sie wussten, dass geordnete Verhältnisse es erleichterten, Nachwuchs grosszuziehen und soziale Gemeinschaften aufzubauen und zu erhalten und sich ebendeshalb dafür entschieden. Ich finde es irgendwie peinlich, dass es immer noch italienische Historiker gibt, die auf ihrer Leier immer noch das Lied von der angeblichen überlegenen lateinischen Kultur singen.

Di., 13.08.2024 - 00:17 Permalink