Martin Scorsese rettet das Kino?
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Es wäre müßig, an dieser Stelle auf die filmhistorische Bedeutung von Martin Scorsese einzugehen. Seine Leistungen für das Weltkino, insbesondere aber das Amerikanische sind unübersehbar, unbestritten sein Rang. Das Alterswerk nimmt sich nicht zurück, seit The Wolf Of Wall Street, Silence und zuletzt The Irishman labt sich Scorsese in ausschweifenden Erzählungen, wenngleich auch seine früheren Arbeiten kaum einmal unter der Grenze von zwei Stunden rangieren. Ähnlich wie in The Irishman, den Scorsese 2019 Dank Netflix produzierte, beschäftigt sich auch Killers Of The Flower Moon mit einer ganz und gar amerikanischen Geschichte.
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Tief verwobener Mythenstoff
Behandelt wird in der stolzen Laufzeit von dreieinhalb Stunden eine Episode US-amerikanischer Kriminalgeschichte, die in Europa wohl nur Leute mit großer Affinität für das Thema kennen werden, doch auch in den USA wenig bekannt ist, geschweige denn, aufgearbeitet. Das Sachbuch, das den selben Namen trägt wie der Film nun, erschien vor wenigen Jahren und erzählt minutiös von den sogenannten Osage-Morden. Die fanden in den 1920er Jahren statt, tief in Oklahoma, im Reservat Osage County, das in erster Linie vom gleichnamigen Osage-Stamm bewohnt wurde, und der, dank den reichen Ölvorkommen unter ihren Ländereien, reich wurde. Die Weißen fungierten in dieser Gesellschaft als Bedienstete, einfache Arbeiter, Farmer, oder Taxifahrer, wie der Protagonist des Films, Ernest Burkhardt, gespielt von Leonardo di Caprio. Der Naivling wird von seinem Onkel William Hale (Robert de Niro) in einen tödlichen Plan verwickelt. Ernest soll eine indigene Frau des Osage County heiraten, im Folgenden werden Hale und er gemeinsam mit anderen Weißen, die ihren Rassismus zunächst geschickt verstecken, die einzelnen Familienmitglieder nacheinander ausschalten, um am Ende an das große Vermögen zu gelangen, natürlich unter Tränen, die armen Toten beweinend.
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Der andere Blick
Es mag für uns Europäer ungewohnt erscheinen, die indigene Bevölkerung Amerikas als mächtige, wohlhabende, den Ton angebende Menschen zu erleben. Sie haben nichts von der romantisierten Wildheit eines Winnetou, nichts von der verzerrten Darstellung der aufgrund eines Irrtums Kolumbus bis heute schlicht als „Indianer“ bezeichnete Bevölkerung. Wohl bewusst wurde die Darstellung reicher Indigener bei uns ausgespart, wurden sie zu Wilden in der Wildnis erklärt. Ihre Macht klein zu halten, und droht sie zu wachsen, werden es die Weißen schon richten. William Hale als Strippenzieher ist ein Liebling der Osage-Community, als Weißer unter den Indigenen hört er auf ihre Sorgen, kümmert sich um ihre Probleme, erschleicht sich so ihr Vertrauen. Ernest an seiner Seite fällt mehr und mehr in einen Zwiespalt, möchte einerseits an das Vermögen seiner Frau, die dafür zwangsläufig auch sterben müsste, andererseits liebt er sie bald aufrichtig.
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Die alten Meister
Scorsese geizt nicht, in keiner Disziplin in diesem Film. Alles bewegt sich auf höchstem Niveau, vor allem die Schauspielerriege, die neben den beiden bereits genannten Herren vor allem Lily Gladstone als Mollie Burkhardt, Ernests Frau ins Rampenlicht stellt. Sie spielt locker gegen die beiden Schauspielergrößen di Caprio und de Niro an, lässt sie oft blass wirken, was deren Leistung aber nicht schmälert. Die Inszenierung bewegt sich gewohnt hohem Scorsese-Niveau, gibt sich aber wenig exzessiv wie zuletzt. Die subtile, dennoch atmosphärische Musik, vom jüngst verstorbenen Robbie Robertson tut da ihr Übriges. Lediglich das Drehbuch erlaubt sich einige Längen, während man vor allem der Stimme der Indigenen ruhig etwas mehr Raum hätte geben können, vor allem Angesichts der tollen Leistung von Gladstone. Scorsese erzählt hier groß, seine Lieblingsthemen sind alle vorhanden, von Macht und deren Missbrauch, über Familie, Verrat, und die kompromisslose Gewalt – der Altmeister gibt sich Mühe, als solcher gesehen zu werden. Er füllt die Leinwand mit allerlei Farben, kreiert einen Epos, der sich vom cineastischen Einheitsbrei absetzt. Scorsese zählt längst zu den alten Meistern des amerikanischen Kinos, wird längst in einem Atem mit Ford, Welles oder Hawks genannt. Er, der sich wie kaum ein anderer für den Erhalt des Kinos in seiner traditionellen Form einsetzt, täuscht keine Schwäche vor. In Killers Of The Flower Moon erzählt er von einem Verbrechen, das nichts von seiner Aktualität verloren hat, und auch heute leicht vorstellbar geschehen könnte. Es ist ein Film für die True-Crime-Fetischisten unserer Zeit, erwehrt sicher aber der Sensationsgier und verwehrt das Spektakel, und geht, im Unterschied zu vielen True-Crime-Formaten, mit Respekt und Anstand an ein Thema, das nichts anderes verdient.
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