Gesellschaft | Gesundheit

Vergleichsweise gesund

Mit dem “Datenschatz” im Landesgesundheitsbericht wartet Landesrätin Martha Stocker auf, um in postfaktischen Zeiten eine “fundierte Diskussionsgrundlage” zu liefern.
Carla Melani und Martha Stocker
Foto: Salto.bz

Martha Stocker spricht von einem “Datenschatz”, den sie am Mittwoch Vormittag in den Händen hält. Gemeinsam mit der Koordinatorin der Beobachtungsstelle für Gesundheit (so der neue Namen der epidemiologischen Beobachtungsstelle), Carla Melani, präsentierte die Gesundheitslandesrätin die 25. Ausgabe des Landesgesundheitsberichts*. “In postfaktischen Zeiten, in denen Fakten nicht mehr zählen, stellt diese Datensammlung eine wichtige Grundlage für eine fundierte Auseinandersetzung über das Gesundheitssystem und möglichen Handlungsbedarf”, ist Stocker überzeugt.

Chronische Krankheiten, Notaufnahme, Rezepte

Neben der Erfassung des Gesundheitszustandes der Südtiroler wurde im Gesundheitsbericht 2016 auch ein internationaler Vergleich. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat im Vorjahr eine Studie veröffentlicht, die anhand mehrerer Indikatoren die Gesundheitssysteme der 29 OECD-Länder vergleicht. Zunächst aber einige Daten zu Südtirol:
Rund 153.000 Menschen leiden an mindestens einer chronischen Krankheit, das sind 29,1 Prozent der Bevölkerung. Die chronisch Kranken beanspruchen 70 Prozent der Ausgaben für Gesundheitsleistungen.

“Nicht immer bedeutet eine chronische Krankheit eine immense Beeinträchtigung für die Betroffenen”, so die Landesrätin, “mit angemessener medizinisch-ärztlicher Unterstützung ist ein normales Leben möglich”. Dass diese bestenfalls vor Ort stattfinden soll, steht nicht zuletzt im neuen Gesundheitsplan. Auch mit den Hausärzten sei vereinbart worden, dass sie sich verstärkt um chronisch kranke Patienten kümmern, “dadurch werden auch die Krankenhäuser entlastet”, betont Stocker. Jeden Tag erfolgen südtirolweit 730 Zugänge an den Notaufnahmen, 250 allein in Bozen. Insgesamt wurden im Vorjahr 265.844 Zugänge verzeichnet. “Das sind sehr viele”, fügt Carla Melani hinzu, und meint im Hinblick auf die jüngst wieder aufgeflammten Polemiken: “Es ist verständlich, dass bei mehr als 700 Fällen am Tag nicht jeder einzelne vollends zufriedenstellend behandelt werden kann.”
Täglich werden in Südtirol 22.500 fachärztliche Leistungen – Labor, Bilddiagnostik (Röntgen, TAC, Magnetresonanz), Visiten – durchgeführt (8,2 Millionen im Jahr), davon 2.900 Visiten.
Es gibt 230 Krankenhausentlassungen am Tag und 8.200 Rezeptverschreibungen, die vor allem von den Hausärzten gemacht werden. Insgesamt werden 3 Millionen Rezepte im Jahr ausgestellt, das sind 6 pro Kopf. Mit zunehmendem Alter steigt auch der Verbrauch von Medikamenten. Fast alle über 75-Jährigen nehmen mindestens ein Medikament ein.
Auf 143 Millionen Euro belaufen sich die Gesamtausgaben für Medikamente zu Lasten des Gesundheitsdienstes im Jahr 2016, das enspricht 301,20 Euro pro Kopf. Dazu kommen 53 Millionen Euro, die die Südtiroler privat für Arzneimittel ausgegeben, also zur Gänze selbst bezahlt haben: rezeptfreie Medikamente, Selbstmedikationen, auf weißem Rezept verschriebene Arzneimittel.

Langes, gesundes Leben, wenig Antibiotika

Nun zu einigen Indikatoren, für die die Südtiroler Daten auf OECD-Ebene vergleichbar sind: Lebenserwartung, Suizide, Lebensstil, Antibiotika-Verbrauch, Hospitalisierung.
In Südtirol lebt man im OECD-Vergleich am längsten. Die Lebenserwartung liegt bei 86,1 Jahren für Frauen und bei 81,3 Jahren für Männer. Deutlich geringer ist die Lebenserwartung in Deutschland (83,3 und 78,7 Jahre) und Österreich (84 und 79,2 Jahre), italienweit liegt sie bei 85,6 Jahre für Frauen und 80,7 Jahre für Männer.
Die Selbstmordrate liegt in Südtirol bei 10,6 je 100.000 Einwohner. Mit diesem Wert liegt das Land weit über dem italienweiten Wert von 6 je 100.000 Einwohner. Deutschland verzeichnet einen ähnlichen Wert (10,7), in Österreich liegt er mit 13,9 etwas höher.
15,7 Prozent der Südtirolerinnen und 21,7 Prozent der Südtiroler rauchen. Die Werte sind ähnlich wie in Italien, in Deutschland und Österreich liegen sie deutlich höher. Auch was die Fettleibigkeit (Adipositas) betrifft, ähnelt Südtirol eher Italien: 6,5 Prozent der Frauen und 8,8 Prozent der Männer sind fettleibig (Italien: 9,7 bzw. 10,8 Prozent). In Österreich und Deutschland sieht die Situation leiden etwa doppelt so viele Menschen wie in Südtirol an Fettleibigkeit. Landesrätin Stocker führt diesen erfreulich niedrigen Werte auf ein großes Bewusstsein für ausgewogene Ernährung in der Bevölkerung und die viele Bewegung zurück. Mehr als die Hälfte der 18- bis 69-Jährigen geben an, sich regelmäßig und viel zu bewegen.
Deutlich niedriger als in Italien ist hingegen der Antibiotika-Verbrauch. Je 1.000 Einwohner werden in Südtirol täglich 10,3 Dosen an Antibiotika verbraucht. In Österreich sind es 12,7, in Deutschland 14,6, und in Italien 29,1.
Die Daten zu den Krankenhausleistungen zeigen: In Südtirol gibt es weniger Akut-Einweisungen als in Deutschland und Österreich. “Dort gibt es mehr Strukturen mit mehr Betten”, erklärt Carla Melani, “jedoch werden die beiden Länder von der OECD angehalten, die Zahl der unangemessenen Einweisungen zu verringern und mehr auf Leistungen vor Ort zu setzen”. Im Vergleich dazu seien in italienischen Krankenhäusern vielerorts Einschnitte vorgenommen worden, “allerdings ohne die Dienste im Territorium auszubauen”, so Melani. In Südtirol will man das anders machen: Nicht nur chronisch Kranke, auch Familien und Einzelpersonen sollen künftig mehr Leistungen und Dienste in den Gesundheitssprengeln vorfinden. “Weg vom Krankenhaus, hin zu den Bürgern”, lautet das Credo von Martha Stocker. Das will sie auch am Mittwoch noch einmal deutlich und klar wiederholt wissen.