Gesellschaft | Oberschule

Offener Brief für offene Schule

Eine Gruppe Eltern fordert ein Ende des Fernunterrichts in den Oberschulen: “Die Jugendlichen wurden von der Landesregierung völlig vergessen.”
Klassenzimmer
Foto: Ivan Aleksic on Unsplash

Unterzeichnet ist das Schreiben von der “Eltern-Lobby der vergessenen Südtiroler Oberschüler*innen”, gerichtet ist es an Landeshauptmann Arno Kompatscher und die Landtagsabgeordneten. In dem offenen Brief fordern die sechs Mütter, die ihn namentlich unterschrieben haben: “Die Oberschulen müssen sofort geöffnet werden!” Damit stimmen sie in die Forderungen von Schülervertretern und Schuldirektoren ein.

Italien will eine Rückkehr in die Klassenzimmer erst nach den Weihnachtsferien, am 7. Jänner 2021, erlauben. In Südtirol fordern die Oberschuldirektoren Planungssicherheit ein. Von der hiesigen Politik erhalten sie die bislang nicht. “Wir sind noch in Verhandlungen”, sagt Bildungslandesrat Philipp Achammer über die Möglichkeit, Präsenzunterricht, zumindest in Teilen, vor Weihnachten wieder zuzulassen.

Die Verfasserinnen des offenen Briefs nennen ein konkretes Datum, an dem die Oberschulen wieder öffnen sollten: kommenden Mittwoch, 9. Dezember.


Der offene Brief im Wortlaut

 

In Hinblick auf Schulschließungen ist Südtirol trauriger Spitzenreiter in Europa. 20 Tage – das ist die Anzahl  der Tage, die die meisten Oberschüler*innen in Südtirol seit Anfang März in Präsenzunterricht verbringen durften. 
Die Jugendlichen in der Oberschule sind die einzige Bevölkerungsgruppe, die von der Landesregierung völlig vergessen wurde. In keinem anderen Land in Europa (nicht einmal im restlichen Italien!) waren die Oberschulen so lange geschlossen. Selbst in Ländern, in denen die zweite Welle weit stärker war, blieben alle Schulstufen prinzipiell geöffnet, zum Teil vollständig (Deutschland, Frankreich, Irland, Spanien, Schweiz), zum Teil – ab November! – in hybrider Form (Belgien, Schweden) – und dennoch ging die Kurve runter. 

Die Festlegung der Pandemiemaßnahmen ist keine leichte Mathematik. Auch dass es mit jeder Lockerung von Maßnahmen immer wieder vereinzelt neue Fälle geben wird, ist zu erwarten. Doch nach neun Monaten müsste die Regierung in der Lage sein, Prioritäten zu setzten und Maßnahmen nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu treffen. Die Landesregierung hat bisher keine Belege dafür geliefert, dass die Oberschulen die Pandemietreiber in Südtirol sind. Die Schulen berichten von wenigen Fällen (etwa neun Schüler*innen und drei Lehrer*innen auf 600 Schüler*innen in der TFO in Bruneck seit Beginn des  Schuljahres). Eine dauerhafte Schulschließung ist daher weder geeignet, erforderlich noch angemessen. 

Die Politik nimmt billigend in Kauf, dass die Jugendlichen mehrfach verlieren.

Andere öffentliche Lebensbereiche sind wesentlich kürzer geschlossen. Es sind auch ganz einfache, geringer einschneidende Maßnahmen möglich: Hygienekonzepte, die die Schulen schon längst entwickelt
und eingeführt haben; Masken; Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr, um die Ansteckungsgefahr in den öffentlichen Verkehrsmitteln zu minimieren; nur betroffene Klassen zu schließen. Nur die Oberschulen geschlossen zu halten ist nicht angemessen, da der Eingriff in Bildung und soziale Entwicklung der Heranwachsenden nicht im Verhältnis zum Zweck der Pandemieeindämmung steht. 

Der Fernunterricht stellt, wie von Studien belegt und von unmittelbar Betroffenen bestätigt, auf Dauer keinen adäquaten Unterricht dar und kann den Präsenzunterricht nicht ersetzen. Hier wird ‘Bildung light’ gemacht und die Folgen tragen die Jugendlichen. Viele Lehrer*innen sind engagiert und versuchen, die  Nachteile aufzufangen. Aber die Politik hat nicht mal hier ihre Hausaufgaben gemacht, etwa indem sie  zum neuen Schuljahr die nötigen technischen Ausrüstungen für Schüler*innen und Lehrer*innen zur Verfügung gestellt hat oder etwa über den Sommer in deren Fortbildung investiert hätte. 

