Eigene Meinungen einbringen und andere Meinungen kennenlernen
Politik und Medien haben eine große Gemeinsamkeit: Ihr Erfolg hängt wesentlich davon ab, dass das Produkt, das sie auf den Markt bringen, die Stimmungslage der Konsumenten und Konsumentinnen trifft. Dadurch erhalten die Parteien als Meinungskatalysatoren bei den Wahlen Zuspruch von der Bevölkerung und die Medien werden als Identifikationsplattform wahrgenommen, die viel gelesen oder viel gesehen wird, was sich in Verkaufszahlen und Werbeschaltungen positiv niederschlägt. Zahlreiche politische Stellungnahmen und Zeitungs- bzw. Online-Kommentare zum Autonomiekonvent sind, wenn nicht Ausdruck einer Ablehnung in Bausch und Bogen, von großer Skepsis und von der Sorge um verborgene Fallen geprägt. Solche Haltungen reproduzieren das defensive Reaktionsschema, das abgerufen wird, wenn Identität und Eigenständigkeit in Gefahr scheinen. Dieser Mechanismus ist historisch bedingt und findet darin seine Legitimation, hat jedoch eine Tendenz zur Abkapselung zur Folge.
Ein solches Reaktionsmuster trifft aber auch den Nerv der Zeit. Erschütterte Wertekanons, Wirtschaftskrise, politischer Vertrauensverlust und Entsolidarisierung machen auch vor einer vermeintlichen Enklave des Wohlstandes und des Zusammenhalts nicht Halt. Unsicherheit bewirkt Abwehrhaltungen. Plötzlich auftauchende Bedrohungen von außen verstärken die Wagenburgmentalität und das Bedürfnis nach Kategorisierung der Orthodoxie der Haltungen selbst innerhalb der Gemeinschaft. Das lässt in einer von kulturellem und politischem Pluralismus geprägten Gesellschaft Misstrauen aufflammen und drängt die einzelnen Akteure noch mehr in einen Abgrenzungszwang.
Autonomiekonvent als Impuls für die Bewusstmachung unserer Geschichte
Tatsächlich sind die Befürchtungen fehl am Platz, wenn den Bürgerinnen und Bürgern Mündigkeit zugetraut wird. Mit dem Autonomiekonvent ist nämlich ein Pilotprojekt gestartet worden, um die Menschen dazu zu animieren, sich mit der Autonomie als Gestaltungsinstrument auseinanderzusetzen. Sei es in Bezug auf den Minderheitenschutz, sei es hinsichtlich des darin verankerten Regelwerks für eine gemeinsame Verwaltung des Territoriums durch die Sprachgruppen verfügt Südtirol nämlich über ein ausgeklügeltes System der Selbstverwaltung. Es sollte jedoch nicht vergessen oder einfach ausgeblendet werden, dass die Autonomie in einen gesamtstaatlichen Rahmen eingebettet ist und dieser de facto und de jure als Bezugsrahmen seine Wirkungskraft entfaltet. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die eigenen Schutz- und Freiräume in der entsprechenden institutionellen und politischen Mehrebenendialektik wahrzunehmen und auf die Stellschrauben zu achten, die ein Mehr oder ein Weniger an Gestaltungsspielraum bewirken.
Wertschätzung anderer Positionen
Die Diskussionsveranstaltungen in den Bezirken bilden den Auftakt für eine längere Auseinandersetzung mit der Autonomie sei es durch die Bürgerinnen und Bürger, sei es durch die Parteien, Verbände und Sozialpartner, sei es durch die Landtage in Südtirol und im Trentino. Es ist zu wünschen, dass bei den nächsten Open-Space-Veranstaltungen wieder viele Teilnehmer/-innen ihre Wahrnehmung und Bewertung der Autonomie und ihre Vorstellungen zu deren künftiger Gestaltung einbringen. Morgen geht es ja in Meran weiter. Das Zusammenkommen von Menschen mit unterschiedlichen Wertvorstellungen und politischen Ideen sollte auch als Chance genutzt werden, um mehr über die Meinungen und Erwartungen derer zu erfahren, die nicht mit der eigenen politischen Meinung konform gehen. Aus der Wahrnehmung der Vielfalt der Meinungen bezieht ein solcher Diskussionsprozess wesentliche Impulse. Es geht nämlich auch darum, andere Meinungen als solche anzuerkennen und die Menschen, die sie vertreten, als Bürgerinnen und Bürger zu sehen, mit denen eine Konfrontation notwendig und nützlich ist. Dazu gehört eine Dialektik, in der sich die Schärfe und die Fundiertheit der politischen Argumentation zeigt. Die Diskussion bildet zugleich auch das Diskursniveau unserer Gesellschaft ab. Insofern ist es spannend, sich mit unterschiedlichen Argumenten auseinanderzusetzen, und es ist ein wichtiger Lernprozess, Wertschätzung zu entwickeln, auch wenn Meinungen nicht geteilt werden können. Das wird möglich, wenn sich die Menschen begegnen, gegenübersitzen und zum Thema Autonomie und Zukunft des Landes austauschen. Das Engagement für das Land und die Leute, das in unterschiedlichen Positionen zutage tritt, ist eine gemeinsame Grundlage, die in weiterer Folge Verständigung ermöglicht.
Medien als Multiplikatoren und Informationsquelle
Auf der Homepage www.konvent.bz.it wird allen eine virtuelle Plattform für die Auseinandersetzung mit der Autonomiereform geboten. Die großen Multiplikatoren der Bewusstmachung der demokratischen Instrumente sind jedoch die Zeitungen, Radio, Fernsehen und Online-Medien. In ihrer Hand liegt es, den gesamten Prozess der Analyse und der Beratung zur Autonomie und zu deren Perspektiven aufmerksam zu begleiten. Dazu müssen sie eine doppelte Optik verwenden: Sie sind es gewohnt, die aktuellen Ereignisse abzubilden und zu kommentieren. In einem auf ein ganzes Jahr angelegten politischen und kulturellen Reflexions- und Ausrichtungsprozess sind jedoch vor allem die im Laufe der Zeit generierten Erkenntnis- und Lernprozesse wichtig sowie die Fähigkeit der Öffentlichkeit, der Gesellschaft und der Parteien, Fakten anzuerkennen und Konsensbildung zu fördern. Hierfür können die Medien einen grundlegenden Beitrag leisten. Es ist lobenswert, dass die Tageszeitung Dolomiten ein eigenes Diskussionsforum zum Konvent eingerichtet hat. Damit gibt es noch eine zusätzliche Meinungsplattform, die sicher ausgiebig genutzt wird. Bei einem so grundsätzlichen Thema wie der Autonomie wäre ein umfassendes redaktionelles Engagement wünschenswert, das über die Abbildung der Diskussion hinausreicht. Für den Diskussionsprozess grundlegend sind nämlich Informationen zu all den Themen, die von den Teilnehmern/-innen und den politischen und gesellschaftlichen Akteuren aufgeworfen werden. Insofern könnten die Medien sprachgruppenübergreifend aus der Verantwortung für das Land eine Begleitfunktion für die Debatte zur Zukunft der Autonomie übernehmen.