Erst Schneemangel dann Hitzewelle
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Die Ausstellung „Über Tourismus“ im Architekturzentrum Wien wirft einen Blick auf die Entwicklung des Tourismus und dessen Zukunft und wäre für sich allein schon ein interessanter Beitrag für diese Ausgabe und Südtirol allgemein. Immerhin gibt es auch hier den ständig geführten gesellschaftlichen Diskursen, wie viel Tourismus Südtirol und seine Berge vertragen. Aber auch der kürzlich neu entfachte politische Streit darüber, wem, dessen Wertschöpfung gehört, wird in der Ausstellung Rechnung getragen. Deshalb kann man nur hoffen, dass sie als Wanderausstellung seinen Weg früher oder später nach Südtirol finden wird. Aber noch viel passender für die Urlaubsdestination Südtirol als die Ausstellung selbst war einer der vier Diskussionsabenden, die im Rahmen der Ausstellung stattfanden: Nach dem Schneemangel ist vor der Hitzewelle!
Eine Runde aus acht Spezialistisch bzw. Betroffenen diskutierten zum Thema und warfen einen trockenen, erfrischenden und dennoch positiven Blick auf die Zukunft des österreichischen Urlaubslandes, welches mit ihren Topdestinationen im Westen des Landes durchaus mit Südtiroler vergleichbar ist bzw. direkt in Konkurrenz steht.
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... die Kapazitäten, 1,4 Millionen Menschen pro Stunde auf Berge zu befördern
Einen ersten Eindruck über den Inhalt und Art des Abends lieferte Ulrike Pröbstl-Haider (Professorin, Institut für Landschaftsentwicklung, Erholungs- und Naturschutzplanung (ILEN), BOKU Wien) in ihrem Eröffnungsplädoyer, als sie mehr Massentourismus forderte und weniger Individualtourismus. Dies begründete sie damit, dass ein kontrollierter Massentourismus weniger schädlich für Umwelt und Mensch sei als ein unkontrollierter Individualtourismus. Da ersteres weniger Fläche benötigt und diese besser bzw. maximal ausgelastet werde. Daher solle man den Skitourismus nicht verteufeln, sondern optimieren, da er sich auf begrenzen und kontrollierbaren Flächen abspiele. „Sanfte Alternativen“ seien genaustens und kritisch zu untersuchen, denn es hat sich gezeigt, dass das, vor allem seit Corona, boomende Skitouren gehen ein 60faches an Fläche benötigt im Vergleich zum Ski fahren, bei gleichzeitig viel geringerer Ausnutzung der benötigen Flächen. Weiters sei es problematisch, dass man das Skitouren gehen keine bzw. kaum Infrastrukturen benötigt mit dem man die Menschenströme steuern könnte und so grundsätzlich jedes kleinste Flecken in den Bergen beliebig erreichbar und damit betroffen ist. Wenn nämlich ein Naturraum gestört wird, ist es im egal, ob er einmal oder 200 Mal am Tag gestört wird. Denn wenn er es sich nicht schafft, in der Zwischenzeit/Zwischensaison zu erholen, ist er gefährdet.
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... das Pech des Neusiedlersees sei das Glück des Sandersees / Pasterzensee
Diesem Grundgedanken konnte Liliana Dagostin (gebürtige Südtirolerin und Leiterin Abteilung Raumplanung und Naturschutz, Alpenverein, Stv. Vorsitzende, CIPRA Österreich) durchaus was abgewinnen. Immerhin hat Österreich die Kapazitäten, 1,4 Millionen Menschen pro Stunde auf Berge zu befördern. Würde man diese Menschen gleichmäßig im Alpenraum verteilen, wäre der Flächenverbrauch noch viel enorm als er bereits ist. Selbst meinte sie ironisch in ihrem Eröffnungsplädoyer, dass es natürlich Möglichkeiten gäbe, den Klimawandel positiv zu betrachten; immerhin sei „das Pech des Neusiedlersees das Glück des Sandersees / Pasterzensee“. Daher glaubt sie durchaus, dass sich der Tourismus den neuen Gegebenheiten anpassen wird, jedoch dürfe man nicht vergessen, dass mit dem austrocknenden Neusiedler See ein Ökosystem verloren geht. Und ein schwimmender Eisberg im Pasterzensee zwar eine Touristenattraktion sei, aber das Toteis eigentlich davon zeugt, dass der Pasterze Gletscher seinem Ende nahe ist.
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Christian Sailer (Hauptreferat Wasserwirtschaft, Land Burgenland) füllte sich damit natürlich direkt angesprochen und ist sich ebenfalls sicher, dass der Tourismus den Schnee überleben wird, genauso so wie das Burgenland eine Lösung für den Neusiedlersee finden wird. Die Frage ist nur immer wie. Wichtig sei auch, dass sich die Branche frühzeitig darauf realistisch (!) vorbereiten muss.