Die Landesregierung hat bisher keine Belege dafür geliefert, dass die Oberschulen die Pandemietreiber in Südtirol sind

Die Jugendlichen müssen nur daheim bleiben, weil sie keine Lobby haben und bequemerweise kein Kostenpunkt sind: Sie brauchen keine Kleinkindbetreuung und keine finanziellen Förderung. Und die Politik nimmt billigend in Kauf, dass sie so mehrfach verlieren. Sie verlieren ein Bildungsjahr und dies kann  nicht durch wirtschaftliche Förderungen abgemildert werden, wie es in anderen Bereichen möglich ist un  erfolgt! Zudem wird in sie gar nicht investiert (Potenzierung des Transports/Ausrüstung) – aber es wird erwartet, dass sie dann in 5-10 Jahren sehr wohl die heute gemachten Milliardenschulden abarbeiten. Sie verlieren Wesentliches in ihrer geistigen und seelischen Entwicklung, wenn die Politik weiterhin ignoriert,  dass die Jugendlichen soziale Kontakte ungleich nötiger haben als schon ‘geformte’ Erwachsene. 

Wir fordern Sie daher auf, diese untragbare Situation zu beenden und die Oberschüler*innen mit 09.12.2020 zurück in den Präsenzunterricht zu schicken. Nach neun (!) Monaten Pandemie müssen jetzt die Jugendlichen und ihre gesunde Entwicklung Priorität haben. 

Die Eltern-Lobby der vergessenen Südtiroler Oberschüler*innen 
Margit Tauber, Milland/Brixen 
Eva Maria Moar, Klausen 
Barbara Grießmair, Sarns/Brixen 
Susanne Rieder, Mühlbach 
Margareth Grießmair, Milland/Brixen 
Ulla Walder, St. Felix

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Elisabeth Hammer Fr., 04.12.2020 - 13:58

“Wir sind noch in Verhandlungen”, sagt Bildungslandesrat Philipp Achammer. - Mit wem denn bitte? Mit Herrn Alfreider, um die Zug - und Buskapazitaeten zu steigern? Mit dem Gesundheitslandesrat, der ein funktionierendes Contact Tracing garantieren sollte gerade an den Schulen garantieren? Mit Rom? Im Italienvergleich hat Südtirol immer noch denkbar schlechte Zahlen.
Wenn dann hätte der Landesrat für Wirtschaft und Bildung entscheiden müssen, dass die Schule wirklich Priorität hat, dann aber bitte Geschäfte, Bars und Restaurants geschlossen bleiben. Ein "alles auf" unter den gleichen Rahmenbedingungen wie vorher werden wir uns nicht leisten können. Die Krankenhäuser sind immer noch auf Notbetrieb, vergessen wir das nicht.

Fr., 04.12.2020 - 13:58 Permalink
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Klemens Riegler Fr., 04.12.2020 - 19:12

Ich kann die Sorgen und Bedenken durchaus nachvollziehen. Und es ist natürlich schlicht eine Tatsache, dass Präsenz dem Fernunterricht vorzuziehen und ungleich sinnvoller ist. Aber1, wie auch Fr. E. Hammer schreibt, kann nicht alles offen sein. (Entscheidung logisch schwierig). Aber2 ... was mir in der ganzen Diskussion komisch vorkommt ist der Umstand, dass immer nur Eltern zu Wort kommen oder Offene Brief verfassen. Oberschüler und Maturanten sind schließlich fast oder ganz volljährig bzw. fast "maturi" bzw. "reif". Keine eigene Meinung? Und zudem denke ich, dass diese Scheiß-Situation vielleicht auch positive Aspekte hat. Wer später studieren geht, wird dann leichter "folgen" können und es schon gewohnt sein, sehr selbstständig Stoff aufzunehmen und zu verarbeiten. P.s; Menschen schaffen es auch im Fernstudium zu einem Abschluss.
Will sagen ... die Mehrheit von uns hat derzeit irgend ein "Packtl" zu tragen.

Fr., 04.12.2020 - 19:12 Permalink
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Walter Meitinger So., 06.12.2020 - 18:14

Antwort auf von Klemens Riegler

Den Jugendlichen zu unterstellen, sie hätten keine eigene Meinung, bloß weil sie keine offenen Briefe schreiben, grenzt schon an Verhöhnung. Kein Wunder, dass die Jugendlichen das Vertrauen in die Politik verloren haben, so wie sie behandelt werden!

So., 06.12.2020 - 18:14 Permalink