Kultur|Wirtschaft|Chronik | Berghotels

Klinik, Wagon-lits und Maschine

Um 1900 wurde das Hotel als „eine Synthese von Klinik, Wagon-lits und Maschine“ bezeichnet – ein Leitmotiv, das sich durch die Untersuchungen von Hotelbau in den Berggebieten Südtirols, Nordtirols und des Trentinos zieht.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Hotel Plätzwiese, „italianisierte“ Postkarte aus den 1920er Jahren
Foto: Sammlung Caroline Heiss, Hotel Pragser Wildsee)
  • Um 1900 wurde das Hotel als „eine Synthese von Klinik, Wagon-lits und Maschine“ bezeichnet – ein Leitmotiv, das sich durch die Untersuchungen von Bettina Schlorhaufer über den Hotelbau in den Berggebieten Südtirols, Nordtirols und des Trentinos zieht. Im Kern befasste sich die Architekturhistorikerin mit Projekten, die zwischen 1890 und 1930 entstanden. Auf ihrer Spurensuche zeichnet Bettina Schlorhaufer die lange Geschichte des Hotelbaus entlang der Entwicklung des Tourismus als Massenphänomen ab ca. 1800 nach. Detailliert beschreibt sie, wie die systematische Beherbergung aus dem Hospital und dem Kurhaus hervorging und wie früh die Architekturproduktion der Hotels auf der Basis innovativer Entwurfsmethoden in Serie bzw. anhand von Modulprogrammen erfolgte. 

  • Facettenreich beleuchtet die Autorin die Geschichte des Berghotel-Baus aus der Sicht seiner Erbauer. Sie waren allesamt Quereinsteiger im Fremdenverkehr, darunter der Alpinist, Autor und Politiker Theodor Christomannos, der Architekt Otto Schmid und der Ingenieur Carl Lun von Musch & Lun. Ihre Biografien geben Aufschluss über die unterschiedlichen Beweggründe, die zu den Berghotel-Entrepreneurships führten. Durch ihre interdisziplinäre Sichtweise erschließt Bettina Schlorhaufer auf mehreren Ebenen wissenschaftliches Neuland. Wirtschaftshistorisch war der von Entrepreneuren wie Theodor Christomannos gegründete „Verein für Alpenhotels in Tirol“ bisher noch nie Gegenstand von Untersuchungen. Christomannos und sein Kreis an Berghotel-Gründern verfügten über ein engmaschiges Netzwerk an finanzkräftigen Liebhabern der Alpen, das bis nach Wien, Berlin und Köln reichte. Mit der Errichtung von Hotels an ausgewählten Aussichtspunkten verfolgte der Verein das Ziel, den Gebirgstourismus voranzutreiben. Darüber hinaus waren die Häuser politische Symbole, denn mit ihrer Errichtung wollte man der schon weit vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs einsetzenden Italianisierung der Berggebiete entgegenwirken.

  • Auch in ihren äußeren Erscheinungsbildern trugen die „Alpenhäuser“ dem politischen Motiv der Raumbeanspruchung Rechnung. Als Bollwerke des Deutschtums in den Bergen wurde schon für die Gestaltung der ersten Berghotels in Sulden, Trafoi und am Karersee ein international verfügbares Repertoire an architektonischen Stilmitteln „regionalisiert“. Dabei handelte es sich z. B. um formale Bestandteile aus dem Bauwesen der Eisenbahn und mittelalterlichen Bautraditionen wie der Gotik. Letztere wurden in der Ära des ausgehenden Gothic Revivals als besonders „germanisch“ betrachtetet. Vor den Bergkulissen Südtirols platziert, gelangten sie zu einer neuen Wirkung und vermittelten sich als bodenständig und bereits bestehenden lokalen Sehgewohnheiten verbunden.

  • Zu ihren Forschungsergebnissen gehört der Nachweis, dass selbst in Südtirol die frühe Architekturproduktion von Hotels auf der Basis innovativer Entwurfsmethoden in Serie bzw. anhand von Modulprogrammen erfolgte – ein methodischer Ansatz, der für den Hotelbau in den Bergregionen mit einem gestalterischen Ziel verbunden wurde. Das Motto „innovation in tradition“ spielte bei den Berghotels eine besondere Rolle. Die Gebäude wurden schon früh elektrifiziert, weshalb selbst Gebäude an den entlegensten Standorten über den neusten Stand der Haustechnik verfügten. Zugleich musste das Lebensgefühl in den Häusern aber auch dem herrschenden Publikumsgeschmack entsprechen. Aus diesem Grund wurde insbesondere das Flair der Hotelhallen und Speisesäle jenem der Repräsentationsräume in („gotischen“) mittelalterlichen Burgen nachempfunden.

  • Band 1 ist der Tourismusgeschichte, den Berghotel-Gründern und dem architekturhistorischen Kontext gewidmet. In Band 2 werden 18 Berghotels und nicht verwirklichte Projekte von Otto Schmid und Musch & Lun vorgestellt.

  • Hotel Pragser Wildsee, 2. Baustufe, um 1904 (Sammlung Caroline Heiss, Hotel Pragser Wildsee) Foto: Hotel Pragser Wildsee, 2. Baustufe, um 1904 (Sammlung Caroline Heiss, Hotel Pragser Wildsee)
  • Berghotels 1890–1930: Südtirol, Nordtirol und Trentino
    Bauten und Projekte von Musch & Lun und Otto Schmid
    Herausgegeben vom Touriseum – Südtiroler Landesmuseum für Tourismus 
    Birkhäuser 2021
    Zwei Bände à 304 Seiten mit 536, teils farbigen Abbildungen
    Electronic ISBN: 9783035622706
    Paperback ISBN: 9783035622690
    Ladenpreis: 79,96 Euro
    https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783035622706/html

    Erhältlich im Buchhandel im Nachdruck.
    Originalausgaben in repräsentativem Umschlag sind weiterhin im Tourismus in Meran erhältlich.

    Bettina Schlorhaufer:

    Kunsthistorikerin, Architekturhistorikerin und Kuratorin. Aktuell ist sie die interimistische Leiterin des Instituts für Architekturtheorie und Baugeschichte der Universität Innsbruck.

    Aktuelles Forschungsprojekt:

    Das Architekturbüro Brüder Ludwig (München-Bozen-Wien). Bauten und Projekte zwischen Wagner-Schule, Eklektizismus und modernisiertem Barock (gefördert von Research Südtirol 2022, in Zusammenarbeit mit dem Touriseum – Südtiroler Landesmuseum für Tourismus/Betrieb Südtiroler Landesmuseen).
     

  • Foto: Touriseum Schloss Trautmansdorff