Diesen realistischen Blick in die Zukunft brachte dann Günther Lichtblau (Klimaexperte im Umweltbundesamt). Er verkündete klar, dass die Zukunft nicht bei 2,7° Erwärmung liegen wird, sondern eher bei 3,4°. Wobei das immer weltweiter Durchschnitt sei. Für Österreich würden bereits die 2,7° einen Klimaerwärmung von 5,4° bedeuten, da man hier jetzt schon bei 2,2° liege. Er hoffe und empfehle, mit 3° Erwärmung realistische Zukunftsszenarien zu planen. Dafür hat er auch klare Empfehlungen oder eher Mindestbedingungen für den Tourismus von morgen:
- Mobilität auf null Emissionen. Flugverkehr muss sinken und Zugverkehr steigen (was zurzeit umgekehrt der Fall ist);
- Verfügbare Restemissionen benötigt man für Landwirtschaft (vor allem Apfelwirtschaft und ähnliche Bereiche und nicht wie vermutet Fleißproduktion);
- Die Verpflegung zusätzlicher Menschen (Tourismus) wird ebenfalls Restemissionen benötigen;
- Der CO₂-Preis sei nicht alles, aber ohne den ist alles nichts;
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... Forderung nach mehr Massentourismus und weniger Individualtourismus!
In konkreten Zukunftsvisionen würde das bedeuten, dass es ein Hallstadt voller Asiaten nicht mehr geben dürfe und kann. Denn auch die Österreicher würden nicht mehr regelmäßig um die Welt fliegen, denn die Reisedistanzen werden schrumpfen. Das wiederum könnte den Neusiedlersees oder andere touristisch unterentwickelte Orte interessanter machen. Das sind sicher Sachen, auf die sich Urlaubsdestinationen vorbereiten müssen, um zu überleben. Genau hier sieht er auch die Stärken und Vorteile der Alpenregionen. In Österreich könnte man nämlich den Tourismus mit lokalen Erzeugnissen und Personen / Gästen sättigen. Man müsste also weder Produkte noch Kunden aus der Ferne importieren. Ganz anders sieht das mit Reisezielen derzeitiger Traumurlaube aus. Auf den Malediven etwa müsse man sowohl Kunden als auch Produkte zu 100% Importieren was einen 30fach höheren CO2 Bedarf erzeugt. Deshalb mache er sich über die lokale Tourismuswirtschaft weniger Sorgen als um andere derzeitige Hotspots.
Peter Brandauer (Präsident Alpine Pearls) stimmt dem theoretisch voll und ganz zu, sieht aber in der Umsetzung große Schwierigkeiten. So habe man es seit der Gründung von Alpin Pearls es zwar geschafft, dass die Touristen ihr Auto Großteils problemlos während dem Aufenthalt vor dem Hotel stehen lassen und zu Fuß oder anderweitig unterwegs sind. Die An- & Abreise würde jedoch weiterhin Großteiles nur mit dem Auto erfolgen und sei auch nichts wirklich anderes gewünscht.
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...die An- & Abreise würde jedoch weiterhin Großteiles nur mit dem Auto erfolgen und sei auch nichts wirklich anderes gewünscht.
Moderatorin Karoline Mayer resümiert den Abend damit, dass der Urlaub vielleicht wie früher werden müsse, wo man einmal pro Jahr länger in Urlaub gefahren ist und somit der Urlaub nachhaltiger wird, ohne beim Luxus „Urlaub“ selbst Abstriche zu machen oder ganz auf ihn zu verzichten. Oder man geht noch weiter zurück und orientiert sich am Beispiel der Sommerfrische in Verbindung mit Teleworking und anderen gesellschaftlichen Veränderungen, die das ermöglichen könnten. Immerhin müsse man in einer heißer werdenden Welt auch den Leuten garantieren, dass sie Orte und Situationen haben, in denen sie sich abkühlen und erholen können.
Zum Abschluss wurde in der Fragerunde das Thema aufgeworfen, was es denn wirklich bedeutet, wenn Reisen teurer und Aufenthalte verlängert werden sollen, um dadurch nachhaltiger zu werden. Befürchtet wird, dass durch den gestiegenen Preis Luxus und Extras angeboten werden, die eigentlich nicht notwendig wären. Dadurch könnte man aber Märkte ansprechen, die sich den gestiegenen Preis leisten können: internationale „Gutverdiener“, die dann wieder von weit her mit dem Flugzeug anreisen würden. Damit einhergehend würde der Preis aber nochmals steigen und lokalen Touristen würden verdrängt, was das Ganze ad absurdum führt. Dies sei anscheinend bereits an manchen Orten so, wird bemängelt.
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Eine klare Lösung gibt es also nicht aber die Branche sei im Umbruch und gefordert um den derzeit wichtigen Moment auf keinen Fall zu verschlafen um die Branche und den daraus erzielten Wohlstand zu erhalten.
Was bedeutet…
Was bedeutet Klimagerechtigkeit und was muss tatsächlich dafür getan werden:
Der Klimawandel zerstört nicht die Menschheit, aber Menschenleben und Lebensgrundlagen. Wir staunen über Rekordtemperaturen, Windgeschwindigkeiten und Regenmengen, aber fragen uns zu wenig, wer ihnen besonders ausgesetzt ist, wer sich nicht erholen kann - und warum. Ungleichheit und Ungerechtigkeit sind der Kern dessen, was den Klimawandel zum Menschheitsproblem machen. Damit müssen Fairness und globale Gerechtigkeit auch im Kern der Lösung stecken. Klimagerechtigkeit geht jeden etwas an.